Eve Rudschies
„Ich will den Leser dazu animieren, den Geschmack jeder Epoche wirklich zu erleben.“
06.2013 Die Histo-Couch im Interview mit Eve Rudschies über das Kochen, Diabetes und ihre Kindheit am Herd. (Vorsicht, Spoiler!)
Histo-Couch: Frau Rudschies, kochen Sie gerne?
Eve Rudschies: O ja! Mehr als gern! Seit ich sechs bin, gehört es zu meinem Leben. In dem Alter habe ich mein erstes Kochbuch (gleichzeitig mit meinem ersten Geschichtsbuch) bekommen und alles in der winzigen Küche unserer winzigen Pariser Wohnung rauf und runter gekocht. In den Ferien aber, die in Frankreich lang waren, habe ich mit der Köchin meiner Großmutter in unserem Familienhaus in Cannes gekocht. Es war eine riesige Küche, noch eingerichtet wie im 19. Jahrhundert: Brunnen, aus Holz gezimmerter Eisschrank, für den das Eis jeden Morgen geliefert wurde, Kohle für den gusseisernen Herd. Da musste man sich wirklich abrackern. Die Familie war chaotisch, meine Eltern Linksintellektuelle reinsten Wassers, aber aus unterschiedlichen Horizonten. Für beide war ein Leben am Rand des Abgrunds eine Art Weltanschauung, eine Frage des Stils sozusagen. Aber gutes Essen war ihnen wichtig. Kochen war die einzige handwerkliche Tätigkeit, die vor ihren Augen Gnade fand. Das gab mir Auftrieb, um bei der älteren Generation zu lernen und auch das Gefühl, etwas zu tun, das überall, unter allen Umständen das Überleben sichert. Kulinarisch war das eine spannende Umgebung, es kochte hoch in den Töpfen. Meine Mutter war in Ägypten in eine elsässische Familie mit jüdischen Wurzeln hineingeboren worden, in der katholischen Familie meines Vaters trafen Italien, Paris und Flandern aufeinander. Alle diese Traditionen wollten vertreten sein. So wurde ich früh vertraut mit verschiedenen Zutaten, Techniken und Geschmacksrichtungen, einschließlich denjenigen der Côte d´Azur.
Ich besitze einen sehr guten Geruchs- und Geschmackssinn. Es machte mir Freude, diesen zu entwickeln, manchmal auch nur in Gedanken. Das heißt, ich habe früh angefangen, Kochbücher zu lesen; alte, historische zu sammeln; mir selbst Rezepte auszudenken. Das blieb nicht unbemerkt: Früh habe ich auf Bestellung gekocht. Das tue ich noch heute mit großem Glücksgefühl. Gibt man mir eine Richtung, einen Wunsch, werde ich kreativer. Ich stelle mir die Menschen hinter dem Wunsch vor und versuche, Ihnen so viel Freude wie möglich zu bereiten und sie zu überraschen.
Ich bin seit langem daran gewöhnt, täglich zu kochen, für wenige oder viele, für ein Abendessen oder auch gleich für den nächsten Tag. Inzwischen ist es mir auch wichtig, um die Umwelt zu schonen und das Spiel der Lebensmittelindustrie nicht mitzumachen. Ich bin mehr denn je überzeugt, dass wir und unser Planet es uns nicht leisten können, von Fertignahrung zu leben.
Histo-Couch: Da sind Sie ja fest in der Küche verwurzelt. Woher kam dann die Idee, einen historische Kriminalroman mit reichlich Küchenanteilen zu verfassen?
Eve Rudschies: Schon in meinem ersten Roman (“Die Königin von Jerusalem„) spielte die “kulinarische Umgebung„ eine wichtige Rolle, wie auch in meinem allerersten – nicht veröffentlichten – Projekt für einen historischen Roman. Das Gefühl war da, es würde mir richtig gut liegen, etwas mit Küche im Zentrum zu machen, die zündende Idee fehlte noch. Im Jahr 2008 fiel mir in Frankreich eine kleine Reihe historischer Kriminalromane auf, die die Geschichte der französischen Küche zwischen Mittelalter und Revolution thematisierte. Es war nach einer Serie von “arte„ über das Thema erschienen, die ich mir auch gleich ansah. Die Sendung war hochinteressant, die Bücher wiederum nicht ganz so gut und wenig spannend, aber da wusste ich: Das ist meins, etwas in diese Richtung will ich machen.
Ich bin Historikerin und beschäftige mich schon lange mit der Kulturgeschichte des Essens und der Lebensmittel. Über das Thema hatte ich reichlich nachgedacht. Im Zentrum jeder Gesellschaft, jeder Kultur sind Nahrungsbeschaffung, Nahrungsversorgung, Nahrungssicherheit sowie Nahrungsverteilung von essentieller Bedeutung. Je weiter man zurückgeht in der Geschichte, um so wichtiger. Jede Religion muss das tägliche Brot versprechen, jede Machtstruktur entsteht aus der Macht über die vorhandenen Lebensmittel und kann nur so lange überleben, wie sie diese Macht aufrecht hält. Aus Salz und Wein werden Handelsimperien geboren. Die ganze Medizin bis heute ist von der Diätetik nicht zu trennen. Wir sind eine höchst soziale Spezies, deren tiefster Trieb das gemeinsame Verzehren der gemeinsam beschafften Nahrung ist. Eine einsame Mahlzeit ist für uns quasi das Ebenbild des irdischen Unglücks. So gut wie jeder Austausch – alle unsere Rituale, Gewohnheiten, Festlichkeiten, Beziehungen – laufen über gemeinsame Mahlzeiten, am Ende der langen Kette von Jagd, Ernte, Verarbeitung, Verteilung und Vorbereitung des Essbaren.
Darüber wollte ich in literarischer Form schreiben, denn das ist noch nicht gemacht worden. Daraus mussten sich gute Geschichten machen lassen, dessen war ich mir sicher: Wo sind die Brüche, die Erneuerungen? Was sagen unsere Essgewohnheiten über uns, über unsere Glaubenswelt, über unsere Handlungsmotive? Wozu sind wir fähig, was Essen betrifft? Wann wird Essen zu einer Waffe zwischen den Völkern, zwischen Armen und Reichen, Jungen und Alten, Mann und Frau? Essen ist auch pure Lust, pure Sinnlichkeit, der Inbegriff von allem Schönen und Guten, ein Meer der Wonne, eine unerschöpfliche Quelle für Kunst und Kultur, aber auch für Anekdoten, Kuriositäten, lustige oder lächerliche Geschichtchen. Aus all diesen Gründen habe ich ein Konzept entwickelt für eine Bücherreihe, dessen erster Roman “Süßes Gift und bittere Orangen„ ist, in der das Essen im weitesten Sinn Motor und Zentrum der Geschichte ist, nicht bloße Verbrämung. Deswegen gehört es nicht nur zu diesem Konzept, dass Essen und Kochen im Text reichlich präsent sind, sondern auch ein Rezeptteil mit Anekdoten und Kommentaren, um die Küchenwelt der jeweiligen Zeit besser vermitteln zu können, vielleicht sogar die Leserinnen und Leser dazu zu animieren, den Geschmack der jeweiligen Epoche wirklich zu erleben.
Histo-Couch: Litt Herzog Ludwig X. von Landshut tatsächlich an Diabetes?
Eve Rudschies: Nach allem, was wir über seine gut dokumentierte Krankengeschichte wissen: ja. Als Ergebnis von reichlichem Essen und Alkoholgenuss litt er unter einer enormen Körperfülle (alle Wittelsbacher neigten dazu), offenen Beinen, schlecht verheilenden Wunden, stark riechendem, süßlichen Urin usw. Diabetes Typ II war damals eine Krankheit der wohlhabenden Genussmenschen. Unsere heutigen Überflussgesellschaften kennen das gleiche Problem. Ludwig war das Ebenbild eines Lebemannes, was er mit der entsprechenden Krankheit bezahlte. Damit hatte er vielleicht sogar Glück, denn die andere typische Krankheit der Wohlhabenden war die Gicht. Nicht tödlich wie Diabetes, aber unvorstellbar quälend, ohne dass die Schmerzen effizient gelindert werden konnten.
Histo-Couch: Inwieweit war man in der Mitte des 16. Jahrhunderts mit Diabetes vertraut?
Eve Rudschies: Diabetes war schon in der Antike bekannt, als Krankheit identifiziert und beschrieben, als “süßer Fluss„. Süß, weil der Urin süßlich schmeckte (ja, ja, der Herr Doktor hatte nicht jeden Tag zu lachen ...), und Fluss, weil die durstigen Kranken so viel trinken mussten, wie sie Wasser ließen. Auch hatte man gemerkt, dass so gut wie ausschließlich die Glücklichen dieser Welt betroffen waren. Einen Behandlungsansatz gab es trotzdem nicht, obwohl der Zusammenhang zwischen Überfluss und Diabetes festgestellt war. Deswegen war Diabetes ab einem bestimmten Stadium unweigerlich tödlich.
Es mag seltsam anmuten, dass man nicht versuchte, den Kranken einfach durch eine geeignetere Diät zu helfen, da die Medizin sehr lange Zeit fast ausschließlich aus Diätverordnungen bestand. Die Temperamentenlehre des griechischen Arztes Galen, das Alpha und Omega der westlichen Medizin bis zum 19. Jahrhundert, versperrte in diesem Fall einer vernünftigen Behandlung den Weg. Diese Lehre ist der indischen ayurvedischen Lehre nicht unähnlich und besagt, dass die ganze Menschheit in vier Grundtemperamente aufzuteilen ist. Aus der Feststellung des Grundtemperaments folgt eine Welt aus den verschiedensten Eigenschaften und Empfehlungen für das jeweilige Temperament. Das sage ich es jetzt sehr generell. In “Süßes Gift und bittere Orangen„ wird es reichlich thematisiert und begründet den Krieg der Köche um die richtige Ernährung für den Herzog.
Galens Lehre erklärt, dass jedes Temperament am besten weiß, was ihm am besten bekommt, weil der Geruchs- und der Geschmackssinn die feinsten sind. Darüber hinaus entscheidet das Gleichgewicht der vier Körpersäfte über Gedeih oder Verderb des menschlichen Körpers. Geraten die Körpersäfte in Ungleichgewicht, wird also von einem zu viel verloren, muss es schleunigst ersetzt werden. Einem Fiebernden wird man dann logischerweise das Geschwitzte durch Wasser ersetzen, wonach er heftig verlangt. Doch im Fall von Diabetes war dies äußerst tückisch. Man war der Meinung, es handele sich um eine Nierenkrankheit, die den Verlust von Wasser und Zucker verursachte. Also wurde den Kranken viel Flüssigkeit – meistens Bier oder Wein – und viel Zucker gegeben. Die Heißhungerattacken, durch immer wiederkehrende Unterzuckerungen angefeuert, wurden immer häufiger, die durch immer mehr Alkohol und Süßes bekämpft wurden. Der tödliche Teufelskreis schloss sich.
Erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts stellte der Arzt Paracelsus, der zur Umgebung Ludwigs und seiner Brüder gehörte, dieses Modell in Frage. Er meinte (mit Recht, wie die spätere Forschung zeigte), dass Diabetes eine systemische Krankheit des ganzen Körpers wäre und mit anderen Mitteln zu behandeln sei als die der klassischen Lehre Galens. Diese anderen Mittel aber setzten ein komplett anderes Menschenbild voraus, auch das thematisiere ich in meinem Roman. Die eigentliche experimentelle Forschung über Diabetes begann aber erst ein Jahrhundert später. Der Haushund, unser verfressener Gefährte, taugte bestens für diese Forschungsarbeit. Doch das ist eine völlig andere Geschichte.
Histo-Couch: Mit Herzog Ludwig X. haben Sie eine reale Person als Opfer, mit Johann Albrecht Widmannstetter ebenfalls eine reale zentrale Hauptperson. Wie frei konnten Sie die Geschichte entwickeln, um gleichzeitig den historischen Persönlichkeiten gerecht zu werden?
Eve Rudschies: Sie fragen, ob ich meine realen Figuren verfälschen oder die Umstände beugen musste, um meinen Kriminalfall entwickeln zu können. Doch wenn ich mir mit dem Aufbau der Geschichte zu viele Freiheiten genommen hätte, wäre ich meinen historisch belegten Protagonisten nicht gerecht geworden. Deshalb habe ich mir diese Freiheiten nicht genommen, da hätte das Historikerherz zu sehr geblutet, das die Realität immer als besser empfindet als die Fiktion. Ich habe also nichts Gesichertes geändert. Ganz im Gegenteil wollte ich Herzog Ludwig und Johann Albrecht Widmannstetter, mit ihm seine spätere Frau Anna Lucretia, Ludwigs uneheliche Tochter, zeigen, wie sie gewesen sind. Sie waren faszinierende Persönlichkeiten, die es nicht verdienen, vergessen zu werden. Das war mir ein großes Anliegen. Wie aber eine gute Kriminalgeschichte entwickeln, wenn man sich nicht weit von den historischen Tatsachen entfernen will?
Leonhard von Eck, die Figur des Widersachers, hat mir die Lösung gegeben. Er wird bis heute gefeiert als der Vater des modernen bayerischen Staates, also als eine sehr positive Persönlichkeit. Doch er war ein sehr komplexer Mensch mit vielen Licht- wie Schattenseiten, gierig, korrupt, machtbesessen, zu den erstaunlichsten Wendungen fähig. Seine hohe Intelligenz und seine Schnelligkeit gaben ihm das Gefühl, er wäre nicht nur in Bayern, sondern in ganz Europa allen überlegen. Was nicht falsch war. Er konnte jede auch noch so verworrene Situation im Griff behalten oder in die ihm gewünschte Richtung dirigieren. Die bayerische Doppelregierung (Herzog Ludwig in Landshut, Herzog Wilhelm in München) war ihm ein Graus. Er hielt die Konstruktion für ineffizient und gefährlich, diente aber bis zu diesem Jahr 1541 anscheinend mehr oder weniger treu seinen zwei Herzögen.
Je mehr ich von ihm während meiner Recherchen erfuhr, um so mehr sagte ich mir: Dieser Mann musste gewaltig Dreck am Stecken gehabt haben, das war nicht anders möglich! Und sieh da: Anfang 1542 wird er vom Landshuter Hof in München wegen Hochverrats angeklagt. Er, der Bayern seit Jahrzehnten im Namen beider Herzöge regierte. Es musste etwas Ungeheuerliches passiert sein, damit Ludwig und seine Hofräte sich dazu entschlossen. Was er angestellt hatte, kennt man heute nur zum Teil, aber nicht in vollem Umfang. Meine Geschichte ist aus diesem echten Kriminalfall entstanden. Ich habe nichts gebeugt, sondern viel mehr versucht, dieses alte, zum Teil ungelöste Kriminaldrama auszuleuchten. Das war spannend!
Histo-Couch: Beruht Ihr Roman also letztlich auf einer wahren Begebenheit?
Eve Rudschies: Wahrscheinlich habe ich die Frage gerade beantwortet. Ja, er beruht auf der Grundrivalität zwischen den zwei Höfen München und Landshut, die immer wieder aufflammt und der Anklage wegen Hochverrats von 1542 gegen den übermächtigen Hofrat Leonhard von Eck. Die Geschichte der Herzogin Sabina beruht ebenfalls auf Tatsachen und die Liebe zwischen Widmannstetter und Anna Lucretia ist ebenso dokumentiert.
Histo-Couch: Sie beschreiben das Arbeiten in den Küchen sehr intensiv. Wie groß sind die Unterschiede zu heutigen Großküchen?
Eve Rudschies: Die Arbeit in einer heutigen Großküche gehört zu den körperlich anstrengendsten, obwohl alle möglichen Maschinen den Menschen diese Arbeit enorm erleichtern oder ganz abnehmen. Damals schufteten die dort arbeitenden Menschen bis zur völligen Erschöpfung, verbrachten fast ihr ganzes Leben in dieser engen, rauchgeschwängerten Umgebung mit dem einzigen, aber unschätzbaren Vorteil, dass ihnen das tägliche Brot sicher war. Diese Schufterei gilt aber für die ganze Arbeitswelt quasi bis zum Zweiten Weltkrieg. Insofern ist die Arbeit in einer heutigen Großküche eine schwache Erinnerung an vergangene Zeiten.
Was der heutigen Situation sehr ähnelt, ist die strenge Hierarchie in der Küche. Auf einer Seite die gefeierten, mächtigen Küchenchefs, mit ihnen die hochkompetenten Spezialisten, wie z.B. die Patissiers, auf der anderen Seite das kleine Küchenvolk der Lehrlinge und der ungelernten Aushilfen, kümmerlich bezahlt und oft sehr schlecht behandelt. Die raue Ambiente der Profi-Küchen hielt und hält viele Frauen davon ab, Köchin zu werden; das ist noch heute Realität, die höchstwahrscheinlich Tradition hat.
Was in einer heutigen Großküche nicht mehr gemacht wird, ist das Kochen nach der sozialen Hierarchie. Niemand käme auf die Idee, den Chefs ausschließlich Trüffel und Hummer vorzusetzen, den leitenden Angestellten nur den Braten, den einfachen Mitarbeitern nichts anderes als Eintopf ohne Fleisch und die Restebrühe grundsätzlich den Reinigungskräften zu servieren. Oder: Im Restaurant bleiben Kaviar und Kobe-Filet dem adligen Gast vorbehalten, während auf der Karte des Bürgers viel einfachere Lebensmittel stehen …Unsere Weltanschauung würde das nicht mehr erlauben. Unser medizinisches Wissen des Stoffwechsels auch nicht. Gesundheitliche Aspekte spielen heute wieder eine große Rolle. Das war jahrhundertelang der Fall, im Lauf des 19. Jahrhunderts aber langsam verschwunden.
Histo-Couch: Hätten Sie selber einmal gern einen Tag lang in so einer Küche gearbeitet?
Eve Rudschies: Ja, auf jeden Fall. Ich verausgabe mich gerne körperlich und mache möglichst viel selbst. So eine Küche ist mir nicht fremd: Die Küche meiner Urgroßmutter in Cannes war bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts im Zustand von 1900. Als Kind war eines meiner Lieblingsausflugsziele die vollständig erhaltene Küche eines kleinen Palazzo aus dem 18. Jahrhundert in Grasse. Ich verbrachte dort Stunden und erzählte mir erfundene Geschichten über die Bewohner des Hauses und ihre Bediensteten in dieser Küche.
Histo-Couch: Sie sind gebürtige Französin und leben seit vielen Jahren in Deutschland. Denken Sie auf Französisch oder auf Deutsch? Gibt es ein Sprachenwirrwarr, wenn Sie einen Roman schreiben?
Eve Rudschies: Ich denke in der Sprache, die ich gerade benütze, ohne Wirrwarr. Mündlich oder schriftlich. Das ist oft der Fall bei Leuten, die mehrsprachig aufgewachsen sind. Statt ein Sprachzentrum pro Sprache haben viele wirklich mehrsprachige Leute nur ein einziges Sprachzentrum für alle Sprachen im Gehirn. Also ist der Wechsel von einer Sprache zur anderen bei mehrsprachig aufgewachsenen Menschen wie eine fließende Bewegung von einer Sprache zur anderen, die mühelos stattfindet. Ich sehe das sehr oft in meinem Beruf als Lehrerin an der Europäischen Schule München. Es kann sein, dass in einem bestimmten Bereich eine Sprache dominiert: Rechnen z.B. kann ich in Französisch mit Abstand am besten, ich versuche es gar nicht mehr anders; stricken wiederum am leichtesten in Englisch, weil ich es in dieser Sprache erst wirklich gut gelernt habe. Kochen ist mein Turm zu Babel, es funktioniert in fast jeder (europäischen) Sprache. Beim Schreiben dominiert sehr stark die deutsche Sprache, das passiert ganz natürlich. Ich denke hauptsächlich in Bildern, was auch die Sätze, die ich sagen oder schreiben will, betrifft. Ich lese sie wie aus einer Art innerem Teleprompter, ohne dass man es am Redefluss merken würde. Es ist sehr schwierig, so etwas genau zu beschreiben, da es automatisch passiert. Ich habe es sehr lang nicht mal selbst gemerkt, geschweige denn mich gefragt, was möglicherweise anders abläuft als bei anderen Menschen.
Histo-Couch: Wie lange haben Sie an “Süßes Gift„ gearbeitet?
Eve Rudschies: Für die Recherchen, den Aufbau der Geschichte und das detaillierte Exposé habe ich ein Jahr gearbeitet, am Buch selbst 6 Monate geschrieben. Das hat so lange gedauert, weil ich ja auch noch einen Beruf habe, der mich durchaus fordert.
Histo-Couch: Hatten Sie Einfluss auf die Wahl des Buchcovers? Man sieht ja Früchte und Nüsse und eine Meise, was ja treffend ist, da der Herzog seine Tochter auch “Meise„ nennt.
Eve Rudschies: Ich hatte das Glück bei dem Gmeiner Verlag, das Titelbild selbst aussuchen zu dürfen, was alles andere als selbstverständlich ist. Deswegen ist die liebliche Meise zu finden, die tatsächlich Anna Lucretia symbolisiert, zwischen den Früchten der Hoffnung (die Pomeranzen und die Feigen, die für das Paradies stehen), den Früchten der Lust (Birnen und Pfirsiche) und den Früchten des Verzichts und der Buße (Nüsse und Walnüsse). Der Gmeiner Verlag hat das Bild, finde ich, noch optimiert mit dem Relief-Effekt beim Stillleben und dem Anbringen des prächtigen, giftgrünen Vorhangs, der nicht auf dem Originalbild ist.
Histo-Couch: Haben Sie alle Rezepte im Anhang selbst ausprobiert?
Eve Rudschies: Ja, sonst hätte ich sie nicht aufgenommen, Varianten vorgeschlagen sowie Leserinnen und Lesern dazu animiert, sich daran zu wagen. Mit der Buchhandlung Koj in Vilsbiburg und der Buchhandlung Kindsmüller in Ergoldsbach haben wir bei den Lesungen Büffets mit den Rezepten aus dem Buch vorbereitet und angeboten, mit großem Erfolg. Frau Koj und Frau Kindsmüller haben sogar experimentiert, den lombardischen Reistopf und die Schuchsen im Häppchenformat zum Wein hergestellt. Die Leute waren hin und weg.
Histo-Couch: Wie viel Zeit haben Sie während Ihrer Recherchen in Landshut verbracht?
Eve Rudschies: Schwer zu sagen. Es hat mit einem Tag in der wunderschönen Ausstellung “Ewig blühe Bayerns Land. Herzog Ludwig X. und die Renaissance„ im Sommer 2009 in der neuen Residenz angefangen. Da wusste ich, ich will eine Geschichte schreiben, die sich hier abspielt. Danach bin ich im Lauf der Recherchen immer wieder für einen Tag nach Landshut gefahren, um mir bestimmte Orte und Dinge anzusehen, um mit heutigen Plänen die Altstadt von damals wieder entstehen zu lassen. Insbesondere auf Burg Trausnitz habe ich viel Zeit verbracht, um alles zu rekonstruieren, wie es in “meiner Zeit„ war. Landshut ist ja nicht weit weg von meinem Wohnort München. Als ich schon mit dem Schreiben der Geschichte angefangen hatte, habe ich häufige Kurzbesuche gemacht, um u.a. bestimmte Orte zu fotografieren. So hatte ich sie unter den Augen, als ich die entsprechenden Szenen niedergeschrieben habe. Wie oft ich das gemacht habe, kann ich nicht genau sagen, aber jeden einzelnen Besuch habe ich genossen. Ich kann allen, die die Lektüre meines Romans gut unterhalten hat, nur dazu auffordern, einmal einen Kurzurlaub in Landshut und Umgebung zu verbringen. Diese kleine Region zwischen Isar und Donau birgt viele Schätze.
Histo-Couch: Haben Sie schon Kritiken über Ihren Roman gelesen?
Eve Rudschies: Inzwischen habe ich von Lesern einiges gehört über “Süßes Gift und bittere Orangen„. Die meisten von ihnen haben das Buch offensichtlich wirklich gemocht, manchmal auf einer Art und Weise, die mich ein bisschen überrascht. Neulich war ich in einer Runde von Freundinnen und Freunden, die über das Buch lebhaft ihre Meinungen austauschten. Für die eine war es eine tolle Liebesgeschichte, nein, nein, sagte die andere, es ist vor allem eine Kochgeschichte, du bist mittendrin die ganze Zeit und hast ständig Hunger, was sie wohl positiv meinte. Von einer anderen Ecke kam gleich der Widerspruch, das Buch sei ein Krimi und ein Guter, weil die Spannung wirklich bis zum Ende hält. Aus der anderen Seite kam zeitgleich die Bemerkung, das alles wäre gut und schön, aber das Beste wären doch das Geschichtliche und das Authentische gewesen. Eine aus der Runde, die lang geschwiegen hatte, nahm mich diskret in eine Ecke und fragte etwas unsicher, ob ich mir nicht irgendwann vornehmen könnte, erotische Geschichten zu schreiben, die Liebesszenen wären ihr so unter die Haut gegangen. Da habe ich nicht wenig gestaunt. Wer hat recht? Das weiß ich nicht. Aber diese Geschichte scheint so vielfältig zu sein, dass sehr unterschiedliche Menschen auf ihre Kosten kommen.
Histo-Couch: Auf was dürfen sich Ihre Leser als nächstes freuen?
Eve Rudschies: Mein nächstes Projekt spielt in Bayreuth, hat auch die Küche im Zentrum, sehr interessante, historisch echte Figuren und eine wilde Intrige. Es ist eine Geschichte, die ich seit Jahren schreiben will, weil ich mich noch vor Landshut in Bayreuth verliebt habe. Ich verrate allerdings nicht in welchem Jahr und mit welcher Hauptfigur. Es ist fertig recherchiert, aber die Niederschrift ist noch nicht beendet. Also gibt es auch noch keinen Verlagsvertrag und keinen Erscheinungstermin. Leider. Aber je mehr Leserinnen und Leser an “Süßes Gift und bittere Orangen" Gefallen finden wird, umso näher rückt der Termin.
Das Interview führte Carsten Jaehner.
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