Petra Oelker

„Ich lasse nicht gerne sterben“

02.2011 Die Histo-Couch im Interview mit Petra Oelker über Hamburg, das Schreiben und ihre Romanheldin Rosina.

Histo-Couch: Frau Oelker, Sie beschreiben in ihren historischen Romanen das 18. Jahrhunderts, leben aber im Hamburg des 21. Jahrhunderts. Können Sie sich gedanklich in die Zeit vor dreihundert Jahren zurück versetzen?

Petra Oelker: Ich glaube, dass ich das recht gut kann, soweit das überhaupt möglich ist. Ich habe mich einige Jahre mit den historischen Begebenheiten beschäftigt, besonders mit der Sozial- und der Kulturgeschichte, bevor ich das erste Buch geschrieben habe. So kann ich mir ein Bild von jener Zeit machen. Wenn ich etwas nicht so genau herausfinde, wie ich es für notwendig halte, streiche ich das Thema.

Histo-Couch: Was ist der Auslöser dafür, dass bei Ihnen im Kopf eine Geschichte entsteht, die Sie dann als weitere Rosina-Episode in Buchform packen?

Petra Oelker: Am Anfang steht immer das Gewerbe oder der Lebensbereich, um die es im jeweiligen Roman gehen soll. Das interessiert mich, weil ich z. B. gerade darüber gelesen oder eine Dissertation dazu gefunden habe. Das kommt öfters vor, dass ich eine Geschichte auf die Beschreibungen des Gewerbes in einer Dissertation stütze. Ich versuche mir dann die Werkstatt vorzustellen, die Szenerie. Dabei enstehen im Kopf Szenen, ich stelle mir vor, wie das Licht wohl war, wie es gerochen hat oder welche Geräusche zu hören waren. Parallel dazu entwickelt sich die eigentliche Geschichte. In der Regel suche ich mir zudem Experten, auf deren Wissen ich mich stützen kann. Oder ich fahre in ein spezielles Museum. So bin ich beispielsweise in ein Museum hinter Leipzig gefahren, weil ich mir dort die damalige Lederherstellung und -bearbeitung zeigen lassen konnte.

Histo-Couch: Dennoch stehen in den Rosina-Romanen die Figuren im Vordergrund und nicht das Gewerbe …

Petra Oelker: Sobald ich mich mit dem Gewerbe beschäftige, drängeln sich die Figuren, die in den Roman hinein möchten. Da muss ich schon mal die eine oder andere Figur hinaus werfen, weil es sonst zu viele würden.

Histo-Couch: Legen Sie sich Ihre Geschichten vollständig zurecht, bevor Sie sich ans Schreiben machen?

Petra Oelker: Das erste Buch habe ich natürlich auch gründlich geplant, aber mehr ´aus dem Bauch heraus´ geschrieben als die folgenden. Allerdings tue ich mich immer recht schwer mit plotten, also dem Entwickeln des Handlungsablaufes. Der soll ja schlüssig sein und keine logischen Brüche haben. Da es sich um einen Kriminalroman handelt, muss es spannend sein, aber auch erklären, weshalb eine Person ein so schweres Verbrechen begeht wie einen Mord. Das zu verstehen, fällt mir nicht leicht. Ich selber lebe so gut und friedlich, ich kann mir nicht vorstellen, jemanden geplant umbringen zu wollen. Die Frage, wer Opfer und wer Täter ist, löst sich aber häufig schon bei den Recherchen zum Gewerbe. Da finden sich oft Hinweise auf Situationen oder existenzielle Bestimmungen, die zum Mordmotiv werden können. Ich weiss immer, wer und aus welchem Grund das Opfer und wer der Mörder ist, bevor ich anfange zu schreiben.

Histo-Couch: Wenn Sie sich das alles zunächst im Kopf festlegen, geht Ihnen das Schreiben dann leicht von der Hand?

Petra Oelker: Schreiben ist für mich harte Arbeit. Normalerweise bin ich sehr störanfällig, meine Muse ist oft widerwillig. In einer Schreibphase gibt es einen strengen Ablauf: Ich stehe auf, frühstücke und setze mich dann für den Tag an den Schreibtisch. In einer solchen Zeit habe ich nur wenig soziales Leben.

Histo-Couch: Wie lösen Sie das mit den Lesungen, für die Sie ja auch reisen müssen?

Petra Oelker: Wenn ich an einem grossen Projekt arbeite, nehme ich keine Lesungen an. Da gibt es schon einen Konflikt zwischen Kontakt- und Schreibphase. Mein nächstes Projekt werde ich im Herbst abschliessen. Und erst danach geht es auf die Lesetour. Viele meiner Lesungen finden in Norddeutschland statt. Aber auch wenn ich keine lange Anreise habe, fällt das Schreiben spätestens ab Mittag weg, weil ich mit den Gedanken leider schon beim abendlichen Auftritt und deshalb zu unruhig bin. Also trenne ich die Phasen von Recherche, Schreiben und Lesen so strikt wie möglich.

Histo-Couch: Autorin zu sein ist ein Traumberuf vieler Menschen. Ihrer auch?

Petra Oelker: Ich bin dankbar für meinen Beruf. Mit Ende 40 habe ich gemerkt, dass Journalismus für mich nicht mehr funktioniert. Die Arbeit hatte sich auf eine Art verändert, die mir nicht behagte. Es ist nicht selbstverständlich, dass man mit 50 noch einen neuen Beruf ergreifen kann.

Histo-Couch: Also haben Sie sich bewusst dazu entschlossen, Autorin zu werden?

Petra Oelker: Nein, es hat sich nach dem ersten Roman so ergeben. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass mich das Schreiben ernähren könnte. Erfolg lässt sich nicht planen. Weil immer wieder neue Bücher zur Reihe hinzukommen, bleiben die älteren Bücher aktuell. Geschrieben habe ich den ersten Roman, weil ich eine Geschichte im Kopf hatte, die hinaus wollte. Aber Schriftstellerei als Beruf ist nicht romantisch, sie kann hart und frustrierend sein. Mindestens zehn Verlage haben mein erstes Manuskript abgelehnt, weil sie Sujet und Charaktere zu uninteressant fanden. Aber ich wollte diese Zeit (18. Jahrhundert) und wollte diese Geschichte um das Theater. Schliesslich fand ich einen Verlag und fühle mich dort heute noch sehr gut aufgehoben.

Histo-Couch: Die Rosina-Romane haben eine grosse Fangemeinde, die Figuren sind vertraut und geliebt. Gibt das nicht auch einen sehr engen Handlungsspielraum?

Petra Oelker: Für mich selber, mein eigens Wohlbefinden ist es sehr wichtig, dass die Geschichte und die Charaktere schlüssig sind und die Fakten stimmen. Viele LeserInnen wollen besonders das vertraute Personal wieder treffen. Sie wollen wissen, wie es mit Rosina, der Familie Herrmanns und Weddemeister Wagner weitergeht. Da spielt natürlich auch eine Erwartung mit. Aber ich bin keine Auftragsschreiberin, zwischendurch fallen mir immer wieder andere Geschichten ein aus denen auch Romane werden, auch zeitgenössische. Aber ich kehre stets sehr gerne in die ´Rosina-Welt´ zurück, solange mir noch Gewerbe, Berufe etc. begegnen, über die ich alles wissen möchte.

Histo-Couch: Einer der Romane spielt in London. Wird Rosina wieder auf Reisen gehen?

Petra Oelker: Ich habe in Kopenhagen und in den USA recherchiert, ja. Für Paris fehlen mir leider ausreichende Französischkenntnisse. Mein Verlag sieht meine Romane am allerliebsten in Hamburg angesiedelt, tatsächlich sind sie wohl auch deshalb so erfolgreich, weil sie in der Regel in Hamburg spielen. Der Hafen und damit der Umstand, dass die weite Welt direkt vor der Tür liegt, die starken sozialen Gegensätze, die großbürgerliche Regierungsform geben der Stadt ein ganz spezielles Flair. Als ich den ersten Band schrieb, beschäftigten sich nur wenige mit dem Hamburg des 18. Jahrhunderts. Inzwischen ist diese Stadt Grundlage für viele Romane geworden. Romane, die in Hamburg spielen, werden gerne lesen. Hätte ich Rosina beispielsweise in Hannover angesiedelt, wäre sie womöglich nicht so erfolgreich geworden.

Histo-Couch: Es sieht so aus, als wäre die Rosina-Geschichte doch ein enges Korsett …

Petra Oelker: Einerseits. Natürlich bin ich in den Erwartungen längst festgelegt: Petra Oelker schreibt historische Krimis, die in Hamburg spielen. Wahrscheinlich kann ich das tatsächlich am Besten. Außerdem verkaufen diese Bücher sich gut, das heißt, sie ernähren mich. Andererseits ist es meine Entscheidung, ob ich den Erwartungen folge oder auch meine anderen Ideen umsetze. Was ich regelmäßig tue, wie man an meiner Veröffentlichungsliste sieht. Auch wenn ich bei neuen Projekten stets lange unsicher bin, ob ich es überhaupt kann, ob die Entscheidung richtig ist.

Histo-Couch: Waren Sie noch nie versucht, Rosina sterben zu lassen?

Petra Oelker: Oh nein!! Was für eine Vorstellung! Sie entwickelt sich und verändert sich dabei auch. Das ist gut und normal so. Ich lasse grundsätzlich nicht gerne sterben – ein Tod ist ein Tod. Dass in meinen Büchern ein Mord passieren muss, um eine Grundlage für den Krimi zu bilden, reicht vollständig. Ich verzichte aber immer darauf, dabei zu sein, wenn ein Mensch sterben muss. Von detaillierten Schilderungen der Qualen halte ich nichts. Spannung entsteht nicht durch grausame Szenen. Damit Rosina glaubwürdig bleibt, altert sie nicht nur, ihr Leben verändert sich auch, sie heiratet, wird bürgerlicher, und bleibt doch die Komödiantin. Da kämpfe ich immer um die Balance, aber genau diese Veränderungen bildeten sich damals auch im Bürgertum ab.

Histo-Couch: Wenn einem eine Figur so lieb ist, wie Rosina – kann man dann damit leben, wenn diese kritisiert wird?

Petra Oelker: Das gehört zum Job. Kritisiert werden meine Bücher inzwischen überwiegend von der Leserschaft im Internet, dort reicht es vom höchsten Lob bis zum totalen Verriss. In den Printmedien bekomme noch nur noch selten längere und differenzierte Texte. Ich bin ja keine Neuentdeckung mehr. Zu meinem Seelenfrieden überwiegen die guten Reaktionen und die haben die negativen auch irgendwie auf. Klar, es liest niemand gerne: „Welch blödes Buch...“ Aber das wird angesichts der Verkaufszahlen relativ. 50.000 Bücher gehen in der Regel im ersten Jahr über den Ladentisch. Das ist genug, damit mir mein Verlag jedes neue Rosina-Buch fröhlich abnimmt.

Das Interview führte Rita Dell’Agnese.

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