Charlotte Sandmann

„Ich würde lieber im Jetzt leben“

11.2009 Histo-Couch im Interview mit Charlotte Sandmann über Java, die Rolle der Frau im 19. Jahrhundert und unrühmliche Themen.

Histo-Couch: Frau Sandmann, ihre beiden bisher erschienen Romane „Kalte Zärtlichkeit“ und „Paradies in Flammen“ spielen beide im 19. Jahrhundert. Welchen Bezug haben Sie zu jener Zeit?

Charlotte Sandmann: Angefangen hat es eigentlich mit Sherlock Holmes. Schon als Kind habe ich das gern gelesen. Nebel, Gaslicht, finstere Schurken, tapfere Frauen – und eine aufbrechende Welt der Wissenschaft, besonders in der Kriminalistik und in der Medizin, aber auch auf ganz anderen Gebieten, z.B. im Spiritismus, der, wenn auch vergeblich, versuchte die Postulate der Religionen wissenschaftlich zu beweisen.

Histo-Couch: Sie üben in Ihren Romanen subtile bis offene Kritik an gesellschaftlichen Normen und Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts. Hat sich aber nicht gerade in jener Zeit die Gesellschaft stark verändert?

Charlotte Sandmann: Ja, gewiss, und das macht diese Epoche ja auch so faszinierend. Aber die Unterschiede zu heute sind doch dramatisch. Man kann als Frau des 21. Jahrhunderts nicht anders als entsetzt sein bei dem Gedanken, dass es damals durchaus möglich war, ein junges – oft noch sehr junges – Mädchen gegen seinen Willen ans andere Ende der Welt zu verheiraten, wie in „Paradies in Flammen“. Oder, wie in „Kalte Zärtlichkeit“, dass mit der Eheschließung der gesamte Besitz einer reichen Frau in den des Mannes überging und sie zur rechtlosen Bettlerin im eigenen Haushalt wurde. Das Drama entsteht für mich daraus, dass die gesellschaftlichen Sitten dieser Zeit für uns oft unvorstellbar sind, und uns andererseits diese Epoche sehr viel näher steht als, sagen wir, das 16. Jahrhundert.

Histo-Couch: In Ihren Romanen spielen junge selbstbewusste Frauen eine tragende Rolle. Haben Sie Vorbilder für diese Protagonistinnen?

Charlotte Sandmann: Ich bin in einer Generation aufgewachsen, in der Frauenemanzipation noch wirklich ein Thema war, und oft scheint mir, dass es heutzutage wieder ein Thema werden müsste, anstatt dass es heißt „achje, nicht schon wieder Omas olle Kamellen, wie sie damals ihren BH verbrannt hat.“ Wenn ich z.B. höre, dass die meisten der etwa zehnjährigen Mädchen Paris Hilton als ihr persönliches Vorbild angeben, dann frage ich mich schon, ob wir nicht wieder ganz von vorne anfangen müssten.

Histo-Couch: In „Paradies in Flammen“ haben Sie Java als Schauplatz gewählt. Wie sind Sie gerade auf diese Insel gekommen?

Charlotte Sandmann: Die erste Faszination ging für mich von der Katastrophe der Krakatau-Explosion aus, denn Vulkane haben mich schon lange fasziniert. Und da der auf Java liegt, musste ich anfangen, mich in Java hinein zu recherchieren, und das wurde immer aufregender, vor allem, als ich dann auf den Freiheitskampf und die Geschichte der alten Reiche stieß.

Histo-Couch: Haben Sie Java selbst bereist, um sich ein Bild vor Ort machen zu können?

Charlotte Sandmann: Nein, ich bin zwar weit herumgekommen, aber so weit denn doch nicht.

Histo-Couch: Sie schildern den Vulkanausbruch auf Java in so drastischen Farben, dass sie die Leserschaft unmittelbar teilhaben lassen an der Katastrophe. Haben Sie diese Schilderungen aufgrund von Zeitzeugen-Berichten verfasst?

Charlotte Sandmann: Ja, die Berichte der Kapitäne, der Telegrafisten und auch die Erlebnisse der Heldin sind teilweise fast wörtlich an Zeitzeugen-Berichte angelehnt. Wenn man eine Weile im Internet herumwühlt, findet man sie.

Histo-Couch: Mit Ihren historischen Romanen heben Sie sich von einem weitverbreiteten Schema ab und sprechen auch Themen an, die nicht gerade rühmlich sind. Stossen Sie da bei Ihren Recherchen auch manchmal auf Ablehnung?

Charlotte Sandmann: Ich denke, es hat sich schon herumgesprochen, dass die Kolonialzeit für alle europäischen Völker eine sehr unrühmliche war, und man hat das weitgehend auch akzeptiert. Aber wenn ich z.B. direkt in Holland nach dem javanesischen Freiheitskampf fragen wollte, bekäme ich vermutlich eine eher kurz angebundene Antwort.

Histo-Couch: Was bedeutet Ihnen Geschichte?

Charlotte Sandmann: Ich finde historische Berichte interessant, aber auch bedrückend. Manchmal könnte man meinen, die Menschheit wäre dazu verdammt die immer gleichen Fehler immer wieder zu machen. Wie heißt dieser Spruch? „Jene, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ Meine persönlichen Lieblingsschmöker sind übrigens historische Kriminalromane, egal, ob aus der Zeit der alten Ägypter, dem alten China, dem Mittelalter oder dem 19. Jahrhundert. Mich bewegt sehr, wie da die immer gleichen Fragen nach Wahrheit und Gerechtigkeit in immer neuem Gewand gestellt werden.

Histo-Couch: Könnten Sie eine Zeitreise machen, welches Jahrhundert wäre Ihr Ziel?

Charlotte Sandmann: Ich würde lieber im Jetzt bleiben. Ich denke oft, es ist wunderbar, in einer Zeit zu leben, in der man nicht an jeder kleinen Infektion stirbt, auch als alte Jungfer sein Leben genießen kann und nicht dauernd fürchten muss, von einem Velociraptoren gefressen zu werden. Und schließlich habe ich – bislang jedenfalls – in einer der wenigen Epochen der Geschichte gelebt, in denen Europa nicht von Kriegen heimgesucht wurde, das ist ein seltenes Glück, das man genießen sollte.

Histo-Couch: In diesem Jahr sind ihre beiden ersten Romane erschienen, ist ein dritter Roman bereits in Arbeit? Verraten Sie schon, was das Thema sein wird?

Charlotte Sandmann: Oh, was heißt „in Arbeit“ – er ist längst fertig und wird demnächst bei DTV erscheinen. Er spielt im München des 19. Jahrhunderts. Es geht natürlich um eine dramatische Liebesgeschichte, aber im Hintergrund auch darum, dass deutsche Psychiater damals zum ersten Mal eine wirklich humane Pflege für Geisteskranke durchsetzten und damit auf dem Kontinent Bahn brechend waren. Wie Sie sich denken können, war es wieder einmal ein solcher kühner Auf- und Durchbruch, der mein Interesse geweckt hat

Histo-Couch: Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Rita Dell’Agnese.

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