Maren Winter
„Zum Glück bin ich ja Schriftstellerin“
11.2009 Histo-Couch im Interview mit Maren Winter über „Das Lied des Glockenspielers“, Musik, das Theater und das Schreiben.
Histo-Couch: Mit dem Buch Das Lied des Glockenspielers legen Sie ein Werk vor, das viele leise Töne mit lauten Schlägen vereint: Was bedeutet Ihnen Musik?
Maren Winter: Musik ist im Grunde genommen nichts anderes als mehr oder weniger angenehmes Geräusch, also etwas, das mich häufig stört, zumindest, wenn es aufgezwungen wird.
Musiker verstehen es allerdings, die Laute so zu nutzen, dass sie zu Gefühlen werden.
Manchmal möchte ich mich auf diese Verführung einlassen, dann höre ich am liebsten bewusst zu und mache nicht viel anderes dabei, außer vielleicht zu tanzen oder mitzusingen. Dann, und nur dann liebe ich Musik. Ansonsten bevorzuge ich die Stille – gerade weil Musik mir viel bedeutet.
Histo-Couch: Die Schilderungen der Töne sind sehr plastisch. Wie stark können Sie dabei auf selbst erlebte Momente zurück greifen?
Maren Winter: Da ich in einem Musikerhaushalt aufgewachsen bin, ist Musik immer ein selbstverständlicher Teil des Alltags gewesen. Das Üben meiner Eltern gehörte ebenso dazu, wie die Bemühungen der stundenweise wechselnden Schüler.
In meinem letzten Roman sind aber ganz bestimmte Erlebnisse mit eingeflossen. Wenn die Hauptproben für große Kirchenkonzerte anstanden, wurde für meinen Bruder und mich nicht immer ein Kindermädchen bestellt, also mussten (durften) wir mit.
Eingespannt in die Probe konnte weder mein Vater, noch meine Mutter ein Auge auf uns haben, wir waren ja auch schon groß und vernünftig – und krochen heimlich hinter die Orgel. Da gab es eine Brettertür mit Vorhängeschloss, das keinen Schlüssel mehr kannte. Weiter ging es über das Gebälk ins dunkle Dach, auf den Turm, zu den Glocken hinauf …während von unten die dramatische Musik unsere Phantasie noch anfachte.
Histo-Couch: Die Figuren wie auch die Geschichte sind sehr feinfühlig gezeichnet, selbst jene, die nicht zu den Sympathie-Trägern gehören. Wie nahe kommen Ihnen Ihre Figuren beim Schreiben?
Maren Winter: Ich sympatisiere mit allen, gerade mit den „Schlechten“, sie müssen ja irgendwo ihren Ursprung in mir haben. Darum dürfen sie mir gerne nahe kommen. Leider tun sie es nicht immer. Oft habe ich bei meinen Protagonisten das Gefühl, es wären nahe Freunde auf Weltreise, die mir Ansichtskarten schicken. Manchmal ist unter den Grüßen noch eine Schreckensnachricht hastig hingekrickelt. Dann sitze ich da, bange um denjenigen und male mir aus, wie es ihm wohl gehen mag. Diese Sequenzen wirken später im Text oft näher, als solche, bei denen ich das Gefühl hatte, ganz „drin“ zu sein.
Histo-Couch: Sie nutzen in diesem Buch die Sprache, um eine Art erzählerische Melodie zu kreieren. Damit verlassen Sie aber den Weg des „gefälligen“ Schreibens und stellen an den Leser einige Anforderungen. Tun Sie dies ohne Angst, „Das Lied des Glockenspielers“ könnte dadurch ein zu kleines Publikum erreichen?
Maren Winter: Der Stil drängt sich mit dem jeweiligen Thema auf, ich hätte wenig Chancen, mich dagegen zu wehren.
Im vorherigen Buch ist die Sprache zum Beispiel eher kühl geraten, denn es ging viel um Technik, um die Erfindung der Taschenuhr.
Beim Schreiben dieses Buches war ich monatelang „ganz Ohr“, habe dem Wind gelauscht, dem Rhythmus der Wellen, menschlichen Stimmen und Musik. Außerdem habe ich zeitgenössische Literatur und viele Briefe gelesen. Das alles schlägt sich im Text nieder.
Meiner Meinung nach soll es auch so sein. Die Form folgt dem Inhalt und kann ihn dadurch stärken. Jede Geschichte verlangt nach einem eigenen Rhythmus und einer eigenen Melodie aus Vokalen und Konsonanten.
Was „gefällig“ heißt, weiß ich nicht so recht. Ich bemühe mich, verständlich zu schreiben, was ja nicht unbedingt simpel bedeuten muss. Es ist immer eine Gratwanderung.
Histo-Couch: Unterwegs mit einem Tourneetheater führen Sie ein bewegtes Leben. Wann findet man darin genügend Ruhe, um zu Schreiben?
Maren Winter: Wir sind zwar oft unterwegs, aber auch sehr oft zu Hause. Insofern könnte ich durchaus mehrere Tage am Stück in meinem Zimmer verbringen, ohne einen Schritt vor die Tür zu setzen, ja sogar fast ohne zu kommunizieren.
Auf Tournee erleben wir das glatte Gegenteil. Täglich neue Veranstalter und neues Publikum, fremde Gegenden, noch fremdere Hotels. Nur im Auto als Beifahrerin auf langen Strecken finde ich dann Muße zum Schreiben.
Histo-Couch: Befruchtet die Welt des Puppentheaters Ihre Phantasien, fliesst hier ein Teil in Ihre Romane ein? Oder auch umgekehrt …
Maren Winter: Es kann gut sein, dass sich die beiden Sparten gegenseitig befruchten. Durch das Puppenspiel, besonders vor Kindern, habe ich z. B. viel über Dramaturgie erfahren, durch das Schreiben viel über Dramaturgie gelernt. Die künstlerische Beschäftigung auf einem anderen Gebiet hilft mir auch, mein „Kreativitätssäckel“ wieder aufzufüllen, wenn es mal mager geworden ist.
Histo-Couch: Puppenspiel wie auch Schreiben sind ja sehr sinnliche Tätigkeiten und doch unterscheiden sie sich erheblich. Wie gelingt es Ihnen, sich vom Einen aufs Andere umzustellen?
Maren Winter: Ich stelle es mir jedesmal ganz leicht vor, besonders, wenn es gerade irgendwo hapert, wenn etwa eine Szene sich nicht auflösen lässt. Dann denke ich, zum Glück bin ich ja hauptberuflich Puppenspielerin und fange an, einen Kopf zu bauen …bis die Nase partout nicht niedlich werden will. Dann denke ich, zum Glück bin ich ja Schriftstellerin …
Histo-Couch: Was hat Sie dazu bewegt, sich dem Genre „historische Romane“ zu widmen?
Maren Winter: Das hat sich durch die Themen ergeben. Es sind nicht in erster Linie historische Begebenheiten, die mich reizen, sondern ich suche ein Umfeld für meine Ideen, in welchem ich sie besonders drastisch entwickeln kann.
Ein Roman vom Zuhören und der Kraft der Musik könnte natürlich auch heute spielen. Aber für meinen Plot war es wichtig, dass die Protagonisten aus eigener Kraft eine Lösung finden, unabhängig von Psychologenwissen.
Ich habe eine Zeit gewählt, in der die Hanse im Begriff ist unterzugehen und die Kirchenmusik gerade zu neuen Höhen ansetzt, weil meine fiktive Geschichte sich parallel dazu entwickelt.
Histo-Couch: Wie stark basieren die von Ihnen erzählten Geschichten auf historischen Überlieferungen?
Maren Winter: Das historische Umfeld recherchiere ich sehr genau, denn oft inspirieren mich die Quellen zu Szenen, auf die ich von allein nie gekommen wäre. Ebenso wichtig ist mir, dass der fachliche Bereich stimmt, in diesem Fall alles, was die Orgel betrifft.
Mit historischen Personen gehe ich unterschiedlich um. Ich sehe mir die überlieferten Fakten an und stelle mir vor, was das für ein Mensch gewesen sein könnte. Manche werden so lebendig, als würde ich sie lange kennen. Ist das nicht der Fall, lasse ich sie lieber ruhen, und nur als Namen oder ganz kurz von ferne auftauchen.
Histo-Couch: Zwischen Ihren Veröffentlichungen liegen jeweils rund drei Jahre. Oft hört man aber von Autoren, dass sie möglichst jedes Jahr einen Roman veröffentlichen, weil sie nicht in Vergessenheit geraten möchten. War das für Sie nie ein Thema?
Maren Winter: Doch, das sollte wohl ein Thema sein, aber ich brauche nun einmal so lange. Vielleicht ginge es schneller, wenn ich auf Puppenspiel verzichten würde. Sehr schwierig, denn auf der Bühne kann man das Publikum einschätzen und ein wenig leiten, die Reaktion kommt direkt zurück. Geschichten in Büchern dagegen entlässt man schutzlos in eine anonyme Leserwelt.
Histo-Couch: Arbeiten Sie bereits wieder an einem Roman?
Maren Winter: Aber ja. Es wird ein Roman über die unerbittliche Tretmühle in der Unterhaltungsbranche zum Thema „Kunst oder Leben“ und spielt in der barocken Theaterwelt.
Histo-Couch: Was bedeutet für Sie „Schreiben“?
Maren Winter: Schreiben ist eine Art Freiheit für mich. Im Gegensatz zum Inszenieren brauche ich keinen Gedanken an technische Vorgaben zu verschwenden. Solange ich nicht vom Schreiben leben muss, ist die einzige Beschränkung mein eigenes Vermögen. Theoretisch kann ich genau die Welt entstehen lassen, die dem entspricht, was ich sagen will.
Und ich möchte etwas sagen, sonst würde ich nicht veröffentlichen. Dazu brauche ich allerdings ein gewisses Vertrauen der Verlage und natürlich Leserinnen und Leser, die ihre Zeit hingeben, um meinen Geschichten zu folgen.
Ganz so weit her ist es mit der Freiheit also nicht? Nein, es gibt schlummernde Geschichten, die dem Markt so wenig entsprechen, dass wahrscheinlich kein Verleger ein solches Wagnis eingehen wird. Schade, für mich gehören sie zu den interessantesten. Vielleicht schreibe ich sie einfach trotzdem einmal, und sei es nur für mich selbst.
Histo-Couch: Wie wichtig ist Ihnen der Austausch mit den Leserinnen und Lesern Ihrer Bücher? Lassen Sie sich von deren Meinung beeinflussen?
Maren Winter: Ehrlich gesagt, fürchte ich mich ein wenig davor, denn ich lasse mich leicht beeinflussen, nicht inhaltlich, aber in der Ausführung. Lesende sind allerdings sehr unterschiedlich, was der eine vorhersehbar findet, hat der andere noch gar nicht bemerkt. Um so wichtiger sind mir Reaktionen, die in bestimmten Punkten übereinstimmen. Ich möchte wissen, ob Bilder entstehen, wo etwas überblättert wurde und was die Seiten fliegen ließ. Vor allem interessiert mich, ob von meinen Romanen etwas übrig bleibt, ob nach dem Lesen eine Winzigkeit anders ist als vorher.
Histo-Couch: Hätten Sie gerne in früheren Jahrhunderten gelebt? Welche Zeit fasziniert sie am meisten?
Maren Winter: Vor ein paar Jahren hätte ich noch geantwortet, um Himmels willen, kein früheres Jahrhundert. Jetzt jedoch sehne ich mich manchmal ins 19. Jahrhundert zurück, denn in den letzten Jahren hat unser Grundgesetz so viele Zusätze bekommen wie nie zuvor. Nur wenige davon sind Erlaubnisse, der größte Teil sind Freiheitsbeschneidungen im Namen der Sicherheit.
Histo-Couch: Haben Sie selber auch Zeit zum Lesen? Welche Lektüre bevorzugen Sie?
Maren Winter: Mein Lesepacken besteht vor allem aus Recherche. Selbst historische Romane sind inzwischen dazu verkommen, denn längst hat sich ein analytischer Blick eingeschlichen. Mir ist klar, dass ich diesen Texten oft nicht gerecht werde, daher lese ich am liebsten Inhalte, die nichts mit dem zu tun haben, was ich selber schreibe und Stile, in denen ich nie schreiben werde. Und ich möchte überrascht werden, was am Besten gelingt, wenn ich in verschiedenen Genres wildere. Im Moment liegt „Der Kaiser von China“ am Bett.
Histo-Couch: Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Rita Dell’Agnese.
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