Cay Rademacher

„Ich schreibe am liebsten früh morgens“

09.2012 Die Histo-Couch im Interview mit Cay Rademacher über seine Romane, seine Recherchen und Internetportale wie die Histo-Couch.

Histo-Couch: Herr Rademacher, bevor wir über Ihren aktuellen Roman „Der Schieber“ sprechen, stellen Sie sich doch bitte unseren Usern vor.

Cay Rademacher: Ich bin 1965 geboren und habe in Köln und Washington Anglo-Amerikanische Geschichte, Alte Geschichte und Philosophie studiert. Einige Jahre lang war ich freier Journalist, seit 1999 bin ich bei GEO.

Histo-Couch: Sie sind geschäftsführender Redakteur von „GEO Epoche“ und schreiben dort regelmäßig umfangreiche Beiträge. Letztes Jahr erschien „Der Trümmermörder“ (der erste Teil mit Oberinspektor Stave), dann im Mai 2012 „Blutige Pilgerfahrt: Der Erste Kreuzzug ins Heilige Land“ und jetzt im August 2012 „Der Schieber“. Sie müssen demnach mehrere Themen gleichzeitig recherchieren und verarbeiten. Wie muss man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen? Wie ist das zeitlich machbar?

Cay Rademacher: Drei Bücher in so kurzer Zeit ist eigentlich nicht meine normale Schlagzahl. „Blutige Pilgerfahrt“ hatte ich etwas früher geschrieben, Piper hat das Buch dann aus verlagsinternen Gründen im Frühjahr 2012 herausgebracht – so erschien es zwischen dem „Trümmermörder“ und dem „Schieber“. Aber, klar, das Schreiben bleibt zeitaufwändig. An den Büchern sitze ich am liebsten früh morgens, dann ist es ruhig, man kann wunderbar ein, zwei Stunden konzentriert arbeiten. So schaffe ich eigentlich ein Buch pro Jahr.

Histo-Couch: Kommen wir auf „Der Schieber“ zu sprechen; eine grandiose Fortsetzung des „Trümmermörders“. Wie kamen Sie auf diese Fälle?

Cay Rademacher: Ohne zu viel zu verraten: Bei Recherchen über das Alltagsleben in Hamburg unmittelbar nach dem Krieg stolpert man fast zwangsläufig über die Kinder, die eltern-, oft familienlos in den Ruinen leben. Waisen, Flüchtlinge, Herumstreuner. Besonders ergreifend sind die Schicksale der „Wolfskinder“, die in den Wirren im Osten Deutschlands ihre Familien verloren, oft lange durch die Wälder irrten und irgendwann in den verwüsteten Städten in einer der Besatzungszonen strandeten. Ein weiterer Kriminalfall, den ich hier hineingewoben habe, betrifft eine bestimmte Art von Tonbändern. Dies ist ein authentischer Fall, der sich allerdings etwas später in Hamburg zutrug, als in meinem Roman geschildert.

Histo-Couch: Gibt es für Oberinspektor Stave oder andere Figuren der „Reihe“ echte Vorbilder?

Cay Rademacher: Jein. In Hamburg arbeitete tatsächlich ein Oberinspektor Frank Stave, doch außer Namen und Dienstrang ist meine Romanfigur mit der echten nicht identisch. Sein Charakter, sein Leben ist erfunden. Das gilt für viele weitere Figuren auch: Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind da, aber zu ähnlich soll es nicht sein. Ausnahme: Historisch bezeugte Figuren wie Hamburgs Polizeichef „Cuddel“ Breuer tauchen in Nebenrollen auf.

Histo-Couch: Wie wurden Sie auf das tragische Schicksal der sogenannten „Wolfskinder“ aufmerksam?

Cay Rademacher: Es lebten, wie gesagt, deutlich mehr als 1000 elternlose Kinder in Hamburgs Trümmern – wohlgemerkt sind damit jene Kinder gemeint, die nicht in Heimen oder Pflegefamilien untergekommen waren. In alten Polizeiakten und Presseberichten stieß ich erstmals auf den Begriff „Wolfskinder“. Ich habe dann weiter recherchiert und die (wenigen) Memoiren und Studien dazu gelesen.

Histo-Couch: Das „Privatleben“ von Stave (Rückkehr des Sohnes aus Sibirien; ungeklärtes Verhältnis zu Freundin Anna) lässt einen dritten Teil der Serie als zwingend erscheinen. Haben Sie schon eine Vorstellung, wie viele Fälle Stave noch lösen darf und wann wird der nächste Fall erscheinen?

Cay Rademacher: Wie heißt es so schön? „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann mach einen Plan.“ Also unter diesem Vorbehalt: Es wird noch einen dritten Band geben, in dem auch Staves Privatleben entwirrt wird.

Histo-Couch: Eine Frage an den geschäftsführenden Redakteur von GEO Epoche: Wie bewerten Sie Internetportale wie histo-couch.de?

Cay Rademacher: Sehr interessant. Sie sind nämlich ein Echo, das man in Vor-Internet-Zeiten nicht oder doch nur sehr schwer vernehmen konnte. Welche (historischen) Themen werden wirklich diskutiert? Was kommt an? Was bewegt die Menschen? Da ist das Meinungsbild viel breiter, viel demokratischer geworden. Das muss nicht heißen, dass man sich als Journalist oder Autor danach richtet – man kann ja auch exakt das tun, was gerade NICHT dort abgehandelt wird. Aber andererseits: Gerade für einen Schreiberling, der traditionell und notwendigerweise bei seiner Arbeit ein Einzelkämpfer ist, sind Feedback, Meinungsaustausch, Leserreaktionen herausfordernd, neu und allemal anregend.

Histo-Couch: Zum Schluss: Auf welche Romane oder Sachbücher dürfen wir uns in Zukunft freuen?

Cay Rademacher: Hoffentlich auf weitere Krimis, die in der Zeitgeschichte angesiedelt sind, ähnlich wie bei „Trümmermörder“ und den Folgebänden. Und bei den Sachbüchern – mal sehen.

Histo-Couch: Herr Rademacher, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jörg Kijanski.

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