Frieden
Film-Kritik von Carola Krauße-Reim (06.2021)
Titelbild: © SRF/Sava Hlavacek / polyband
Wenn Moral gegen Schweizer Franken abgewogen wird
1945: der Krieg ist zu Ende, der Frieden ist endlich errungen. Doch in der neutralen Schweiz hat „der Krieg erst begonnen“, denn die Wirtschaft muss angekurbelt und die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt werden. Gleichzeitig gilt es eingereiste Nazis und ihr in die Schweiz verbrachtes, eventuell unrechtmäßig erworbenes, Vermögen zu finden und zu konfiszieren.
Klara, Johannes und Egon
Klara, die im Wohlstand aufgewachsene Fabrikantentochter, kümmert sich um Kinder und Jugendliche aus dem Konzentrationslager Buchenwald. Sie ist erschüttert, was diese alles erleben mussten und entsetzt, wie wenig Einfühlungsvermögen und Hilfe ihnen auch jetzt noch entgegengebracht wird. Johannes, Klaras frisch angetrauter Ehemann, übernimmt die Geschäftsleitung der familieneigenen Tuchfabrik, doch die steht vor dem Ruin. Zwar hat Johannes eine zukunftsweisende Idee, doch dafür braucht er Geld und Know-how.
Johannes‘ Bruder Egon hat als Grenzsoldat Erfahrungen gemacht, die ihn verfolgen und beträchtliche Schuldgefühle verursachen. Jetzt sucht er für den Staat nach untergetauchten Nazis. Anfangs berühren sich diese Handlungsstränge kaum, doch schnell verflechten sie sich immer mehr, bis sich zum Schluss allen dreien die Frage stellt, wie man mit der Vergangenheit umgehen soll und wie man in der Zukunft leben will. Die Sehnsucht nach einem Neubeginn ohne Altlasten ist groß, doch auch nur schwer zu erreichen.
Unterhaltsam und dennoch tiefgründig
„Frieden“ ist eine vom Schweizer Fernsehen in Co-Produktion mit ARTE produzierte Mini-Dramaserie, die 2020 in der Schweiz und 2021 in Deutschland ausgestrahlt wurde. Im Vordergrund stehen die Probleme der drei Protagonisten Klara, Johannes und Egon. Doch was scheinbar persönlich ist, zeigt den Zustand des ganzen Staates: wie umgehen mit Nachkriegsdeutschland und den Holocaust-Überlebenden?
Die Kritik an den Schweizer Behörden ist nicht nur zwischen den Zeilen zu sehen. Die fragwürdigen Praktiken der Schweizer Regierung und den Banken im Umgang mit Nazis und deren oftmals unrechtmäßig angehäuften Vermögen, wird deutlich gezeigt. Hier wird die Moral zugunsten des Geldes mit Füßen getreten. Die Neutralität des Staates wird äußerst großzügig ausgelegt, sodass zur Fahndung ausgeschriebene Kriegsverbrecher mit genügend Finanzkraft untertauchen können, ihr Geld in aller Ruhe waschen um sich dann in außereuropäische Länder abseilen zu können. Wenn man dann Rechtfertigungen, wie „ich mache nur was mir aufgetragen wurde“ oder „ich habe nur Befehle befolgt“ hört, ist die Brücke zu den Kriegsverbrechern aus Deutschland geschlagen.
Trotz dieser großen Themen ist der Film unterhaltsam und auch spannend. Die Frage nach der Eigenverantwortung und dem Umgang mit Schuld und Moral ist so gut in der Geschichte verpackt, dass sie wie nebenbei erörtert wird und nie die Überhand über die eigentliche Erzählung bekommt. Hier hat das Drehbuch von Petra Volpe genau an den richtigen Stellen Akzente gesetzt, die herausstechen aber den Fluss der Handlung nicht behindern, sondern bestens ergänzen und voran treiben.
Die Schauspieler begeistern
Regisseur Michael Schaerer (Die kleine Hexe) lässt den Schauspielern viel Raum ihre Rollen zu beleben und auszufüllen. Und das schaffen alle mit Bravour! Die Schauspieler, die die „Buben“ aus Buchenwald verkörpern, schaffen es alle allein schon durch ihren Präsenz, ihre gekonnt gezeigte Gemütsverfassung und ihren oftmals stoischen Gesichtsausdruck ihre zutiefst verletzten Seelen und das körperlich durchgemachte Elend zu zeigen.
Besonders emotional schafft das der junge Miron Sharshunov in der Rolle des Jenkele, der das Warschauer Ghetto überlebte, um dann nach Buchenwald deportiert zu werden. Was mit seiner Familie geschah, weiß er nicht. Sharshunov spielt den schwer traumatisierten, einsamen und hilflosen Jungen gefühlvoll und glaubhaft.
Genauso, wie Jan Hrynkiewicz, der den älteren Herschel Weintaub spielt und, der trotz aller Bemühungen, immer gegen Wände rennt, denn der Nationalsozialismus hat leider nicht an den Grenzen Deutschlands angehalten. Was auch Sylvie Rohrer als Klaras Mutter glaubhaft unter Beweis stellt, die der Nazi-Ideologie immer noch anhängt. Ihre Tochter, die sich immer mehr von ihrer Familie abwendet, wird ausdrucksstark von Annina Walt gespielt. Sie macht die größte Entwicklung durch – von der wohlbehüteten Erbin bis hin zur kritisch denkenden Frau, die ihren eigenen Weg gehen will.
Von ihrem Mann Johannes (Max Hubacher) weiß man bis zum Schluss nicht, wie er sich entscheiden wird: gibt er der Moral den Vorrang vor der Rettung des Unternehmens? Hubacher zeigt diese innere Zerrissenheit mit jedem gekonnt eingesetzten Gesichtsausdruck und jeder Handlung. Genauso wie Dimitis Stapfer als Egon, der erst langsam seine verwundete Seele offenbart, alkoholsüchtig und verzweifelt nach Gerechtigkeit ruft.
Einzig der Charakter der amerikanischen Journalistin Rosenberg, gespielt von Lou Strenger, ist zu überzogen dargestellt. Extrem burschikos in Breeches und Lederstiefeln rast sie entweder mit ihrem Motorrad durch die Gegend, trinkt übertrieben lässig alles von Schnaps bis „Champagner-Ersatz“ und ist ebenso emotions- wie kompromisslos. Hier hätte ein bisschen mehr Differenz im Charakter für mehr Glaubwürdigkeit gesorgt.
Fazit:
„Frieden“ rüttelt auf! Die Mini-Serie beleuchtet die Rolle der Schweiz nach dem Ende des 2. Weltkrieges, wobei die emotionale Geschichte versiert in Szene gesetzt ist und von dem Können der Schauspielern profitiert. Der Zuschauer wird konfrontiert mit der stets aktuellen Frage nach Gerechtigkeit, Moral und Nächstenliebe und wird auf sanfte Weise animiert darüber nachzudenken.
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