Bettina Hennig

„Ich bin an Luise selbstverständlich verzweifelt.“

01.2010 Histo-Couch im Interview mit Bettina Hennig über Königin Luise, das Schreiben von Büchern und ihre Zukunftspläne.

Histo-Couch: Frau Hennig, wann haben Sie Luise kennen gelernt und was hat Sie an ihr so fasziniert?

Bettina Hennig: Ich kenne Luise durch meine Familiengeschichte. Mein siebenfacher Urgroßvater Ludwig Sadowski hat sie einmal, nämlich im Sommer 1802 in Memel – heute Klaipeda -, getroffen. Darauf sind die Hennigs, zumindest einige von ihnen, ganz stolz. Diese persönliche Geschichte ist die Grundlage für mein Interesse an ihr. Und wenn man sich mit ihr beschäftigt, dann kann man nicht leugnen, dass sie zu den schillerndsten Persönlichkeiten der deutschen Geschichte zählt. Sie war ja nicht umsonst Cover-Girl des SPIEGEL (im August 2007), als es um den Frieden von Tilsit zwischen Napoleon, Zar Alexander und Preußenkönig Friedrich Wilhelm III., meinem Liebling, ging. Luise ist politisch aktiver als Sissi, frivoler als Kaiserin Maria Theresia. Am meisten hat mich ihre Entwicklung fasziniert. Sie ist ein vergnügungs- und putzsüchtiges, eitles, oberflächliches Partygirl, das nichts anderes im Kopf hat, als den Männern den Kopf zu verdrehen. Damit hat sie Preußen in den Abgrund gerissen. Gleichzeitig hat sie sich auf der Bühne der großen Politik behauptet. Man muss schon ziemlich selbstbewusst sein, um in Verhandlungen mit Napoleon zu bestehen. Sie hat ihre Ziele zwar nicht erreicht, aber Napoleon hat sie als echten Gegner akzeptiert. Dahin muss man erst einmal kommen.

Histo-Couch: Wann haben Sie den Entschluss gefasst, ein Buch über sie zu schreiben?

Bettina Hennig: Das war im Sommer 2005. Mein damaliger Doktorvater Günter Blamberger, den ich in Köln zu einem Gespräch über ein mögliches Dissertationsthema besucht habe, schlug mir vor, über Königin Luise zu schreiben. Er ist Germanist und Präsident der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft. Luise spielt in Kleists Leben eine große Rolle. Er war ja immer ziemlich pleite, und sie hat ihn quasi, über ihre Kammerfrau Marie von Kleist, eine angeheiratete Cousine von Kleists, durchgefüttert. Blamberger hat mir zu überlegen gegeben, dass sich eine Dissertation darüber lohnt. Auch weil sich Luises Todesjahr 2010 zum 200. Mal jährt. Ich habe damals aber erst einmal daran gedacht, ein Sachbuch über sie zu schreiben. Dass es letztlich ein Roman geworden ist, beruht nur auf einem Missverständnis zwischen einer Verlags-Lektorin und mir. Ich habe in den Vorgesprächen, die ich geführt habe, immer an ein Sachbuch über Luise gedacht, nie an einen Roman. Die Lektorin ist aber von einem Roman ausgegangen – und hat dazu Probeseiten verlangt. (Es ist übrigens die Lektorin eines anderen Verlages gewesen.)

Histo-Couch: Wie lange hat es von den ersten ernsthaften Bemühungen bis zur Veröffentlichung Ihres Buchs gedauert?

Bettina Hennig: Vom Sommer 2005 bis zur Veröffentlichung der Hardcover-Ausgabe im Bertelsmann Buchclub am 28. Oktober 2008. Also etwas mehr als drei Jahre.

Histo-Couch: War es schwierig für Sie, einen Verlag zu finden, der das Buch veröffentlichen wollte, oder hat Ihnen die Tatsache, dass 2010 „Luise-Jahr“ ist, geholfen?

Bettina Hennig: Das Luise-Jahr 2010 hat mir in der Tat geholfen. Die Verlage lieben solche Jubiläen, weil sie darauf hoffen, dass durch Filme, Kongresse, Lesungen etc. ein Thema für die breite Öffentlichkeit bekannt gemacht wird. Schwer war es dennoch, einen Verlag zu finden. Das lag aber daran, dass meine Probeseiten wirklich schlimm waren. Ich hatte ja keine Ahnung davon, wie man einen Roman schreibt, und hatte es auch nie vorgehabt. Und da hatte ich mich an den Luise-Romanen orientiert, die es bereits gibt. Hochstetter, Halden, Dreyhaus, von Hollander-Lassow – alles sehr detailgenau, aber auch ziemlich pathetisch. Und so ungebrochen. Das war natürlich superlangweilig und überhaupt nicht zeitgemäß, und nur in den Passagen über Kronprinz Friedrich Wilhelm habe ich bereits diesen albernen Ton angeschlagen, den ich letztlich für den ganzen Roman gewählt habe. (Friedrich Wilhelm ist ja wirklich eine sehr dankbare Figur in seiner ganzen preußischen Gehemmtheit.) Diese Momente scheinen letztlich gereicht zu haben, um das Lektorat zu überzeugen. Mit einem Mal war Goldmann ganz interessiert daran.

Histo-Couch: Gab es während der Entstehungszeit von „Luise“ Augenblicke, in denen Sie gedacht haben, dass Sie das nicht schaffen und aufgeben wollten?

Bettina Hennig: Nein. Ich bin nicht der Typ, der auf halber Strecke schwächelt. Wenn ich mich für etwas entscheide, dann setze ich alle Energie daran, es auch zu Ende zu bringen. Bislang war das jedenfalls so. Ich will nicht ausschließen, dass sich das in meinem Leben noch einmal ändern könnte. Dennoch bin ich an Luise selbstverständlich verzweifelt. Ich hatte endlose Abende, in denen ich versucht habe, bestimmte Passagen zu gestalten, schlaflose Nächte, in denen ich über Spannungsbögen nachgedacht habe, und viele quälende Morgenstunden, in denen ich mit Scham auf das geblickt habe, was ich am Vortag geschrieben hatte. Und alles gelöscht habe. Manche Szenen habe ich bis zu 20 Mal umgeschrieben. Ich hatte ja, wie gesagt, keine Ahnung, wie man einen Roman schreibt, wollte aber nicht aufgeben; merkte aber, dass ich nicht immer die Mittel zur Verfügung hatte, das zu machen, was ich machen wollte. Ich musste da ziemlich schnell rein wachsen. Am schwersten fiel es mir, Luise zu charakterisieren. Beziehungsweise, es mir zu erlauben, sie so zu charakterisieren, wie ich es wollte. Eine Frau, die drei Wochen nach der Hochzeitsnacht fremdgeht! Wie will man so jemanden sympathisch gestalten, ohne ihren Partner als Deppen dastehen zu lassen. (Was ja in vielen Luise-Darstellungen durchaus üblich ist. Aber auf Friedrich Wilhelm III. lasse ich nichts kommen. Er ist völlig unterschätzt.) Ich fand Luise vorlaut, berechnend, egozentrisch. Ein Biest, oder eine „dumme Jans“, wie Friedrich Wilhelm in seinem Berliner Dialekt so treffend sagt. Meine Lektorin hat mir dann den heißen Tipp gegeben: Entwickeln sie Nebenfiguren, die sympathisch sind! (Außerdem brachte sie Scarlett O’Hara ins Spiel. Auch ein Biest. Und was ist das für eine tolle Romanfigur.) Na ja, und wer in Luise reingeschaut hat, weiß, dass ich das mit den Nebenfiguren sehr, sehr ernst genommen habe. Ich glaube, ich habe knapp 100 handelnde Personen. Ein echtes Kuriositäten-Kabinett.

Histo-Couch: Wie erging es Ihnen, als das Buch endlich veröffentlich wurde? Hat die Freude darüber, das Buch nun endlich gedruckt in Händen zu halten, überwogen oder die Angst bzw. Unsicherheit vor den Reaktionen der Leser?

Bettina Hennig: Ich habe mich tierisch darüber gefreut, „meine“ Luise endlich in den Händen zu halten. Auch weil ich fand, dass die Grafik das Cover so toll gestaltet hat. Das Porträt von Elisabeth Vignée-Lebrun ist mein Lieblingsbild von Luise. Und ich hatte gebangt, dass es nicht das Bild von Grassi wird. Das finde ich ganz scheußlich, weil sie da so pausbackig und puttig aussieht. Es ist gekommen, wie ich es mir gewünscht hatte. Die Reaktionen der Leser ist dann sehr schnell in diese Freude eingebrochen: Die erste Rezension war ein Komplett-Verriss. Das war nicht sehr aufbauend. Es hat etwas gedauert, bis ich mich davon erholt und gemerkt habe, dass diese Person wohl eher etwas anderes – nämlich ein Sachbuch – und keinen Roman erwartet hat. Und auch auf den Luise-Mythos reingefallen ist, den ich nicht zu bedienen bereit gewesen bin. Denn in meinen Augen ist und bleibt sie ein Partygirl, das nur eine große Leistung in ihrem Leben vollbracht hat, die jedoch zum Ende ihres Lebens und posthum all ihre Fehler überstrahlt hat. Ohne ihre Verhandlung mit Napoleon wäre Luise in Vergessenheit geraten. Das denke ich. Aber es sind viele wohlmeinende und schöne Kritiken gefolgt, die die Fehler des Buches (seinen Aufbau) erkannt haben, aber auch seinen Charme zu schätzen wussten. Das tat dann wiederum sehr gut.

Histo-Couch: Gibt es Dinge, die Sie heute anders schreiben würden, und wenn ja, welche?

Bettina Hennig: Ja, klar. Ich würde im ersten Teil kürzen. Und im zweiten Teil die geläuterte Luise und die Eintönigkeit ihrer Ehe mit Friedrich Wilhelm etwas ausführlicher schildern. Dann müsste es hinhauen.

Histo-Couch: Sie haben nach Ihrer Ausbildung zur Cutterin Film- und Sprachwissenschaften sowie Informatik studiert. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Kombination?

Bettina Hennig: In der Sprachwissenschaft habe ich mich viel mit Logik und formalen Sprachen beschäftigt, und in der Informatik ebenso. Mein Schwerpunkt waren so genannte „natürlichsprachliche“ Systeme. An dem Institut, an dem ich eine Hiwi-Stelle hatte, wurden diese automatischen Sprachcomputer entwickelt, die heute standardmäßig von Großkonzernen eingesetzt werden und die jeden in den Wahnsinn treiben: „Sagen Sie 1, wenn Sie …, drücken Sie auf die 2, wenn Sie...“ etc. Beschimpfungen dafür nehme ich nicht entgegen, sondern leite sie direkt an meinen damaligen Professor weiter. Darüber hinaus habe ich mit meiner Freundin Gudrun einen Pakt geschlossen: Wir haben abgemacht, eine Sache fürs Herz (sie: Russisch, ich: Filmwissenschaften) und eine für einen möglichen Brotberuf (sie: BWL, ich: Informatik) zu studieren. Diejenige, die zuerst fertig sein würde, musste die andere von der letzten Prüfung abholen und nach New York einladen. Ich habe mein Versprechen natürlich gehalten.

Histo-Couch: Wer kümmert sich bei Ihnen daheim um den PC?

Bettina Hennig: Ich jedenfalls nicht. Ich habe seit meinem Abschluss nicht mehr programmiert. Das machen wechselweise Rolf und Boris, zwei Freunde von mir. Wer gerade da ist, und Zeit hat – und Lust auf ein, zwei Biere aus der Dose.

Histo-Couch: Sie arbeiten ja als Journalistin. Fiel es Ihnen während der Entstehung von „Luise“ nicht oft schwer, Ihren Schreibstil von „Arbeit“ auf „Buch“ umzustellen?

Bettina Hennig: Zum Glück habe ich in der Zeit, in der ich an „Luise, Königin aus Liebe“ gearbeitet habe, nur wenig journalistisch geschrieben. So habe ich mich nicht täglich umstellen müssen. Das war sehr hilfreich.

Histo-Couch: Was empfinden Sie als schwieriger: Für eine Zeitschrift/Zeitung über ein bestimmtes Thema schreiben zu müssen oder ein Buch wie „Luise“ zu schreiben?

Bettina Hennig: Klar: einen Roman zu schreiben. Das ist ja gar nicht so einfach. Da bin ich auch gänzlich ungeübt gewesen, was die dramaturgische Gestaltung betrifft. Im Journalismus ist es ja so, dass man alle Informationen bereitstellen muss, oder sollte. Beim Romanschreiben sollte man Informationen zurückhalten, um bestimmte Fragen offen zu lassen, und Spannung zu erzeugen. Das fiel mir Anfang sehr schwer. Was aber gut ging, waren die Charakterisierungen. Da ich in meiner journalistischen Arbeit viele Porträts geschrieben habe, und diese auch außerordentlich gerne schreibe, hat es mir sehr viel Spaß gemacht, noch der kleinsten Nebenfigur eine kleine Charakterisierung mitzugeben.

Histo-Couch: Sie interviewen ja für Ihre Arbeit viele Leute. Wie ist es jetzt für Sie, dass plötzlich Leute Sie interviewen wollen?

Bettina Hennig: Ich finde das ganz toll, interviewt zu werden. Das zeigt doch, dass man sich für meine Arbeit und mich interessiert. Ich finde auch die Fragen gut, die mir gestellt werden. Das macht alles viel Spaß.

Histo-Couch: Werden Sie weiterhin schriftstellerisch tätig sein?

Bettina Hennig: Unbedingt. Ich muss nur sehen, wie ich das alles organisiert bekomme. Aber ich habe schon viele Projekte, die ich unbedingt realisieren will und muss.

Histo-Couch: Verraten sie uns etwas über ihre nächsten Projekte?

Bettina Hennig: Mein kommendes Projekt wird ein Sachbuch sein. Heiligabend habe ich den Vertrag bekommen, und gleich unterschrieben. Es ist ein Lifestyle-Buch. Genaueres darf ich noch nicht sagen. Dann habe ich noch einen Anschluss-Roman an „Luise“ in Planung. Wer Luise zu Ende gelesen hat, weiß, wer darin die Hauptrolle spielen wird. Dann gibt es noch ein Romanprojekt, das die Epoche beider Weltkriege umspannt. Dann zwei wissenschaftliche Bücher. Und an noch ein Theaterstück. Ein Einakter über eine Prominenten-Ehe, die mich extrem fasziniert. Ich habe nämlich beim Schreiben an Luise gemerkt, dass ich gerne Dialoge schreibe. Und nun hoffe ich, dass ich noch ganz lange leben werde, damit ich das alles noch verwirklichen kann. Denn es ist ja so: Kaum ist ein Buch zu Ende, wachsen ja gleich wieder neue Ideen nach.

Histo-Couch: Das hört sich sehr interessant an. Viel Glück bei der Realisierung dieser Ideen und vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Birgit Borloni.

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