100. Todestag
von Robert Koldewey
Archäologie als Lebensinhalt
Zum 100. Todestag von Robert Koldewey am 4. Februar 2025
Eine untergegangene Zivilisation, Ruinen monumentaler Bauten im Wüstensand, ein Protagonist, der mit einem Motorrad durch die Dünen brettert – was sich wie das Setting eines Indiana Jones-Films liest, ist die Lebensgeschichte eines Mannes, der mehr war als ein Schatzsucher.
Robert Koldewey wurde 1855 im Harz geboren, wuchs in Hamburg auf und war gelernter Architekt. Erst 1882 begann seine Karriere als Archäologe. Er schloss sich einer amerikanischen Gesellschaft in Assos an der Mittelmeerküste der heutigen Türkei an. Es folgten Grabungen und Aufenthalte auf der griechischen Insel Lesbos, in Unteritalien, Sizilien und schließlich Mesopotamien. Erstmals entdeckte Koldewey dort bisher unbekannte altorientalische Bauformen, die ihn faszinierten. Für seine Leidenschaft nahm er dabei einiges in Kauf: Robert Koldewey blieb zeitlebens unverheiratet und kinderlos, hangelte sich von einem bezahlten Grabungsprojekt zum nächsten und musste für seinen Lebensunterhalt zwischenzeitlich eine verhasste Lehrtätigkeit an der Baugewerkschule Görlitz aufnehmen. Auf Fotos sehen wir einen Mann mit stechendem Blick, stolzer Haltung und einem mächtigen Kinnbart. Laut Zeitzeugen war er eigenbrötlerisch und exzentrisch, in jedem Fall eine extravagante Persönlichkeit. Immer wieder blitzt in der persönlichen Korrespondenz Koldeweys auch sein geistreicher Humor hervor.
Er lebte in einer Zeit, in der antike Städte wie Olympia und Pergamon wiederentdeckt wurden. Der Beginn des 20. Jahrhunderts stellte die Hochphase des europäischen Orientalismus und Kulturimperialismus dar. Franzosen, Engländer und Amerikaner führten archäologische Ausgrabungen in den Kulturstätten der Antike durch – was dem damaligen deutschen Kaiser Wilhelm II. sehr imponierte. Auch er sehnte sich nach Trophäen und Relikten aus der Frühphase menschlicher Hochkulturen und träumte von einer großen preußischen Ausgrabung im Vorderen Orient.
Als der fließend arabisch sprechende Koldewey bei einer kaiserlichen geförderten Expedition der Deutschen Orient-Gesellschaft in Mesopotamien farbige Glasurziegelstücke findet, ist dies der Beginn eines Grabungsprojekts mit gigantischem Ausmaß und Koldeweys Lebenstraum: Vom orientbegeisterten Kaiser Wilhelm II. beauftragt, beginnt unter seiner Leitung die Ausgrabung der Ruinen von Babylon, einer der bedeutendsten Kulturmetropolen der modernen Zivilisation, die sich 90 Kilometer südlich von Bagdad im heutigen Irak befand und zwischen 1800 und 400 vor der Zeitenwende als Weltstadt florierte. 17 Jahre lässt Robert Koldewey ab 1899 in der mesopotamischen Wüste graben – und was zu Tage gefördert wird macht ihn weltberühmt.
Begründer der modernen vorderasiatischen Altertumswissenschaft
Die Ausgrabungen des antiken Babylons hatten ein gewaltiges Ausmaß. Ungefähr 200 Arbeiter waren im Einsatz und förderten neben Tonnen von Schutt Erstaunliches zu Tage: Den Palast von Nebukadnezar II. mit Mauern aus blau glasierten Ziegeln und Tierreliefs, den Zikkurat-Tempel des Stadtgottes Marduk (der vermutlich dem alttestamentarischen Turm zu Babel entspricht) inklusive einer einen Kilometer langen Prozessionsstraße und dem weltberühmten Ischtar-Tor sowie zahlreiche Bauwerke des öffentlichen Raums, die überwiegend aus Lehmziegeln erbaut waren. Akribisch wurden Fundstellen und -kontexte verzeichnet, egal wie irrelevant das Gefundene erschien. Es ging Robert Koldewey – im Gegensatz zu seinen Auftraggebern – weniger um archäologische Trophäen als um ein Verständnis für die monumentale Größe der städtischen Infrastruktur des alten Babylons. Unter erbarmungslosen Arbeitsbedingungen für die Arbeiter und ihn selbst wurden die Überreste dieser Weltstadt in brütender Hitze bis zu 20 Meter unter der Erde nach und nach freigelegt.
Koldewey initiierte zusätzlich Ausgrabungen in Assur und Uruk, dokumentierte die Fortschritte zeichnerisch ebenso wie fotografisch und wertete die Fundstücke aus. Auch Keilschrift-Tafeln entdeckten die Ausgräber – und trieben ihren Spaß mit Neuankömmlingen und Besuchern der Ausgrabung, denen gefälschte Objekte mit abstrusen Inhalten untergejubelt wurden. Bei solchen Anlässen gab sich Koldewey wie ein Dandy: Ein weißer Leinenanzug ist seine Arbeitskleidung, als Fortbewegungsmittel im Wüstensand nutzte er ein Motorrad.
Aber Koldewey war auch seriöser Wissenschaftler, veröffentlichte vorläufige Erkenntnisse über das Sozialleben und die Gesellschaftsstrukturen im alten Babylon, worauf er durch die zeitliche Einordnung von städtischen Bautätigkeiten Rückschlüsse ziehen konnte. Seine Journale, Mess- und Beobachtungsbücher waren wissenschaftlich korrekt, zugleich aber allgemein verständlich und wurden so zu zeitgenössischen Bestsellern. Sie dienen aber auch heute noch als Grundlage archäologischer Forschungen.
Der 1. Weltkrieg beendete die Forschungsarbeit des Teams um Koldewey in Babylon, als englische Truppen im Jahr 1917 Bagdad erobern. Koldewey muss die von ihm geleiteten Grabungen abbrechen und kehrt nach Berlin zurück. Physisch gezeichnet von Krankheiten wertet er dort die Funde bis zu seinem Tod am 4. Februar 1925 aus. Die Rekonstruktion des gewaltigen, beinahe 15 Meter hohen Ischtar-Tors und der Prozessionsstraße sowie der Außenmauer des Thronsaals werden erst 1930 in Berlin fertiggestellt. Bis heute bilden sie den Mittelpunkt des Vorderasiatischen Museums im Pergamon Museum in Berlin und machen das antike Babylon für die Besuchenden lebendig. Auch Robert Koldweys Grabmal hat bezeichnenderweise die Form einer babylonischen Zikkurrat.
Mit seiner topografisch systematischen Ausgrabung und deren Dokumentation war Robert Koldewey einer der Pioniere der vorderasiatischen Altertumswissenschaft. Er verstand Architektur als historische Quelle und begründete dadurch die Methodik der archäologischen Bauforschung. Diese bereitete den Weg für die heutige archäologische Feldforschung, die sich aufbauend auf seiner Methodik neuer technischer Möglichkeiten beispielsweise in Form von Terrain-Scans bedient. Nach Robert Koldewey hat sich nicht nur die 1926 gegründete wissenschaftliche Gesellschaft für Baugeschichtliche Forschung benannt, sein Leben wurde auch popkulturell verarbeitet. Die Autorin Kenah Cusanit hat den historischen Stoff der Wiederentdeckung Babylons durch Robert Koldewey zu dem Roman Babel literarisiert und stand mit ihrem Buch auf der Shortlist der Leipziger Buchmesse 2019.
Foto: © istock.com/oversnap
Literatur
Auf dem Weg nach Babylon. Robert Koldewey – ein Archäologenleben. Hrsg. von Ralf-Bernhard Wartke. Mainz: von Zabern 2008.
Post aus Babylon: Robert Koldewey, Bauforscher und Ausgräber: Briefe aus Kleinasien, Italien, Deutschland und dem Vorderen Orient. Hrsg. von Ursula Quatember und Hasgeorg Bankel. Wien: Phoibos 2018.
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