Oktoberfest 1900 - Träume und Wagnis

  • Fischer
  • Erschienen: August 2020
  • 2
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Alexandra Hopf
881001

Histo-Couch Rezension vonSep 2020

Spannende Zeitreise auf das historische Oktoberfest

Colina Kandl fristet ihr Dasein als Biermadel beim Lochner Wirt. Die Mädchen bekommen kein Festgehalt. Sie leben nur von den Trinkgeldern und von den paar Pfenningen die sie sich im Schuppen nebenan im Stroh für Gefälligkeiten bei männlichen Kunden verdienen. Doch Colina hat das alles satt und beschließt ihr Leben zu verändern. Mit List, Tücke und einer gehörigen Portion Unverschämtheit gelingt es ihr als Gouvernante im Haus des fränkischen Bierbrauers Curt Prank, der eben nach München zugezogen ist, unterzukommen.

Ihr Schützling, die neunzehnjährige Clara, hat rasch durchschaut, dass Colina vom feinen Leben wenig Ahnung hat und begegnet ihrer Aufpasserin arrogant und mit herablassendem Spott. Clara zwingt Colina sie mit auf den Kocherlball zu nehmen. Eine Tanzveranstaltung für Hausangestellte im Englischen Garten. Doch der Ausflug bleibt nicht ohne Folgen. Die Hochzeit mit dem Münchner Brauer Anatol Stifter, die Curt Prank für seine Tochter arrangiert hat und ihm geschäftliche Vorteile bringt, gerät in Gefahr. Und bereits nach wenigen Wochen wird Colina von Curt Prank davongejagt. Um Geld für sich und ihren Sohn Max zu verdienen, muss sie wieder zu Lochner zurückkehren und in dessen Bierbude auf dem Oktoberfest als Biermadel arbeiten. Die "Wiesn" ist dieses Jahr von vielen Ereignissen überschattet. So werden Schanklizenzen erschlichen und eine einzigartige Bierburg bedroht das Dasein der kleinen Bierbuden. Zu all dem Wirbel geschieht sogar ein Mord. Es gibt also viel zu tun für den alternden Inspektor Eder und dessen baldigen Amtsnachfolger Aulehner. Und auch für die beiden ungleichen Frauen Colina und Clara beginnt mit dem Oktoberfest ein turbulentes Leben.

Machtkämpfe und Intrigen unter den Brauern

Petra Grill beschreibt in ihrem Roman "Oktoberfest 1900" eindrucksvoll wie dieses große Volksfest damals ausgesehen hat. Dabei bezieht sie sich auf viele wahre Begebenheiten. In der Tat bestand das Fest auf der Theresienwiese früher aus vielen kleinen Holzbuden, in denen die Münchner Wirte ihr Bier ausgeschenkt haben. Dafür benötigten sie von der Stadt München eine Schanklizenz. 1898 erschlich sich ein Nürnberger Brauer über Strohmänner einige Lizenzen und baute erstmals eine große Bierburg über mehrere kleine Stellplätze. In diesem monströsen Konstrukt fanden tausende Menschen Platz und zur Unterhaltung spielten darin Kapellen. Diese wahre Begebenheit spielt eine zentrale Rolle im Roman und war gleichzeitig Grundstein dafür, wie sich das Fest von nun an verändern sollte.

Beklemmender Einblick in die Frauenrolle um 1900

Petra Grill gelingt es, dem Leser sehr facettenreich einen Einblick in das damals vorherrschende Bild der Frau zu geben. Die armen Biermadeln standen im Prinzip auf einer Stufe mit den Prostituierten, die sich auf der Straße verkaufen mussten. Denn ihre einzige Chance, einigermaßen an Geld zu kommen, war eben selbst verschiedene Gefälligkeiten und Dienstleistungen an Männer zu verkaufen. Dies kam noch zu dem Bierkrüge schleppen dazu und diese körperlich schwere Arbeit mussten sie am Tag bis zu fünfzehn Stunden leisten. Diesen Erniedrigungen entgingen Mädchen wie Clara Prank zwar, waren aber auch komplett ohne Rechte und hatten zu gehorchen was ihr Vater und später ihr Ehemann für sie beschloss. Heutzutage kann man sich das gar nicht vorstellen, als Frau völlig ohne Rechte zu sein und alles hinnehmen zu müssen. Selbst Misshandlungen und Erniedrigungen durch den eigenen Ehemann waren damals legitim.

Besondere Authentizität, dass sich das Geschehen wirklich in München zuträgt, vermittelt uns Petra Grill dadurch, dass immer wieder im Verlauf bayrischer Dialekt von den Protagonisten gesprochen wird. Das Wort Bierkrug wird eher selten verwendet, vielmehr das früher dafür gebräuchliche Wort "Keferloher".

Authentische Charaktere lebendig gezeichnet

Insgesamt gibt es eine Vielzahl mitwirkender Personen und man muss aufmerksam bleiben um den Überblick nicht zu verlieren. Die beiden weiblichen Hauptcharaktere könnten unterschiedlicher nicht sein, aber beide sind sehr überzeugend dargestellt.

Colina Kandl hat kein leichtes Los. Aber mit beispiellosem Ehrgeiz gelingt es ihr immer wieder aus den verschiedensten Situationen das Beste zu machen. Besonders herzerfrischend ist manchmal ihre "Ausgebufftheit" und mit welchen Finessen sie an das gesetzte Ziel kommt. Trotz allem hat sie ihr Herz am rechten Fleck und diese Gutmütigkeit, die man des Öfteren erkennen kann, macht sie so liebenswert.

Absolut gegensätzlich dazu ist Clara. Anfangs wirkt die arrogante hochnäsige Tochter aus wohlhabenden Kreisen unsympathisch. Sie macht dann eine bemerkenswerte Entwicklung im Laufe der Geschichte durch und am Ende hat auch sie, durch ihr Handeln der Freundin gegenüber, Respekt verdient.

Die männlichen Hauptprotagonisten sind zum einen durch die Polizei vertreten. Der etwas kauzig wirkende Inspektor Eder, der aber trotzdem immer den vollen Durchblick hat und alle Zusammenhänge schnell durchschaut. Sein Nachfolger der junge Lorenz Aulehner hat selbst einige Probleme mit sich und seiner Umwelt. So blickt er auf eine nicht lupenreine Vergangenheit zurück, die ihm manchmal im Weg steht. Gerade diese Ecken und Kanten machen ihn so menschlich und überaus sympathisch.

Der fränkische Bierbrauer Prank bleibt lange Zeit undurchschaubar. Er ist zwar erfolgreich, ehrgeizig und liebt seine Tochter sicher sehr, aber andererseits sieht man auch, dass mit ihm nicht zu spaßen ist und er bereit ist vieles zu tun um seine hochgesteckten Ziele zu verfolgen und zu erreichen.

Krimipotential garantiert Spannung

Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht von Colina und dem Polizisten Aulehner erzählt. Der kurzweilige Schreibstil lässt die fast 500 Seiten der Geschichte flott vergehen. Nur an wenigen Stellen hat man das Gefühl, die jeweilige Passage könnte sich etwas in die Länge ziehen. Neben den vielen bereits erwähnten Informationen sorgen auch gewisse kriminalistische Elemente für die nötige Spannung. Neben all den Machtkämpfen und Intrigen geschieht sogar ein Mord. Dieser wird aber leider nur in einer Nebenhandlung erzählt. Neben den Hauptteilen des Romans werden überhaupt noch sehr viele Nebenstränge miteingebracht. Davon hätte man gut und gerne etwas weniger einbauen können. So zum Beispiel die Geschichte der Samoaner in der Völkerschau.

Der Roman ist im Fischer Krüger Verlag erschienen und diente gleichzeitig auch als Vorlage für eine mehrteilige Verfilmung.

Fazit:

Petra Grill entführt auf ein historisches Oktoberfest, welches sehr viel Wissenswertes und belegte Details vermittelt. Der Roman liefert beeindruckende Einblicke in die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Schankmädchen der damaligen Zeit. Auch wenn dieses Dasein alles andere als rosig war, gibt es im Roman doch einige erheiternde Stellen, die den Leser Schmunzeln lassen. 

Oktoberfest 1900 - Träume und Wagnis

Petra Grill, Fischer

Oktoberfest 1900 - Träume und Wagnis

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