Ingrid Ganß

„Märchen haben immer eine Rolle gespielt“

07.2010 Die Histo-Couch im Interview mit Ingrid Ganß über Märchen, Fortsetzungen und das Schreiben als solches.

Histo-Couch: Frau Ganß, welche Rolle spielte das Märchen „König Drosselbart“ in Ihrem Leben? Und Märchen überhaupt?

Ingrid Ganß: Märchen haben in meinem Leben immer eine Rolle gespielt. Meine Mutter und meine Großmutter haben mir meine ganze Kindheit hindurch Märchen erzählt, später habe ich meinen Töchtern abends vor dem Einschlafen Märchen erzählt. „König Drosselbart“ war eigentlich keines meiner Lieblingsmärchen, sondern nur eines unter vielen. Vielleicht war es mir als Kind zu realistisch; sein Potential habe ich erst als Erwachsene erkannt. 

Histo-Couch: Mit der Adaption eines bekannten Grimm-Märchens sind sie auch einen nicht ganz einfachen Weg gegangen. Hatten Sie nie Bedenken, dass Ihnen die Veränderung des Ursprungsmärchen übel genommen werden könnte?

Ingrid Ganß: Nein, hatte ich nicht. Die Variation von Themen ist in der Literatur schließlich nicht unüblich. Außerdem habe ich den Ablauf des Märchens gänzlich beibehalten, sogar hier und da ein Originalzitat eingewoben. Ich habe mir nur erlaubt, das allzu geschlossene Märchenende für die Prinzessin ein wenig zu öffnen.

Histo-Couch: Sie haben den Märchen-Stoff in einem historischen Roman verpackt, der zudem in einem fiktiven Königreich spielt. Wo haben Sie die Grenze zwischen Fiktion und Fakten gezogen?

Ingrid Ganß: Wie es sich für ein Märchen gehört, habe ich weder eine konkrete Zeit noch konkrete Orte genannt. Nichtsdestotrotz hatte ich eine Zeit festgelegt, in der die Geschichte spielen sollte, und daraufhin sehr gründlich recherchiert. Das heißt, so fiktiv die Personen und die Örtlichkeiten sein mögen (wenn auch nicht ohne reale Vorbilder), die Lebensumstände der Menschen, die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die technische Entwicklung etc. hält sich an die historischen Fakten.

Histo-Couch: Gibt es noch weitere Märchen, zu denen Sie sich einen historischen Roman vorstellen könnten?

Ingrid Ganß: Allerdings. Und da ich nicht ausschließe, dass ich so etwas noch einmal tue, werde ich vorerst keine Beispiele nennen.

Histo-Couch: Seit der Erstveröffentlichung von „Der Spielmann“ sind einige Jahre ins Land gezogen. Nun haben Sie mit „Der König“ eine Fortsetzung geschrieben. Wie kam es zu dieser langen Unterbrechung?

Ingrid Ganß: Ehrlich gesagt, ich hatte nie vorgehabt, jemals eine Fortsetzung zu schreiben. So gesehen müsste die Frage lauten: Warum haben Sie es dennoch getan? Schwer zu sagen, mich hat einfach irgendwann die Lust dazu gepackt, ich hatte Bilder und Szenen dazu im Kopf. Vielleicht haben mich meine Figuren einfach nicht mehr losgelassen, ich habe schließlich einige Jahre mit ihnen „gelebt“.

Histo-Couch: Um den Spielmann blieb es eine geraume Zeit sehr ruhig, das Buch geriet erst mit der Neuauflage in den Fokus einer breiten Histo-Leserschaft. Hat Sie das anfänglich entmutigt?

Ingrid Ganß: Entmutigt überhaupt zu schreiben sicherlich nicht, denn das habe ich zeitlebens getan, unabhängig davon, ob es veröffentlicht wird. Der Anfang des „Spielmanns“ war auch eher ermutigend, er erschien 1999 zuerst in einem kleinen, regionalen Verlag und musste bereits nach wenigen Monaten nachgedruckt werden, damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Dass er dann lange Zeit gänzlich vergriffen war, war schon schade, aber der Zuspruch meiner Leser ist nie abgerissen, das rettet über einige Zweifel hinweg, und ich bin ihnen dafür sehr dankbar.

Histo-Couch: „Der Spielmann“ und „Der König“ sind bisher Ihre einzigen historischen Werke. Werden weitere folgen? Denken Sie gar an eine Fortsetzung der Spielmann-Geschichte?

Ingrid Ganß: Nein, keine weitere Fortsetzung! Das würde überhaupt nicht passen. Ob ich wieder eine Geschichten in eine andere Zeit als die unsere verlegen würde, kann ich momentan noch nicht sagen.

Histo-Couch: Sie haben Ihre Figuren sehr vielschichtig ausgestaltet, was sie zu spannenden Persönlichkeiten macht. Welche Figur ist Ihnen persönlich am meisten ans Herz gewachsen?

Ingrid Ganß: Alle! Wie könnte ich mich zwischen Christian oder Diego Lehmann entscheiden? Vielleicht doch Jakob, denn ihn hatte ich ganz deutlich vor Augen, als ich die ersten Notizen zum „König“ machte. Andreas aber auch.

Histo-Couch: Könnten Sie sich vorstellen, das Leben einer Adeligen zu führen?

Ingrid Ganß: Das reizt mich nun überhaupt nicht. Und ein solch privilegiertes Leben, wie es Elisabeth zu Beginn des „Spielmanns“ führt, mit vielen Büchern, genügend zu essen, warmem Wasser, Feuer fast auf Knopfdruck, das habe ich glücklicherweise auch ohne Adel.

Histo-Couch: Wie geht es Ihnen, wenn Sie Ihre Bücher in Händen halten?

Ingrid Ganß: Das ist schon ein gutes Gefühl, aber am euphorischsten habe ich mich gefühlt, als der letzte Satz nach jahrelanger Arbeit dann endlich stand und die Geschichte wahrhaftig abgeschlossen war.

Histo-Couch: Welche historischen Bücher halten Sie sonst gerne in Händen? Lesen Sie? Was am liebsten?

Ingrid Ganß: Bücher, die in historischen Zeiten spielen? Letztens habe ich mit viel Vergnügen wieder „Der Name der Rose“ gelesen. Ich liebe „Watermusic“ von T.C. Boyle und natürlich „Narziß und Goldmund“ von Hesse.
Ich lese überhaupt sehr gerne und sehr viel und bin dabei auf kein Genre festgelegt. Ich mag gutgeschriebene Krimis ebenso sehr wie Jugendbücher oder Klassiker. Einen gewissen Hang habe ich zur angelsächsischen Literatur.

Das Interview führte Rita Dell’Agnese.

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