Christof Weigold
03.2020 Die Histo-Couch im Interview mit Christof Weigold über das frühe Hollywood, Charlie Chaplin und Skandale in Hollywood.
Eigene Erfahrungen, Recherchen und Fantasie vermischen sich
Histo-Couch: „Der blutrote Teppich“ ist bereits der zweite Roman um Hardy Engel, der in den 1920ern als Privatdetektiv und gescheiterter Schauspieler in Hollywood ermittelt. Wie sind Sie auf die Idee zu dieser Reihe gekommen?
Christof Weigold: Die Grundidee kam durch die Begeisterung für Noir-Krimis von Chandler und Hammett – vor allem für den hard-boiled Schreibstil - und liegt schon lange zurück. Es dauerte dann viele Jahre, über die sich mein Konzept entwickelt hat – das Interesse an der Stummfilmzeit, die Entdeckung, dass Carl Laemmle und andere Deutsche Hollywood mitgegründet hatten, Bücher wie „Hollywood Babylon“ von Kenneth Anger über die vielen authentischen Skandale, letztlich die Entscheidung, in einer Krimireihe das frühe Hollywood zu erzählen... Das 1. Kapitel von „Der Mann, der nicht mitspielt“ lag ungefähr 13 Jahre in der Schublade. Dann irgendwann 2015 hatte ich alles zusammen und begann zu schreiben... und stellte ohne Verlag, ohne Agent den 1. Band von 640 Seiten fertig.
Histo-Couch: Die Romane basieren auf realen ungeklärten Fällen. In „Der Mann, der nicht mitspielt“ geht es um den Schauspieler Fatty Arbuckle und einen Mordverdacht an ihn. Man kann über den Fall einiges nachlesen. Wie sieht da die Quellenlage aus?
Christof Weigold: Fatty Arbuckles Karriere wurde durch die Vorwürfe und die Gerichtsprozesse zerstört, obwohl er letztlich freigesprochen wurde. Er war der Sündenbock, und leider wird er heute meist – sofern man ihn überhaupt noch kennt – als „der Mann, der mit einer Flasche ein Starlet vergewaltigt hat“ angesehen, eine Art früher Harvey Weinstein! Er war jedoch unschuldig, aber geriet erst an eine erpresserische Zeugin und einen ehrgeizigen Staatsanwalt, dann an die Boulevardpresse und dann war Hollywood durch den Skandal so unter Druck, dass sie ihn opferten. In Büchern wie David Yallops “The day the laughter died“ kann man die wahren Hintergründe nachlesen. Auch ich wob meine fiktive Geschichte - was dort wirklich passiert ist und mein Detektiv nach und nach aufdeckt - an den recherchierbaren Fakten entlang. Natürlich bei allen schriftstellerischen Freiheiten.
Histo-Couch: Waren Sie auch in irgendwelchen Archiven der Filmstudios zur Recherche? Kennen Sie sich in Hollywood aus?
Christof Weigold: Ich war mehrfach in Hollywood, die Gegebenheiten vor Ort kenne ich gut, allerdings waren sie 1921 noch ganz anders – es war nur ein staubiges Dorf. Ich fuhr viel mit dem Auto herum (wie mein Detektiv) und aß im ältesten Restaurant, Musso & Frank, wo ich auch über die Prohibitionszeit nachgeforscht habe (dort wurde offen Alkohol serviert). Recherchiert habe ich auf dem Hollywood Forever Cemetery, im Los Angeles Police Museum, das sich in einem alten Polizeirevier aus den Zwanzigern befindet, und im Hollywood Heritage Museum – dort wird der Geschichte des frühen Hollywood gehuldigt, von einem privaten Verein von Filmemachern und Historikern, die mich sehr gut und kompetent beraten haben. Das Museum befindet sich in der Scheune, in der 1913 der erste Spielfilm in Hollywood gedreht wurde (sie kommt in meinen Büchern vor!), dort ist auch das Büro von Regisseur Cecil B. DeMille aufgebaut.
Histo-Couch: In „Der blutrote Teppich“ geht es um den Mord an dem Regisseur William Desmond Taylor, auch ein wahrer, ungelöster Fall. Wo liegt der Unterschied in der Recherche zum Vorgänger?
Christof Weigold: Dies ist – anders als „Der Mann, der nicht mitspielt“, der sich aus einem anfangs „harmlosen Auftrag“ entwickelt - ein ganz klassischer Mordfall mit einer Leiche am Anfang, ein Whodunit. Die Spuren und Indizien des Falles sind sehr gut erforscht, obwohl er seit 98 Jahren unaufgeklärt und vertuscht ist, es gibt eine richtige Fangemeinde des Falles. Ich habe vier seriöse Sachbücher dazu gelesen, jedes von ihnen folgt einer anderen Mordtheorie und belegt sie recht schlüssig. Ich habe meine Version anhand all dessen gut überlegt und ausgesponnen – alle bekannten Spuren werden auch von Hardy Engel verfolgt, doch welches ist die richtige? Das zeigt erst der Showdown. Im Übrigen war ich auch am Tatort, wo Taylors Haus stand – es wurde 1967 abgerissen und heute ist dort ein Supermarkt-Parkplatz...
Histo-Couch: In den Büchern gibt sich die Hollywood-Prominenz die Klinke in die Hand, im „blutroten Teppich“ noch mehr als im Vorgänger. Wie ist es, reale Persönlichkeiten zum Leben zu erwecken?
Christof Weigold: Ich gehe dabei eigentlich vor wie ein Schauspieler – ich recherchiere alles, was ich über diese Personen bekommen kann, arbeite mit ihren Eigenheiten und versetze mich dann in sie hinein und schreibe auf, was sie sagen... Viele dieser Produzenten, Regisseure und Schauspieler waren sehr verschroben – Laemmle oder Goldwyn, aber auch Chaplin und die Schauspielerinnen. Auch hilft es, dass ich die Leute von heute kenne und nach 25 Jahren im Filmgeschäft weiß, wie sie denken und reden... so ergeben sich Romanfiguren, die ich für ziemlich authentisch halte!
Histo-Couch: Wie nähert man sich literarisch einer Ikone wie Charlie Chaplin, der ja einige Male in Ihrem Roman auftaucht?
Christof Weigold: Ich sehe ihn wie wir alle bildlich vor mir, so lebendig schildere ich ihn auch. Man kann über Chaplin sehr viel nachlesen, auch über seine Arbeitsweise, z.B. dass er zum Brainstorming Geige spielend durch die Gegend lief. Zudem war ich ja selbst jahrelang Gagautor – für Harald Schmidt – und so konnte ich auch aus eigener Anschauung schildern, wie Ideenfindung funktioniert. Insofern vermischen sich da eigene Erfahrungen, Recherchen und Fantasie, mein Chaplin ist natürlich fiktiv, doch kommt man ihm womöglich näher als in reinen Biografien...
Histo-Couch: In den Romanen laufen gefühlt nur reale Personen herum. Wer ist eigentlich fiktiv? Polly vielleicht?
Christof Weigold: Vor allem meine Hauptfigur Hardy Engel ist fiktiv, er recherchiert aber den Fall entlang der authentischen Fakten und begegnet natürlich laufend realen Personen. Es gibt keine historische Figur mit dem Namen Polly Brandeis, doch es gab sehr wohl zahlreiche junge Regisseurinnen – und die Geheimnisse, die es bei Polly zu entdecken gibt, haben ebenfalls authentische Hintergründe... Die Polizisten und Sicherheitschefs der Studios sind ebenfalls von mir geschaffene Figuren, aber natürlich gab es Leute in diesen Funktionen.
Histo-Couch: Die Fälle sind offiziell ungelöst, Sie präsentieren aber Ihre Versionen der Abläufe. Wie ist tatsächlich die Beweislage, und droht Ihnen Ärger?
Christof Weigold: Zur Beweislage: Hardy Engel präsentiert uns eine authentisch mögliche Lösung des legendären Mordrätsels – aber da in Hollywood und in der Welt des Noir-Krimis ja immer alles vertuscht wird, bleibt ganz am Ende meiner Geschichte der historische Status Quo erhalten, dass der Fall offiziell ungelöst ist... Da ja von Anfang an klar ist, dass es sich um einen Roman handelt, und die Auflösung von einer Romanfigur präsentiert wird, ist es legitim, das so zu erzählen (nicht anders als z.B. bei James Ellroy).
Histo-Couch: Wie sahen die Recherchearbeiten aus?
Christof Weigold: Neben den Recherchen in Hollywood: Die Sachbücher zum Fall waren natürlich sehr wichtig, und Biographien aller Beteiligten... überhaupt eine sehr lange Liste von Büchern über jene Zeit! Zur Fliegerei und den Flugpionieren habe ich mich von dem Experten Andreas Hempfer vom Deutschen Museum München beraten lassen – wie sah eine Flugstunde 1922 aus? Auch Filmhistoriker habe ich konsultiert, für Band 3 z.B. dazu, wie automatische Filmkopiermaschinen 1923 aussahen.
Histo-Couch: Kann man sagen, dass es aufgrund der Geschehnisse in beiden Büchern es seitdem eine Art Verhaltenskodex für Filmstudios gibt und Sie quasi die Geburt der modernen Filmstudios beschreiben?
Christof Weigold: Ja, mehr oder weniger: Um den Skandal im 1. Band (und alle weiteren) einzudämmen, wurde ja Postminister Will Hays als oberster Zensor der Filmbranche bestimmt. Das Hays Office erließ Regeln, den sogenannten Moral Code, für potentielle Sünder. Aber um es mit Hardy Engels eigenen sarkastischen Worten zu sagen: „Natürlich werden Sie sich alle daran halten“. Weitere Skandale waren also programmiert.
Histo-Couch: Sollten die Bücher je verfilmt werden – sollte dies in schwarz-weiß geschehen? Und welchen Darsteller würden Sie sich für Hardy Engel wünschen?
Christof Weigold: Als Drehbuchautor wünsche ich mir eine Verfilmung natürlich, es gab auch schon Interessenten. Man kann einen Spielfilm daraus machen, aber geschrieben sind die Bücher eigentlich so, dass sie eine Serie ergeben könnten. Ob schwarzweiß oder in Farbe, ist dann eine Entscheidung für sich, Sender und Produzenten würden vermutlich Farbe vorziehen. Dann wäre der Teppich auch „blutrot“ ;-) (was sich übrigens auf den historischen allerersten roten Teppich bei einer Premiere am Ende des Buches bezieht). Für die Rolle von Hardy würde ein Typ wie Ryan Gosling gut passen (oder ein Deutscher, der so ist, wie der junge Jürgen Vogel). Carl Laemmle wäre eine super Rolle für – Christoph Waltz, einen weiteren Deutschen in Hollywood.
Histo-Couch: Wird es weitere Ermittlungen von Hardy Engel geben?
Christof Weigold: Ja, der dritte Band mit dem Titel „Die letzte Geliebte – Hollywood 1923: Hardy Engels dritter Fall“ ist bei Kiepenheuer & Witsch terminiert für August 2020, ich lege gerade letzte Hand daran. Eine Geschichte und ein wirklich krasser Fall, der noch einmal ganz anders ist als die beiden vorherigen, doch mit meinem üblichen Ermittler Hardy... Im September erscheint außerdem in der „Mord am Hellweg“-Anthologie X meine Kurzgeschichte, die in Unna im Nicolaiviertel spielt – eine Art Prequel, die zehn Tage vor Hardy Engels Emigration nach Amerika in Deutschland spielt und seine spannende Vorgeschichte erzählt. Natürlich gibt es noch viele Skandale für weitere Bände der Reihe...
Das Interview führte Carsten Jaehner im März 2020.
Foto: © Gerald von Foris
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