Titus Müller
„Es ist illusorisch zu denken, man könne eine völlig neue Geschichte erfinden.“
07.2009 Titus Müller sprach mit der Histo-Couch über seine Lesegelüste, das unbewusste Übernehmen von Ideen anderer Autoren und über das Glück, ein langsamer Schreiber zu sein.
Histo-Couch: Herr Müller, oft geht bei Autoren dem Schreiben eine große Leselust voraus. Was bedeutet Ihnen Literatur?
Titus Müller: In meiner Kindheit war das Lesen eine Möglichkeit, mir selbst zu entkommen. Ich habe viel geweint als Kind, war eine richtige Heulsuse. Durch Bücher konnte ich Abstand zu mir gewinnen und in eine andere Welt entfliehen. Heute ist für mich die Literatur weniger Flucht, aber sie bietet mir immer noch die Möglichkeit, Neues zu entdecken. Das macht mir Spaß.
Histo-Couch: Von Theater-Autoren sagt man ja, dass sie nie ein Theaterstück besuchen können, ohne mit Argusaugen auf Fehler zu achten. Ist das bei Ihnen auch so? Können Sie Bücher noch genussvoll lesen?
Titus Müller: Oft genieße ich Bücher in vollen Zügen. Ich kann beim Lesen über Schwächen hinweg sehen und lasse mich ganz auf die Geschichte ein. Grundsätzlich bin ich also immer noch ein Leser aus Vergnügen. Manchmal gehe ich aber auch analytisch an Bücher heran, um etwas vom Autor zu lernen und zu verstehen, warum mich eine Szene oder eine Figur so begeistert.
Histo-Couch: Sie haben sich dem Genre der historischen Romane verschrieben. Gilt diese Vorliebe auch für die von Ihnen gelesenen Bücher?
Titus Müller: Nein, ich bin ein Allesfresser. Ich lese durcheinander alte Klassiker, Sachbücher, Fantasy und Sciencefiction, natürlich auch historische Romane, aber eben nicht nur. Die Abwechslung ist für mich das Entscheidende. Ich liebe es, ein neues Buch zur Hand zu nehmen und anzufangen, es zu lesen. Dabei lasse ich mich gern von einem neuen Stil oder einem neuen Thema überraschen.
Histo-Couch: Wenn Sie selbst so gerne lesen, besteht dann nicht die Gefahr, dass Sie unbewusst gewisse Ideen übernehmen und in Ihre eigenen Bücher transportieren?
Titus Müller: Ich finde nicht, dass man das verhindern muss. Es ist illusorisch zu denken, man könne eine völlig neue Geschichte erfinden. Wir stehen nur auf den Schultern der Autoren, die vor uns da waren. Ich habe gar nicht den Anspruch, etwas noch nie Dagewesenes zu entdecken, sondern möchte eine gute Geschichte entwickeln und sie mit meinen Worten erzählen.
Histo-Couch: Momentan wird im historischen Bereich sehr viel geschrieben. Passiert es Ihnen da manchmal, dass Sie dabei sind, einen Plot zu entwickeln und in diesem Moment kommt das Buch eines anderen Autors zum gleichen Thema auf den Markt?
Titus Müller: Einmal ist mir das passiert. Als ich die Arbeit an meinem Roman „Die Brillenmacherin“ aufnahm, habe ich festgestellt, dass sich Rebecca Gablé für „Das Lächeln der Fortuna“ dem gleichen Thema zugewandt hat. Ich habe mich dann mit ihr ausgetauscht und einfach einen anderen Schwerpunkt gewählt. Ich erzähle jetzt quasi die Jahre, die sie auslässt und setze eine andere Gewichtung. Abgesehen davon hat natürlich jeder seine persönliche Sicht der Dinge. Für den Leser ist es ja auch reizvoll, das zu entdecken.
Histo-Couch: Wie stehen Sie zu den anderen Autorinnen und Autoren?
Titus Müller: Ich bewundere viele Kolleginnen und Kollegen und freue mich daran, dass sie so herrlich schreiben.
Histo-Couch: Sie schreiben nicht nur, Sie moderieren auch eine Literatursendung im Fernsehen. Fordert Sie dieser Spagat?
Titus Müller: Das einzige Opfer, das ich bringen muss, ist, dass mir oft über Wochen der Lesestoff vorgegeben ist. Ich muss mich dann mit dem, was ich lese, nach dem Thema der Sendung richten und kann nicht frei nach meiner momentanen Leselust vorgehen. Aber die Fernsehgeschichte ist etwas sehr Kommunikatives, das kommt mir entgegen. Die Literatursendung ist eine gute Abwechslung zur einsamen Arbeit am Schreibtisch.
Histo-Couch: Sie haben, obwohl Sie noch sehr jung sind, bereits einige Bücher veröffentlicht. Fürchten Sie, dass Ihnen irgendwann die Ideen ausgehen?
Titus Müller: Mein Glück ist, dass ich so langsam schreibe. Ich schreibe langsamer, als mir die Ideen durch den Kopf gehen. So ist immer mindestens eine neue da, bevor ich mit einem Roman zu Ende bin.
Histo-Couch: Können Sie sich vorstellen, auch einmal ein Buch in einem anderen Genre zu veröffentlichen? Oder bleiben Sie dem Historischen treu?
Titus Müller: Vorstellen könnte ich mir das durchaus. Das Historische zieht mich aber sehr an. Es ist interessant, über Menschen zu schreiben, die anders gedacht und gelebt haben. Es öffnet mir die Augen für meine Welt heute. Ich muss kein Feuerholz sammeln, sondern wohne in einer geheizten Wohnung. Ich muss nicht zum Brunnen laufen und Wassereimer schleppen, sondern drehe bequem bei mir zu Hause die Leitung auf. Ich esse Obst und Gemüse aus aller Welt. Wenn ich mich mit anderen Zeitaltern befasse, wird mir bewusst, in welchem Luxus ich heute lebe.
Histo-Couch: Gibt es eine Zeit, über die Sie gerne einmal schreiben möchten?
Titus Müller: Bisher habe ich ja über das frühe Mittelalter und übers Hochmittelalter geschrieben. Mein neuer Roman ist im 18. Jahrhundert angesiedelt.
Histo-Couch: Wer ein Buch veröffentlicht, wird über kurz oder lang auch mit negativen Kritiken konfrontiert. Wie gehen Sie mit Leserreaktionen um?
Titus Müller: Ich kann von den Rückmeldungen der Leser viel lernen. Ich nehme mir dann vor, es beim nächsten Roman besser zu machen. Zum Beispiel hatten meine Leser mal das Problem, dass die Namen zweier Figuren zu ähnlich waren, und sie sie deshalb verwechselt haben beim Lesen. Seitdem achte ich darauf, den Figuren Namen zu geben, die sich deutlich unterscheiden.
Histo-Couch: Wovor fürchtet sich der Autor Titus Müller?
Titus Müller: Meine Grundangst beim Schreiben ist, die Leute zu langweilen. Das wäre für mich das Schlimmste. Dass ich hin und wieder Fehler mache, ist klar, das lässt sich nicht vermeiden. Aber Langeweile darf nicht sein.
Histo-Couch: Haben Sie Mühe damit, ein Buch loszulassen, wenn Sie es fertig geschrieben haben?
Titus Müller: Nein, das war für mich noch nie ein Problem.
Histo-Couch: Wann haben Sie Ihre Freude am Schreiben entdeckt?
Titus Müller: Als Kind war ich eine Leseratte, ich habe mir aber nie Gedanken darüber gemacht, wo die Bücher herkommen. Ich habe ab und an mal kleine Rittergeschichten geschrieben. Intensiv wurde es mit dem Schreiben bei mir mit 17, seit dieser Zeit schreibe ich jeden Tag.
Histo-Couch: Vielen Dank für das Interview!
Die Fragen stellte Rita Dell’Agnese.
Neue Kommentare