Marco Malvaldi
05.2021 Julian Hübecker im Gespräch mit Marco Malvaldi - Autor von Der geheime Auftrag.
"Als Italiener brüstet man sich gerne mit Leonardo (da Vinci) als Landsmann, doch fängt man erst einmal an, sich einzulesen, wird einem klar, wie wenig man eigentlich über ihn weiß."
Histo-Couch: Ich muss zugeben, dass Der geheime Auftrag mein erstes Buch von Ihnen war. Gleich als erstes ist mir Ihre besondere, ungewöhnliche Art zu schreiben, aufgefallen. Wie würden Sie am ehesten Ihren Schreibstil beschreiben?
Marco Malvaldi: Am meisten haben mich schon immer Autor*innen beeindruckt, die eine Verbindung zu ihrer Leserschaft aufbauen können und ihre eigenen Gedanken mitteilen - allen voran die namhaften britischen Humoristen wie Jerome Klapka Jerome oder P. G. Wodehouse. Alessandro Manzoni, einer der großen italienischen Romanautoren, hat einen immer direkt angesprochen wie einen Freund. Wenn ich lese, ist der Autor für mich so etwas wie ein öffentlicher Freund, und das versuche ich auch selbst zu sein, wenn ich schreibe: ein öffentlicher Freund, den man gerne wiedersehen und mit dem man sich austauschen möchte, ohne dabei Angst haben zu müssen, jemandem auf den Schlips zu treten oder sich selbst als unwissend zu offenbaren. Nun kann man ein Buch natürlich einfach zuklappen und sich verabschieden, sobald man müde wird. Bei einem Freund könnte das unhöflich wirken …
Histo-Couch: Am meisten bekannt sind Sie (zumindest hierzulande) für Ihre Krimireihe um den Barbesitzer Massimo. Ihr aktueller Roman versetzt die Leser jedoch in die Renaissance. Wie kam es zu Ihrer Lust, mal in die Vergangenheit zu reisen?
Marco Malvaldi: Das sind auch in Italien meine bekanntesten Bücher. Der Grundstein zu Der geheime Auftrag hatte aber wirklich etwas von der Renaissance – in dem Sinne, dass ich von meinem Lektorat direkt gebeten wurde, einen historischen Roman über Leonardo zu schreiben. Ein Schriftsteller kann nicht einfach sagen: „Nein, das schaffe ich nicht.“ Liefert ein Schriftsteller schlechte Arbeit ab, kann man das Ergebnis notfalls einfach wegwerfen. Bei einem Chirurgen zum Beispiel sähe das ganz anders aus …
Wie dem auch sei, historische Romane üben einen großen Reiz auf mich aus. Grundlegend betrachtet ist der historische Roman ja DER Roman schlechthin. Man muss sich an weithin bekannte Fakten halten, doch gleichzeitig auch eine interessante Geschichte erschaffen. Amos Tversky, ein berühmter isrealischer Psychologe, pflegte zu sagen: “Interessante Geschichten passieren nur denen, die imstande sind, interessante Geschichten zu erzählen.“ [“Interesting stories happen only to people able to tell interesting stories.”] Wenn wir selbst eine Geschichte erfinden, wählen wir aus allem, was passiert, die Elemente aus, die uns am meisten ansprechen, und daraus ergeben sich spannende Kausalketten. Und geht es um einen historischen Stoff, ist man gezwungen, sehr sorgfältig vorzugehen und gleichzeitig seine Vorstellungskraft bis an ihre Grenzen und darüber hinaus zu beanspruchen, um sich mögliche Erklärungen für belegte historische Tatsachen auszudenken. Das ist eine echte Herausforderung, der ich mich gern gestellt habe – ohne sicher zu sein, dass ich ihr gewachsen war …
Histo-Couch: Ein historischer Roman setzt auch einiges an Recherchearbeit voraus. Ist Ihnen das schwer gefallen oder wie war es, in Leonardos Vergangenheit zu reisen?
Marco Malvaldi: Anfangs bot das Buch eine wunderbare Ausrede, um Experten auf die Nerven zu gehen. Ich habe viele Leute eingespannt, die mir geholfen haben, Leben und Werk von Leonardo aufzubereiten, und der Prozess hat zwei Jahre gedauert. Hätte ich das ganz alleine machen müssen, wäre es vermutlich ein Jahrtausend geworden. Als Italiener brüstet man sich gerne mit Leonardo als Landsmann, doch fängt man erst einmal an, sich einzulesen, wird einem klar, wie wenig man eigentlich über ihn weiß. Das war für mich das Schönste beim Schreiben dieses Buches: Im Rahmen der Recherche durfte ich so viel Neues lernen, das ich sonst vermutlich nie erfahren hätte.
Histo-Couch: Was beeindruckt Sie am meisten an Leonardo da Vinci? Erkennen Sie auch ein Stück von ihm in sich selbst wieder?
Marco Malvaldi: Ich glaube, jeder von uns erkennt ein Stück von sich selbst in Leonardo wieder. Er hat so viel geleistet, dass es fast unmöglich ist, gar kein Interesse für ihn aufzubringen. Er war ein Junge, der gern seinen Verstand einsetzte und trotz allem, was um ihn herum vorging, sehr aufrichtig in seinem Unterfangen war, die Phänomene der Natur zu verstehen und zu erklären. In seinen Notizen über Kunst und Malerei heißt es einleitend sinngemäß: “Die Malerei ist die Wissenschaft der zweidimensionalen und starren Wiedergabe von Dingen, die in Wirklichkeit dreidimensional sind und sich fortbewegen.“ [“Painting is the science of reproducing in two dimensions, and still, something that, in reality, is three-dimensional and, moreover, moves.”] Er sprach von der Malerei also wie von einer Wissenschaft statt einer Kunst. Er war sich der oft sinnlosen Unterscheidungen, die zwischen verschiedenen Aspekten abstrakter Schöpfungen des menschlichen Verstandes getroffen werden, sehr bewusst. Was mich am meisten beeindruckt ist aber, was für eine wahre Lernmaschine Leonardo war. Seine Schriften stecken voller Aussagen wie „Diesen oder jenen fragen, wie es funktioniert“, „Luca Pacioli bitten, die Euklidische Geometrie beizubringen“ usw. In Mailand angekommen, unterliefen ihm zunächst große Fehler in grundlegender Mathematik (im Bereich der fraktionalen Infinitesimalrechnung); fünf Jahre später illustrierte er das Buch des berühmtesten italienischen Mathematikers. Da war dieser unbedingte Wille, zu lernen, und auch wenn er nicht immer die Mittel hatte, wusste er doch, wie er dieses Ziel erreicht.
Histo-Couch: Zu guter Letzt: Darf man auf den Beginn einer Reihe hoffen? Da Vincis Leben bietet mit Sicherheit noch einiges an Stoff, für weitere Bücher…
Marco Malvaldi: Ich weiß nicht so recht. Ein solcher Charakter kann einen überfordern. Und als Schriftsteller bin ich natürlich Egomane und möchte nicht in jemandes Schatten stehen. Spaß beiseite, die großen Namen der italienischen Renaissance und des Barock wie Gerolamo Cardano, Giordano Bruno oder Galileo Galilei faszinieren mich schon. Mein nächster historischer Roman könnte sich um sie drehen. Galileo zum Beispiel musste öffentliche Vorlesungen halten, um eine Anstellung als Universitätsdozent zu bekommen. In einer dieser Vorlesungen ist ihm ein furchtbarer Fehler unterlaufen, der später jedoch zur Grundlage einer neuen wissenschaftlichen Lehre geworden ist. Aber das ist eine andere Geschichte …
Das Interview führte Julian Hübecker im Mai 2021.
Übersetzt von Ynnic Niehr.
Foto: Archivio Giunti
Neue Kommentare