Rebecca Gablé
„Wer Mary sagt, muss auch Elizabeth sagen.“
10.2011 Rebecca Gablé im Interview mit der Histo-Couch über die Waringhams, deren Namen, die Tudors und Harry Potter.
Histo-Couch: Sie haben gerade den vierten Waringham-Band veröffentlicht. Was machen Sie, wenn Sie ein Buch fertig haben?
Rebecca Gablé: Naja, so ein bisschen in Trübsinn verfallen. Das ist immer eine ganz seltsame Stimmung. Einerseits bin ich erleichtert, dass es dann doch geklappt hat. Ich weiß nie hundertprozentig, bevor ich das letzte Wort geschrieben habe, ob am Ende auch alles zusammenfließt und ich das Gefühl habe, dass das „Ding“ insgesamt funktioniert. Also ist immer eine ganz große Portion Erleichterung dabei. Aber ich falle auch ein bisschen in ein Loch. Diese Figuren und diese Thematik, mit denen ich zwei Jahre verbracht habe, sind auf einmal weg. Ich darf ja noch Korrekturgänge machen und es kommt das Lektorat und es kommen die Fahnen. Es ist ein Abschied auf Raten, aber wenn der wirklich kreative Prozess des Schreibens zu Ende ist, sitze ich immer erstmal da und denke „Ja, und was jetzt?“.
Histo-Couch: Wie ist Robin of Waringham entstanden? Und warum heißt er Waringham?
Rebecca Gablé: Der Ursprung war die Szene, die jetzt im zweiten Kapitel der „Fortuna“ steht: Ein Junge reißt aus der Klosterschule aus. Der Tod seines Vaters und die dramatischen Begleitumstände waren mir so eingefallen, und dann habe ich mich hingesetzt und das aufgeschrieben, ohne überhaupt zu wissen, was aus der Geschichte werden sollte. Ich hatte nur diese Szene im Kopf. Da hieß der Junge Richard of Walsingham. Das war aber mein erster historischer Roman und ich habe ganz unbefangen angefangen zu schreiben und zu erzählen. Als mir dann langsam klar wurde, wie viele historische Richards es in diesem Buch geben würde, unter anderem einen König, habe ich gedacht, du musst nicht ohne Not deine fiktive Hauptfigur auch noch so nennen. Er hieß dann ein paar Stunden lang Robin of Walsingham. Und dann ist mir eingefallen, dass Walsingham ein Name ist, den es tatsächlich gibt. Von Walsingham zu Waringham war es dann nicht weit.
Histo-Couch: Haben Sie einen Lieblings-Waringham?
Rebecca Gablé: (überlegt lange) Ich liebe natürlich alle meine Kinder, ist ja klar. Aber ich habe einen Lieblings-Waringham. Das ist John.
Histo-Couch: Warum?
Rebecca Gablé: Weil er der Schwierigste ist.
Histo-Couch: Aber Julian ist ja auch nicht so einfach.
Rebecca Gablé: Ja, aber ich persönlich habe John als den Kompliziertesten der Waringham-Männer empfunden. Der es auch mit sich selbst am schwersten hatte.
Histo-Couch: Was wäre Robins oder Johns größtes Problem mit der heutigen Welt?
Rebecca Gablé: (überlegt) Ich glaube, das Tempo, oder? Das Lebenstempo, das wir heute haben, die Geschwindigkeit in der Fortbewegung, die Geschwindigkeit in der Information, der Radau …Ich glaube, dass würde die Menschen total erschlagen. Und dass die Kirchen kleiner sind als die Wohnhäuser. Früher kam man auf eine Stadt zu und das erste, was man sah, war die Kathedrale, die über alle Häuser und Dächer hinausragte. Heute sind zumindest in den Großstädten die Wolkenkratzer viel größer als die Kirchen. Das würde die Leute doch sehr befremden.
Histo-Couch: Und andersherum: Was würde ihm gefallen? Woran hätte er Spaß?
Rebecca Gablé: Ich glaube, ihm würde gefallen, dass zumindest hier bei uns in Westeuropa die Angst vor dem Verhungern nicht so allgegenwärtig ist wie bei der normalen Bevölkerung im Mittelalter. Dass man einen harten Winter nicht zu fürchten braucht. Speziell Robin würde das gefallen, weil er ja doch eher sozialistisch veranlagt ist.
Histo-Couch: Welchen Sport würde Robin treiben? Reiten gilt nicht …
Rebecca Gablé: (überlegt lange) Freeclimbing! Die Waringhams sind ja doch sehr risikofreudig und haben Erfahrungen im Ausbrechen aus dem Tower.
Histo-Couch: Und welches Auto würde er fahren?
Rebecca Gablé: (überlegt) Hmm …Er reitet gerne kostspielige Pferde – das war ja das Äquivalent im Mittelalter. Aber er ist kein Porsche-Typ. Er ist eher ein SUV-Typ …
Histo-Couch: Groß aber nutzlos.
Rebecca Gablé: Ja, wie Schlachtrösser – außer in der Schlacht.
Histo-Couch: Nick würde also eher einen Austin Mini fahren.
Rebecca Gablé: Weil er ein bescheidener Typ ist?
Histo-Couch: Eher, weil er die Zucht der Schlachtrösser aufgibt.
Rebecca Gablé: Das ist auch ein Zeichen der sich ändernden Zeiten. Schlachtrösser wurden einfach nicht mehr gebraucht, weil die Ritter im Grunde ausgestorben waren.
Histo-Couch: Ihre Lieblingsstadt in England?
Rebecca Gablé: York.
Histo-Couch: Könnten Sie genau sagen, wo die Burg Waringham liegt?
Rebecca Gablé: Ja. (Pause, verschmitztes Lächeln) Das gemeine ist, dass in den Romanen nur steht, man müsse eine Stunde hinter Rochester von der Straße abbiegen, aber nicht, ob nach links oder nach rechts. Deswegen bin ich der einzige Mensch auf der Welt, der wirklich weiß, wo Waringham liegt. Und das soll auch so bleiben.
Histo-Couch: Dann wissen Sie wahrscheinlich auch genau, wie ihre Figuren aussehen – Größe, Körperbau, Gesichtszüge …
Rebecca Gablé: Ja …Ich habe beim Schreiben eine Art Film im Kopf, aber die Figuren, vor allem die Gesichter sind ein bisschen schemenhaft. Ich habe sie nicht mit irgendwelchen Hollywood-Schauspielern besetzt oder mit dem Nachbarsjungen oder so. Meine bildliche Vorstellung ist ein bisschen verschwommen.
Histo-Couch: Wie ist das mit den Namen? Vergeben Sie die vorher oder entwickeln die sich während des Erzählens oder ändern die sich auch mal, während Sie schreiben?
Rebecca Gablé: Ganz selten. Wenn ich die freie Wahl habe, überlege ich mir den Namen, wenn ich anfange, die Figur zu entwickeln. Das Kind wird zuerst getauft, und dann wird der Charakter entwickelt.
Histo-Couch: Wie kommen Ihre fiktiven Figuren generell zu ihren Namen? Gibt es Anleihen aus dem Privatleben? Oder sind das Namen, die Sie gerne mögen?
Rebecca Gablé: Es sind schon zeittypische Namen, darauf achte ich immer. Ich versuche aber auch darauf zu achten, dass sie mir gefallen, denn ich muss sie ja ein paar tausend Mal schreiben.
Histo-Couch: Aber Sie haben keinen Patenonkel, der Raimund heißt.
Rebecca Gablé: Nein. Die Namen sind schon ausgedacht oder in Chroniken gefunden oder in Gerichtsakten. Und dann picke ich mir einen raus, der mir gefällt.
Histo-Couch: Und Sie formen die Figuren auch nicht nach tatsächlich lebenden Personen, zum Beispiel wegen ihrer Eigenschaften.
Rebecca Gablé: Nein.
Histo-Couch: Spielt die Namensbedeutung eine Rolle?
Rebecca Gablé: Überhaupt nicht. Sprechende Namen passen besser in eine Fantasy-Reihe als in eine pseudo-wirkliche Welt.
Histo-Couch: Die Namen werden im vierten Band ja etwas schräg. Lapidot zum Beispiel. Sind die historisch fundiert?
Rebecca Gablé: Das war tatsächlich so, dass es unter den Protestanten in England eine Zeit lang Mode war, die Kinder nach irgendwelchen obskuren alttestamentarischen Figuren zu benennen. Da kamen die verrücktesten Sachen dabei heraus. Und warum jeder zweite Mann von den historischen Figuren in diesem Roman Thomas heißt, weiß ich nicht. Thomas Cromwell, Thomas More, Thomas Wolsey – das war ein totaler Modename im 16. Jahrhundert, aber ich habe nicht herausbekommen warum.
Histo-Couch: A propos 16. Jahrhundert: Der Zeitsprung zwischen dem letzten Band der Trilogie und dem vierten Band ist ja ziemlich groß – jedenfalls größer als zwischen den anderen. Gab es dazwischen keine Geschichten zu erzählen?
Rebecca Gablé: Es hätte sicherlich Geschichten zu erzählen gegeben, wobei ich die Regierungszeit von Henry VII. als Romanstoff ein bisschen problematisch finde. Als Thronanwärter und Rebell war er eine viel bessere Romanfigur denn als König. Das war der eine Grund. Zum andern wollte ich diesen großen Zeitsprung – es sind ja fast 50 Jahre – um einen kompletten Neuanfang mit den Figuren zu haben. Wir begegnen im „Dunklen Thron“ niemandem mehr wieder, dafür ist die Zeit zu lang, sondern wir begegnen Kindern und Enkeln. Und ich wollte diesen großen zeitlichen Abstand, um besser darstellen zu können, dass es tatsächlich eine neue Epoche ist, dass die Renaissance begonnen hat, dass die Alltagskultur sich verändert hat.
Histo-Couch: Und jetzt ein für alle Mal zur Klärung: Wie ist Nick mit Julian verwandt?
Rebecca Gablé: Das ist sein Urenkel.
Histo-Couch: Wie behalten Sie die Übersicht bei diesen Stammbäumen?
Rebecca Gablé: Ich mache mir selbst einen beim Schreiben. Der sieht scheußlich aus, mit Bleistift auf kariertem Papier, aber er funktioniert.
Histo-Couch: Wie ziehen Sie da den roten Faden durch? Machen Sie vorher den Stammbaum und suchen Sie dann die Figuren aus oder haben Sie die Figuren und bauen Sie darum den Stammbaum?
Rebecca Gablé: In diesem Fall war es eher so, dass ich zuerst die Figuren erfunden habe. Als ich mir Nick ausgedacht habe, war mir schon klar, dass es ein Urenkel von Julian sein würde. Am Ende vom „Spiel der Könige“ ist Julians ältester Sohn, der auch Robin heißt, eine relativ wichtige Figur, weil er zu den engsten Freunden von Henry Tudor gehört, und von diesem Robin ist Nick ein Enkel. Das war mir von vorneherein klar. Aber die Herkunft der diversen Cousins und Cousinen erkläre ich mir selbst immer erst dann, wenn sie es auch im Roman tun müssen.
Histo-Couch: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich beim Lesen spätestens im zweiten Buch den Überblick verloren habe. Was raten Sie Lesern, dagegen zu tun?
Rebecca Gablé: Sich locker zu machen (lacht). Ich lese gerade „Das Lied von Eis und Feuer“ von George R. R. Martin, eine mittelalterlich anmutende Fantasy-Saga. Das Personenverzeichnis im zweiten Teil ist 37 Seiten lang. Da hat man überhaupt keine Chance wirklich immer genau zu wissen, welche Figur wohin gehört. Aber die Geschichte funktioniert ja auch, wenn man das nicht immer ganz genau versteht. Und wenn man es wirklich wissen möchte, gibt es immer noch das Figurenverzeichnis vorne im Roman.
Histo-Couch: Ich hatte beim Lesen von Waringham Nummer vier das Gefühl, der Wille, die Saga jetzt zu Ende zu führen, ist größer als bei Nummer drei.
Rebecca Gablé: Das ist nicht der Fall. Nach Nummer drei war ich überzeugt davon, dass Schluss ist. Ich habe auch ganz ernst gemeint, was ich im Nachwort geschrieben habe, weil nun auch das Mittelalter zu Ende war und eigentlich gehöre ich ins Mittelalter. Aber als ich mich dann anders besonnen habe, habe ich für mich persönlich von vorneherein gesagt, jetzt schauen wir mal. Ich schreibe jetzt den vierten und lasse alles offen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich auch noch einen fünften schreibe – nicht jetzt direkt als nächstes, aber irgendwann.
Histo-Couch: Und bei den Königinnen und Königen, die auf Henry VIII. folgen, liegen die Geschichten ja auf der Straße.
Rebecca Gablé: Eben. Und wer Mary sagt, muss auch Elisabeth sagen, finde ich.
Histo-Couch: Bis 1603 (Elisabeth I. stirbt, die Red.) ist also für Geschichten gesorgt …
Rebecca Gablé: Danach ist es auch nicht schlecht, aber danach laufen die Männer mit Perücken und in Strumpfhosen herum – und dann noch als Helden. Damit tue ich mich echt schwer. Aber das hat ja noch viel Zeit …
Histo-Couch: Wenn jetzt also die Leser wieder auf Sie einstürmen und unbedingt wissen wollen, wie es weitergeht, dann werden Sie sich Gedanken machen.
Rebecca Gablé: Es ist nicht alleine der Wunsch der Leser. Es ist mir ganz wichtig, das klarzustellen. Natürlich interessiert mich, was mein Publikum denkt. Aber es hätte nicht funktioniert, wenn ich nicht auch selber gewollt hätte. Ich kann mich nicht zwei Jahre mit einem Thema befassen, wozu ich selbst eigentlich keine Lust habe. Es war eine glückliche Fügung, dass mein Publikum und ich dasselbe wollten. Ich habe jetzt auch Lust weiterzumachen, und daher wird sich die Problematik beim nächsten Mal einfach nicht stellen. Ich habe jetzt auch nicht wieder gesagt, dass Schluss ist. Das sage ich einfach nicht mehr.
Histo-Couch: Reden wir über die Sprache. Ich finde sie sehr modern. Gibt es einen Grund dafür, dass sie diesen Eindruck erweckt?
Rebecca Gablé: Ja. Ich bin gelernte Mediävistin. Ich habe unter anderem historische Sprachwissenschaft studiert und bin dadurch sensibilisiert für den Umstand, dass die Sprache aus dem Mittelalter, die wir heute noch nachvollziehen und lesen können, immer eine Kunstsprache ist. Es ist entweder die Sprache von Dichtern oder die Sprache von Juristen oder irgendetwas Vergleichbares. Aber wir haben fast keine Belege von Alltagssprache, weil die nicht niedergeschrieben worden ist. Es hat sie aber mit Sicherheit gegeben. Es ist ja das Wesen der Sprache, dass sich eine Umgangssprache herausbildet. Ich habe mir die Frage gestellt, wie ich diese Alltagssprache darstellen will. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es das natürlichste ist, die Alltagssprache von damals mit der von heute wiederzugeben. Ich glaube, jeder, der sich daran macht, einen historischen Roman zu schreiben, muss seine eigene Entscheidung treffen und auch seinen eigenen Mittelweg finden. Julian Rathbone zum Beispiel lässt in seinen Romanen die Leute durchaus sowas sagen wie „Is ja voll krass, ey!“ Damit würde ich mich schwertun, aber er hat sicherlich auch gute Gründe dafür. Oder für Zitate aus der „Rocky Horror Picture Show“ in seinen Dialogen im elften Jahrhundert. Kann man machen, kann man auch rechtfertigen, aber das ist nicht mein Weg.
Histo-Couch: Und dann wahrscheinlich auch ganz bewusst die Sache mit dem Humor bzw. der Ironie. Denn das ist für mich wiederum auch sehr modern, zum Beispiel die Art und Weise, wie sich die Protagonisten sehr ironische Sätze zuspielen.
Rebecca Gablé: Das halte ich für nicht wirklich anachronistisch. Man kann in der mittelalterlichen Literatur durchaus Ironie finden, bei Chaucer zum Beispiel. Aber ich schreibe ja nicht für ein Publikum aus dem 14. oder 15. oder 16. Jahrhundert, sondern für eins von heute beziehungsweise erstmal für mich selbst und dann natürlich so, dass heutige Leser sich angesprochen fühlen.
Histo-Couch: Ich meine auch im Vergleich mit vielen anderen historischen Romanen, wo man manchmal das Gefühl bekommt, die Autoren sind geradezu peinlich darauf bedacht, möglichst ernsthaft zu bleiben.
Rebecca Gablé: Ich glaube, das ist ein bisschen die Frage von Distanz zu den eigenen Figuren. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die Figuren aus der Gegenwart ganz plastisch und glaubwürdig darstellen können. Aber wenn sie versuchen, Figuren aus der Vergangenheit darzustellen, erstarrt die ganze Sache auf einmal. Das Problem ist möglicherweise, dass sich durch die zeitliche Entfernung eine Distanz zu den Figuren aufbaut. Dann wird es schwierig mit solchen Dingen wie Humor und Ironie, denn dafür muss man Nähe zu seinen Figuren haben und sie als – so seltsam das klingt – realistische Menschen wahrnehmen.
Histo-Couch: Kennen Sie die TV-Serie „Die Tudors“?
Rebecca Gablé: Ja!
Histo-Couch: Gab es Einflüsse?
Rebecca Gablé: Ich dachte Sie würden jetzt fragen, ob es ein einziges historisches Ereignis in dieser Serie gab, das korrekt dargestellt wurde …
Histo-Couch: Ich wollte eher auf die Figuren hinaus, denn es gibt ziemliche Unterschiede in den Figurenzeichnungen zwischen der Serie und Ihrem Buch. Zum Beispiel ist der Duke of Suffolk im Buch eher der Ränkeschmied, der im Hintergrund die Fäden zieht. In der Serie ist er eher ein Mitläufer, der macht, was der König will, sich ansonsten aber zurückhält.
Rebecca Gablé: Ich denke, dass ich ihm nichts angedichtet habe in der Beziehung. Er war tatsächlich ein Schlitzohr. Er hat politisch keine Berge versetzt, aber er hat immer darauf hingewirkt, dass seine eigenen Interessen gewahrt blieben. Er hat ohne Erlaubnis des Königs dessen Schwester geheiratet. Das muss man auch erstmal bringen. Zu der Serie allgemein möchte ich klärend hinzufügen, dass ich sie gar nicht so furchtbar verteufeln möchte. Ich habe sie mit Vergnügen geschaut und sie hatte auch ihre großen Momente. Den letzten Teil der zweiten Staffel mit Anne Boleyns Hinrichtung aus der Perspektive von Thomas Wyatt geschildert, fand ich großartig. Und das Zitat aus seinem Gedicht am Schluss – da hatte ich wirklich eine Gänsehaut. Ich fand sie auch hübsch anzusehen und das sollte sie ja auch sein. Und ich finde es durchaus legitim – bis zu einer gewissen Grenze. Wenn bekannte und historisch unzweifelhafte Fakten verdreht werden, um sie dem Drehbuch anzupassen, hört bei mir jedoch die Toleranz auf – man darf doch die Historie nicht ändern, nur um sie in das 45-Minuten-Konzept einer TV-Serie einzupassen. Aber das ist ja nur meine Meinung. Die haben eben Dinge gemacht, die sie für richtig hielten. Es hat viele junge Leute dafür begeistert, sich mit Vergangenheit zu befassen, und das ist auch eine Leistung.
Histo-Couch: Da drängt sich natürlich mal wieder das Thema „Verfilmung Ihrer Bücher“ auf. Ist das immer noch unmöglich, wie Sie mal gesagt haben?
Rebecca Gablé: Die problematische Ausgangslage ist immer noch dieselbe: deutsche Autorin mit englischen Stoffen. Deutsche Produzenten interessieren sich nicht für englische Stoffe und englische oder amerikanische Produzenten interessieren sich nicht für deutsche Autoren. Nun ist es gerade so, dass meine Bücher den Sprung in die englische Sprache schaffen bzw. geschafft haben. „Die Siedler von Catan“ erscheint im November in Amerika und die Waringham-Trilogie erscheint ab 2013 in England. Ich denke, dann werden die Karten neu gemischt. Es kommen jetzt schon Verfilmungsanfragen für „Catan“ aus Amerika, aber das liegt daran, dass das Spiel so rasant erfolgreich ist. Sie fragen schon nach den Filmrechten, bevor sie wissen, dass es ein Buch gibt. Sie wollen das Brettspiel verfilmen.
Histo-Couch: Derweil tun Sie sich offenbar in anderen Themen um. Sie haben mal in einem Interview gesagt, Sie hätten Angst vor dem deutschen Mittelalter, weil es zu zergliedert und zu zerfasert sei einerseits. Andererseits findet man im Internet Fotos von einer Recherchereise nach Quedlinburg und Magdeburg.
Rebecca Gablé: Gut aufgepasst!!!
Histo-Couch: Haben Sie jetzt keine Angst mehr?
Rebecca Gablé: Doch, aber ich tu’s trotzdem (lacht). Im zehnten Jahrhundert geht’s ja noch. Da kann man noch ganz gut den Überblick behalten. Damit fange ich jetzt an und schaue wie das klappt. Ich bin noch nicht sehr weit, aber wenn ich mich jetzt noch einmal umorientieren müsste, bekäme ich ein Zeitproblem und könnte meinen Abgabetermin nicht einhalten. Eigentlich bin ich jetzt festgelegt. Aber es ist ein Abenteuer.
Histo-Couch: Otto und Gero sind Namen, die da gefallen sind, der Sarkophag war im Internet abgebildet …
Rebecca Gablé: Das war meine eigene Schuld …Jetzt kann ich’s eigentlich auch sagen. Das Buch wird sich um Otto und die Elbslawen drehen, Gero fällt eher die Schurkenrolle zu. Obwohl er der Onkel des Gründers meiner Heimatstadt Mönchengladbach war. Hier gibt es einen Geroweiher und der Erzbischof von Köln, der die Klostergründung in Mönchengladbach veranlasste, hieß Gero. Ich habe jetzt im Rahmen meiner Recherchen festgestellt, dass er der Neffe dieses Schurken Gero war.
Histo-Couch: Ich versuche, meine Kenntnisse des deutschen Mittelalters zusammenzukratzen. Das geht natürlich mit Karl dem Großen los und dann gab es seine Söhne und die drei Ottonen …
Rebecca Gablé: Mein Otto ist der erste.
Histo-Couch: Das ist eine Epoche, die nicht so gegenwärtig ist als Stoff für Literatur, gerade die Kaiser-Geschichten.
Rebecca Gablé: Mir ging es ganz ähnlich. Es gibt zwar Romane, die in der Epoche spielen, aber die haben meistens einen sehr lokalen Bezug. Ich habe fast bei Null angefangen, als ich mich mit dem Thema befasst habe. Der Vater von diesem Otto I., Heinrich I., gilt als Reichsgründer. Das war die Zeit, in die die Trennung des ostfränkischen und des westfränkischen Reiches fiel. Er war der erste König des ostfränkischen Reiches, aus dem später das deutsche Reich wurde. Sein Sohn war Otto der Große, also Otto I., der später Kaiser wurde. Das ganze Thema ist wahnsinnig Nazi-belastet, weil in diese Zeit die Eroberung der Slawengebiete östlich der Elbe durch Gero fällt. Die Nationalisten des 19. Jahrhunderts, vor allem aber die Nazis fanden das natürlich ganz toll, dass im Osten Landnahme stattfand. Sie haben gesagt, wir folgen nur den Spuren unserer großen deutschen Vorbilder. Da kann einem speiübel werden. Aber dafür kann ja Otto nichts. Es ist mir auch ein Anliegen, ihn ein wenig dem nationalistischen oder sogar nationalsozialistisch verbrämten Blickwinkel zu entreißen und mich zu trauen, ihn als positive Figur darzustellen, damit es auch Spaß macht, diesen Roman zu lesen.
Histo-Couch: Man braucht sympathische Figuren in einem Roman …
Rebecca Gablé: Ich finde auch, Identifikation ist ganz wichtig, damit man dabei bleibt und wissen will, wie es weitergeht. Denn wenn mir die Figuren egal sind, ist mir auch der Fortgang der Geschichte egal.
Histo-Couch: Sie haben ja auch mal unterrichtet. Würden Sie das wieder tun, und wenn ja, eher Literatur oder kreatives Schreiben oder was Historisches?
Rebecca Gablé: Das würde mir alles Spaß machen. Ich habe Kreatives Schreiben ein halbes Jahr lang an meiner alten Schule als Schreibseminar gemacht, einmal in der Woche, nachmittags. Das war ganz spannend. Toll war natürlich auch Altenglische Literatur an der Uni zu machen, immer nur mit vier bis fünf Leutchen. Aber das ist so ein Zeitfresser, weil ich für neunzig Minuten Veranstaltung mindestens einen Tag Vorbereitung brauche und ich mir das zeitlich einfach nicht leisten kann.
Histo-Couch: Sie mögen auch Harry Potter …
Rebecca Gablé: Ja, und wie!
Histo-Couch: Gibt’s da einen Lieblings-Charakter?
Rebecca Gablé: Das kann ich gar nicht sagen. Das ist einfach die Summe der Figurenkonstellationen, die so wahnsinnig gut funktioniert.
Histo-Couch: In ihren Funktionen vor allen Dingen. Den Eindruck hatte ich bei den Waringhams auch. Es gibt immer einen, der ein bisschen ist wie John of Gaunt. Ein Elder Statesman, der einerseits ein bisschen skrupellos, andererseits aber im Grunde gut ist, der Humor hat, ein bisschen zynisch und sarkastisch sein kann. Im letzten Band schien Chapuys diese Funktion inne zu haben.
Rebecca Gablé: Ich habe gerade überlegt. Vielleicht ist Chapuys das ein klein bisschen. Das stimmt. Weil er schon mal cool bleibt, wenn alles ins Schlittern gerät. Es gibt eine Mythentheorie von einem Literaturwissenschaftler namens Campbell. Der hat nachgewiesen, dass es bestimmte Archetypen gibt, die in jeder Geschichte vorkommen, die gut funktioniert. Ob es nun das Gilgamesch-Epos ist oder die Bibel oder Star Wars. Es ist natürlich zu einfach, eine Geschichte darauf reduzieren zu wollen. Aber es stimmt schon, dass man eine Figur wie John of Gaunt oder Kardinal Beaufort eigentlich immer gut gebrauchen kann als Tröster, als Elder Statesman, auch als Autorität in der Geschichte. Die Leser wissen, dass das, was der sagt, stimmt. Das ist ganz wichtig zur Vermittlung von historischen Fakten wie auch für den Fortgang der Geschichte.
Histo-Couch: So wie Hermine …
Rebecca Gablé: Genau. Wie Hermine und Professor Dumbledore. Das sind die zuverlässigen Autoritäten in Harry Potter.
Histo-Couch: Denen vertraut man die Vermittlung von Fakten an, weil sie sie überzeugend vermitteln können. Sie meinten einmal, wenn man einen Roman mit einer solch großen Portion Information beginnt, habe man sofort den Leser versenkt.
Rebecca Gablé: Das passiert ganz leicht. Man hat ja viel recherchiert und das möchte man natürlich mitteilen. Und man hat die Angst, dass, wenn man mittendrin anfängt zu erzählen, die Leser vielleicht nicht den Durchblick haben für das, was man erzählen möchte. Das lernt man natürlich mit der Zeit, dass man die Information nach und nach zufüttern kann und die Menschen das Buch trotzdem verstehen.
Histo-Couch: Da gibt es einige Romane, die genauso anfangen …Umberto Eco könnte man diesen Vorwurf machen.
Rebecca Gablé: Aber der ist irgendwie die Ausnahme. Dem verzeihen die Leser das, auch seine Gelehrsamkeit mit Zitaten in Griechisch, Arabisch oder Latein. Aber er hat bewiesen, dass er es kann, weil er erzählen kann.
Histo-Couch: Wie sieht’s aus mit einem historischen Krimi? Den wollten Sie auch immer mal schreiben.
Rebecca Gablé: Ach ja …Das Problem ist immer dasselbe: Ich würde das schrecklich gerne machen. Ich hatte auch überlegt, das als Hörspiel zu schreiben, um mit dem anderen Genre auch eine andere Form auszuprobieren – ich würde einfach gern mal ein Hörspiel schreiben. Aber ich habe nie Zeit. Ich möchte gerne alle zwei Jahre einen historischen Roman, der kein Krimi ist, veröffentlichen, und ich brauche einfach zwei Jahre dafür.
Histo-Couch: Parallel schreiben Sie nicht, haben Sie mal gesagt …
Rebecca Gablé: Das kann ich nicht! Es ist jetzt schon so, dass ich meine Figuren manchmal durcheinanderbringe. Zwischendurch hat Nick mal Julian geheißen – wie bei einer Mutter, die ihre Kinder nicht auseinanderhalten kann.
Histo-Couch: Es stand auch immer noch eine Fortsetzung zu den Helmsbys aus …
Rebecca Gablé: Ja, das könnte durchaus sein. Wobei ich mir gerade mit Eleonore von Aquitanien und Henry II. nicht sicher bin. Ich habe gerade ein Thema hinter mir, zu dem es schon fünfhundert Romane und Filme und Fernsehserien gibt. Das muss ich nicht in Kürze noch mal haben, besonders dann, wenn es mit Elisabeth (I.) losgeht. Daher würde ich mir das in der anderen „Serie“ nicht nochmal antun wollen. Ich weiß nicht, wie ich das angehen würde, wenn ich mich dazu entschließe. Was mich aber sehr interessiert, ist das 13. Jahrhundert. John ein wunderbarer Schurke, Henry ein wunderbarer Waschlappen – da gibt es tolle Figuren, die aber noch nicht so wahnsinnig oft dargestellt wurden.
Das Interview führte Dirk Jaehner.
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