Stefan Maiwald
03.2018 Die Histo-Couch im Interview mit Stefan Maiwald über James Bond, Venedig und die Fähigkeiten seiner Ehefrau.
Glaubt an eure Idee!
Histo-Couch: Mit „Der Knochenraub von San Marco“ ist nun der zweite Roman um Davide Venier erschienen, ein dritter Band ist in Planung. Hand auf’s Herz: Als Sie den Entschluss gefasst haben, den „Spion des Dogen“ zu schreiben – hätten Sie gedacht, dass Davide Vernier so viele Abenteuer erleben dürfte?
Stefan Maiwald: Ich hoffte es natürlich, aber wer hätte damit rechnen können? Ein historischer Roman -- eigentlich jedes Buch – ist immer ein großes Risiko, denn der Markt ist voll von brillanten Werken, und von Jahr zu Jahr scheinen es mehr zu werden. Ich bin wirklich sehr dankbar über den Erfolg der Reihe. Andererseits: Die Lieblingsautorin meiner Töchter (15 und 12) heißt J. K. Rowling. Und immer wenn ich innerfamiliär meine bescheidenen Erfolge vermelde, dann wird das von ihnen mit den Auflagen, den Übersetzungen und den Verfilmungen von Harry Potter verglichen. Und das macht einen ganz schnell sehr demütig.
HIsto-Couch: Davide hat unübersehbare Parallelen zum Geheimagenten im Auftrag Ihrer Majestät, James Bond. Wie kamen Sie auf die Idee, einen Spion im Venedig des 16. Jahrhunderts zum Protagonisten Ihres Romans zu machen?
Stefan Maiwald: Ich habe von folgender Hollywood-Anekdote gehört: Die Drehbuchschreiber von „Alien“ gingen zum Produzenten und verkauften ihm die Idee mit nur drei Wörtern: „Jaws in space“. „Der Weiße Hai - aber im Weltraum“ – diese Herangehensweise hat mich fasziniert. Als ich die Idee „James Bond – aber 1570 in Venedig“ hatte, war ich mir sicher, dass es sie schon geben musste, sie war doch völlig naheliegend. Aber ich hatte Glück. Kleine Anekdote am Rande: Die Idee hatte ich schon vor vielen Jahren, doch meine Literaturagentin winkte ab. Es war gerade die Zeit des Riesenerfolgs der „Wanderhure“. Die Agentin sagte: „Es darf nicht Der Spion des Dogen heißen, sondern Die Spionin des Dogen. Nein, noch besser: Die Hure des Dogen!“ Das hat mich erst einmal entmutigt, denn damit wäre ja die ganze Idee dahin gewesen. Doch als ich mit der Agentin vor ein paar Jahren beim Abendessen war, fragte sie plötzlich: „Was ist denn jetzt mit deinem Spion? Schreib ihn doch endlich!“ Und das tat ich. Mein Rat an alle zukünftigen Autorinnen und Autoren: Glaubt an eure Idee!
Histo-Couch: Ihre Geschichten zeichnen sich zum einen durch eine spannende und abenteuerliche Geschichte aus, Sie nehmen sich aber auch die Zeit, das Flair der damaligen Zeit einzufangen und den Lesern einiges an Wissen über die damalige Zeit mitzugeben. Was ist Ihnen ganz persönlich wichtiger?
Stefan Maiwald: Ja, das mit dem Flair ist mir sehr wichtig, und obwohl die Besprechungen zu den Büchern wirklich sehr gut waren (jedenfalls bislang), war das doch ein Punkt, den einige Leserinnen und Leser geäußert haben. Aber ich finde es interessant zu wissen, wie eine Taverne im 16. Jahrhundert von innen aussah und wie um Geld gespielt wurde. Ich finde das auch äußerst unterhaltsam, und ich hoffe, dass dies den Lesern die Möglichkeit gibt, noch intensiver auf Zeitreise zu gehen und noch tiefer in die Welt des Romans einzutauchen. Und ich glaube, dass es die Spannung eines ganzen Buches erhöht, wenn der Geruch von heißem Kalfaterpech in die Nase steigt oder wenn man das Wimmern des armen Tropfes auf der anderen Kanalseite hört, dem der Barbier gerade, umringt von Schaulustigen, den Weisheitszahn zieht. Im Übrigen gibt es wohl wenige Städte, die so faszinierend sind wie Venedig. Man würde viel liegenlassen, wenn man nur einen atemlosen „page-turner“ produziert. Allerdings wird der dritte Band, den ich gerade schreibe – Arbeitstitel: „Die Toten von Rialto“ – extrem viel Tempo haben
Histo-Couch: In Ihrem neuen Roman geht es unter anderem um die Bedeutung von Reliquien. Es gibt unzählige Geschichten, was aus der Heiligen Lanze, dem Leichentuch Jesu und der Milch der Jungfrau Maria geworden ist. Wie geht man so ein unübersichtliches und von Legenden beherrschtes Thema bei der Recherche an?
Stefan Maiwald: Die Unübersichtlichkeit ist eigentlich eine große Hilfe, denn man hat gewissermaßen freie Bahn beim Erzählen. Ein Kirchenhistoriker sagte einmal, vom Kreuz Jesu fänden sich so viele Splitter in den Kirchen dieser Welt, dass man daraus eine komplette Arche Noah zimmern könnte. Kurz: Es gibt so viel Lug und Trug in der Welt der Reliquien, dass man freiheraus fabulieren darf. Ich erzähle wohl niemandem etwas Neues, wenn ich sage, dass praktisch alle Reliquien Fälschungen sein dürften. Aber erklären Sie das mal meiner italienischen Frau, einer Katholikin aus Padua, die sich selbstverständlich vor der Zunge des Heiligen Antonius bekreuzigt. Reliquien besitzen noch heute eine ungeheure Macht, und selbst auf Skeptiker üben sie eine eigenartige Faszination aus.
Histo-Couch: Ihrer lebendigen Beschreibung von Venedig lässt sich entnehmen, dass Sie diese Stadt schon mehrfach besucht haben. Welche anderen Handlungsorte Ihres Romans haben Sie besucht? Wie wichtig ist Ihnen die Recherche vor Ort?
Stefan Maiwald: Ich lebe in Grado, das ist Luftlinie nur etwa 50 Kilometer von Venedig entfernt, und die Lagune von Grado ist geologisch ähnlich nur eben nicht von zauberhaften Palazzi bebaut, sondern von den Schilfhütten der Fischer. Das Gefühl für die Umgebung ist also da. Zudem behauptet Grado, die Mutter Venedigs zu sein, wofür einiges spricht. Venedig entstand, weil die Festlandsbewohner vor den Langobarden zunächst in die Lagune von Grado flüchteten und von dort aus nach und nach weitere Laguneninseln besiedelten. Ich schätze, dass ich in den letzten zwei Jahren 30 bis 40 Tage in Venedig verbracht habe. Aber ganz ehrlich: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das immer notwendig gewesen wäre. Mit den heutigen Möglichkeiten kann man ja auch vom Computer aus durch jede Gasse bummeln und jede Kirche besichtigen, und die Literatur über Venedig füllt Bibliotheken. Andererseits entdeckt man doch auch die eine oder andere Sache: Ein wirkliches Gefühl für die Stadt, ihre Gerüche und Geräusche, stellt sich nur vor Ort ein. Generell sind mir alle italienischen Schauplätze gut bekannt. Ich hatte sogar einmal eine Audienz beim Papst in Rom, so wie Davide Venier! Zwar mit 300 anderen, aber immerhin. Keine Ahnung, wie meine Frau das gedreht hatte. Vielleicht hat der Heilige Antonius da doch mitgeholfen&
Histo-Couch: Eine nicht unbedeutende Rolle in Ihren Romanen spielt auch das Essen. Davide isst gerne und Hasan ist ein ausgezeichneter Koch. Was essen Sie als Wahlitaliener eigentlich lieber: deutsche oder italienische Küche?
Stefan Maiwald: Man muss wohl zugestehen, dass die Italiener kulinarisch weiter sind als wir und Essen im täglichen Leben einen viel höheren Stellenwert hat. Doch von außen betrachtet, weiß ich die deutsche Küche immer mehr zu schätzen. Was man aus guten Kartoffeln alles anstellen kann, ist großartig, und bei meiner italienischen Verwandtschaft haben meine Bratkartoffeln einen geradezu mythischen Ruf. Aber auch einen Gänsebraten mit Rotkohl zu Weihnachten habe ich lange vermisst, bis ich ihn dieses Mal einfach selbst gemacht habe.
Histo-Couch: In Ihrer Freizeit spielen Sie leidenschaftlich Golf. Was ist Ihr Handicap beim Schreiben?
Stefan Maiwald: Ich verfüge über einigermaßen Selbstdisziplin, aber wenn ich mich mit den ganz Großen vergleiche, dann bin ich wohl noch zu nachlässig. Raymond Chandler hatte jeden Tag ein rigoroses Schreibfenster von exakt vier Stunden. Der Trick: Wenn er nichts schrieb, durfte er nichts anderes machen. Vittorio Alfieri, ein italienischer Dramatiker, ließ sich sogar an seinem Stuhl festbinden, um ein Werk endlich fertigzustellen. Das würde in unserer Zeit natürlich nichts nützen, Facebook und Instagram kann man ja auch gefesselt ansteuern.
Histo-Couch: Wenn Sie nicht an Ihrem neuen Roman schreiben oder für diesen recherchieren – was lesen Sie privat am liebsten?
Stefan Maiwald: Das ist vollkommen eklektisch. Ich versuche, immer einen Klassiker neben dem Bett zu haben. Sachbücher gehören zum Beruf, glücklicherweise gibt es kaum spannendere Lektüre als über die Geschichte des Mittelmeers. Aber ich liebe auch Unterhaltung, etwa die Reisebücher von Bill Bryson, und ich lese sehr, sehr viele Zeitschriften. In diesem Augenblick liegen folgende Bücher auf dem Nachtschrank: Marguerite Yourcenars „Ich zähmte die Wölfin“, David Sedaris’ „Tagebücher“, „Das Mittelmeer“ von David Abulafia, „Die Geschichte der Welt in 100 Objekten“ von Neil MacGregor und „Shakespeare“ von Peter Ackroyd (der übrigens auch ein exzellentes Sachbuch über Venedig geschrieben hat). Und der neue Asterix-Band „Asterix in Italien“! Im Auto immer dabei ist „Krieg und Frieden“ als 66-Stunden-Hörbuch.
Histo-Couch: Nochmal zu James Bond: Kein neuer James-Bond-Film ohne die Debatte über den besten Darsteller des Geheimagenten. Wenn Sie die Wahl hätten: Wer sollte Davide Venier auf der Leinwand verkörpern?
Stefan Maiwald: Ich habe die Frage an meine Töchter weitergegeben, die ganz aufgeregt „Benedict Cumberbatch!“ rufen. Wenn der gerade keine Zeit hat, dann, finden meine Töchter, dürfte es auch gern Chris Hemsworth sein.
Histo-Couch: Die obligatorische Frage zum Schluss: Wann kehrt Davide Venier denn zurück? Und können Sie uns schon ein paar Details verraten?
Stefan Maiwald: Band 3 erscheint im Frühjahr 2019. Nachdem ich die Leser im „Knochenraub von San Marco“ mit auf eine Reise quer durch Europa genommen habe, wird der nächste Band fast ausschließlich in Venedig spielen – mit der wichtigen Ausnahme der Seeschlacht von Lepanto 1571.
Das Interview führte Christina Wohlgemuth im März 2018.
Fotos: © Martin Hangen
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