Sarah Quigley
„Dieser Roman hat mich zur Musik zurück gebracht“
11.2012 Carsten Jaehner traf die neuseeländische Autorin Sarah Quigley zum Interview über ihren Roman „Der Dirigent“ auf der Buchmesse in Frankfurt. Sie wohnt seit 2000 in Berlin und interessiert sich sehr für Musik und stellte sich gut gelaunt den Fragen der Histo-Couch.
Histo-Couch: Wie sieht es mit ihrem Deutsch aus?
Sarah Quigley: (auf deutsch, lacht) Peinlich! Es ist sehr schlecht! Ich wohne seit zwölf Jahren in Berlin. Ich arbeite jeden Tag auf Englisch, also ist mein Deutsch sehr schlecht.
Histo-Couch: Sie kommen aus Neuseeland und leben seit 2000 in Berlin. Mit „Der Dirigent“ schreiben Sie über einen russischen Komponisten. Wie kommt diese Mischung zustande?
Sarah Quigley: (weiter auf englisch) Ich glaube, der Umzug nach Berlin war für mich sehr wichtig, um mich auf den Stoff zu bringen. Bevor ich nach Berlin kam, hatte ich überhaupt nicht darüber nachgedacht, so eine Geschichte zu schreiben. Die meisten meiner Romane spielen im zeitgenössischen Rahmen. Aber als ich nach Berlin kam, lebt ich in Mitte und verbrachte den ersten Winter damit, herumzuspazieren, Museen um die Friedrichstrasse zu besuchen und ich sah diese alten Gebäude mit den Schusslöchern, die noch in den Wänden waren. Und natürlich hatte ich viel über den Krieg gelesen, aber irgendwie war er mir nie so unmittelbar und nah wie in diesem ersten Winter in Berlin. Ich schrieb weiter an einem anderen Roman, aber ich denke es war wahrscheinlich in diesem Winter in Berlin, wo ich dachte: Ich will mehr über diese Periode der Geschichte wissen und vielleicht etwas darüber schreiben. Ich habe mich immer für Schostakowitsch interessiert. Ich liebe seine Musik seit ich jung war. Ich spielte Cello und Klavier, als ich aufwuchs. Vielleicht war das auch ein langsam wachsenden Interesse in mir. Ich begann zu denken: Wie muss es gewesen sein, ein Künstler oder Schriftsteller in Berlin zur Zeit des kommunistischen Regimes gewesen zu sein. So fügten sich langsam alle Fäden zusammen. Nach ein paar Jahren begann ich, um das Thema Schostakowitsch und die Geschichte von Leningrad herum zu lesen und begann ganz allmählich mit dem Schreiben. Ich denke es ist schwer zu sagen, wie lange ich an dem Buch geschrieben habe, aber ich würde sagen, wahrscheinlich …zehn Jahre von dem Moment an, wo ich angefangen habe, zu lesen und zu überlegen, wie ich das Thema angehen wollte.
Histo-Couch: Gibt es so etwas wie neuseeländische Klassische Musik?
Sarah Quigley: Oh. Ich denke, die neuseeländische Kultur, wie sie heute ist, ist noch sehr jung. Die Maori-Tradition hingegen ist eine sehr alte Tradition, daher waren das Geschichtenerzählen und das Singen immer sehr wichtig in Neuseeland. Aber bei klassischer Musik ist es bei den Menschen in Neuseeland genauso wie bei den meisten Menschen, die mit klassischer Musik aufwachsen. Ich meine, ich wuchs auf mit Beethoven, Schumann, Schubert, Mozart …Ich denke, das ist genauso mit neuseeländischer Literatur oder Malerei. In den letzten vierzig oder fünfzig Jahren gab es eine neue Art von Vertrauen in die neuere neuseeländische Kultur. Also, soweit ich weiß – und ich habe lange Zeit in Neuseeland gelebt – scheint es eine neue Generation von jungen Komponisten zu geben, die außerhalb von Neuseeland arbeiten. Und ich denke, es ist wahrscheinlich eine aufregende Zeit für diese Leute.
Histo-Couch: In Ihrem Roman geht es um die Zeit, als Schostakowitsch seine Siebte Sinfonie geschrieben hat. Warum haben Sie diese Sinfonie ausgewählt?
Sarah Quigley: Das ist eine gute Frage.
Histo-Couch: Wie haben Sie die Siebte Sinfonie kennen gelernt?
Sarah Quigley: Eigentlich stieß ich auf diese Sinfonie speziell über die Figur des Karl Eliasberg, den Dirigenten. Ich las einen Artikel über Eliasberg und die Premiere der Sinfonie in Leningrad und war von dieser Geschichte total fasziniert. Und so sah ich einen Weg, all die Dinge, von denen ich denke, dass man sie für eine gute Geschichte braucht, miteinander zu kombinieren. Und es war interessant einen Roman, darüber zu schreiben, denn Eliasberg ist so eine verschwommene Figur. Ich meine, in der russischen Geschichte weiß man nicht viel über ihn, es ist nicht viel dokumentiert. Und ich wollte ihn als Romanfigur wieder aus diesem Schattendasein herausholen. Aber zur selben Zeit hielt mich Schostakowitsch in dieser Geschichte, so dass er ein stärkerer Charakter wurde, als ich ihn eigentlich zu Beginn im Sinn hatte. Für mich war es also sehr interessant, diese beiden Männer zu sehen, diese beiden fiktionalen Charaktere, die um ihren Platz im Roman kämpfen. Es ist immer schwierig zu sehen, wer passt wann wohin und wann der andere. Es war ein interessanter Prozess für einen Autoren, zwei reale Personen in einen Roman zu stecken und zu sehen, was mit ihnen passiert.
Histo-Couch: Was fasziniert sie so sehr an Schostakowitschs Musik?
Sarah Quigley: Oh. Eine grosse Frage. Ich glaube, was ich daran liebe ist, dass es keine sehr leichte Musik ist. Manchmal ist sie wirklich sehr unnahbar und man muss mit ihr aufwachsen, um sie zu lieben. Und dann denke ich manchmal, es gibt auch Momente von wahrer Schönheit und man kann dabei entspannen. Sie ist auch sehr privat. Und ich sehe diese Momente von wahrer Schönheit fast wie Sonnenlicht, das durch die Wolken kommt, und dann geht es wieder zurück in den Sturm und seine Schwierigkeiten. Dies ist für mich ein Teil der Anziehungskraft von Musik als solche. Als jemand, der Schostakowitsch nun so nahe gekommen ist, habe ich festgestellt, dass er ein Mensch ist, der von Beginn an bis zum Ende ein extrem schwieriges Leben hattte. Ich fand das genauso interessant wie den Konflikt zwischen der öffentlichen Meinung über Musik und den künstlerischen Herausforderungen, die von den Kompostitionen selbst ausgehen.
Histo-Couch: Wie schwierig ist es, das akustische Phänomen Musik in Worte zu fassen?
Sarah Quigley: Ich denke, dass es extrem schwer ist und ich habe diese Sinfonie sehr viel gehört während ich geschrieben habe, denn ich musste mir vorstellen, wie es ist, ein Komponist zu sein, denn ich bin nur ein Schriftsteller. Also lief es darauf hinaus, viele Metaphern zu benutzen um zu versuchen, ein visuelles Bild der Musik darzustellen, und ich weiß nicht, ob es funktioniert. Ich hoffe es. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum ich nicht über die tatsächliche Aufführung geschrieben habe, denn ich denke, ich könnte ihr nicht gerecht werden.
Histo-Couch: Eliasberg ist der Dirigent eines zweitklassigen Rundfunkorchesters, aber er bleibt in Leningrad. Wie würden Sie seinen Charakter beschreiben?
Sarah Quigley: Ich denke, es ist sehr schwer ihn zu mögen. Er hat diese gewisse Reserviertheit, aber er ist auch eine Person, die schnell defensiv wird, wie es bei vielen schüchternen Leuten der Fall ist. Was ich mochte, während ich den Roman schrieb, war, dass er der Charakter ist, der tatsächlich eine erzählerische Entwicklung oder einen dramatischen Bogen durchmacht. Und ich hoffe, er wird letztlich verständlich und dass er lernt, Menschen zu vertrauen und sich selbst zu vertrauen.
Histo-Couch: Haben Sie jemals selbst ein Orchester dirigiert?
Sarah Quigley: (lacht) Als ich noch in der Schule war und Musik lernte, musste ich tatsächlich lernen, wie man dirigiert. Ich habe einen guten Freund, der Dirigent ist, ein Amerikaner, der in Neuseeland lebt. Ich habe ihn so oft bei Proben beobachtet und ich war immer fasziniert von dem Beruf, denn es ist so ein merkwürdiger Beruf. Und ein einsamer Beruf, sehr hart. Ich habe auch sehr viel über das Dirigieren gelesen, als ich für den Roman recherchiert habe. Über die verschiedenen Dirigierstäbe, die verschiedene Dirigenten benutzen und so weiter.
Histo-Couch: Jemand sagte einmal, Dirigenten seinen die letzten legalen Diktatoren. Ist Eliasberg einer?
Sarah Quigley: (lacht) Ich denke, das ist er, und das musste er wohl auch sein, gerade in diesem Winter, in dem sie geprobt haben. Wer hat das gesagt? Ich mag diesen Satz! Wissen Sie es noch?
Histo-Couch: (lacht) Ich weiß es leider nicht mehr genau. Ich habe es irgendwo gelesen. Aber es ist wahr! (lacht)
Sarah Quigley: (lacht) Es ist wirklich herrlich, ich mag es!
Histo-Couch: Und man muss es sein!
Sarah Quigley: Ja, ich bin sicher, dass man es sein muss. Und wenn es nicht selbst in der Natur der Persönlichkeit liegt, dann braucht man die Professionalität, um sehr hart und sehr unerbittlich zu sein. Und für mich ist dies der Punkt, an dem sich Schostakowitsch und Eliasberg überschneiden, denn beide hatten eine extreme Hartnäckigkeit und eine Härte in ihrem Charakter, wovon ich denke, das dies für jeden Künstler sehr wichtig ist.
Histo-Couch: Sie sagten, Sie spielen Cello und Klavier. Haben Sie noch mehr musikalische Fähigkeiten?
Sarah Quigley: Nein. Interessanterweise habe ich mit der Musik aufgehört, als ich mit dem Schreiben begann. Ich studierte in Oxford und machte meinen Abschluß, und zu diesem Zeitpunkt begann ich zu schreiben. Und ich hatte leider keine Zeit mehr für Musik. Aber dieses Buch hat mich irgendwie zurück zur Musik gebracht, und ich habe mir ein Klavier gekauft und versuche, jeden Tag zu spielen und liebe es so sehr und merke jetzt, wie sehr ich es vermisst habe. Daher bin ich wirklich dankbar, dass dieses Buch mich zurück zur Musik gebracht hat, auch in einem „praktischen“ Sinn.
Histo-Couch: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Schostakowitsch und Eliasberg zu treffen, was würden Sie sie fragen?
Sarah Quigley: (lacht) Ich denke, ich wäre von beiden so eingeschüchtert, dass ich sprachlos wäre! (lacht) Ich würde sie vielleicht fragen, ob sie sich jemals getroffen haben. Es gibt keine Zeugnisse darüber, wie gut sie sich kannten oder ob sie sich jemals überhaupt begegnet sind. Es sieht so aus, als wären die Künstlerzirkel in Leningrad sehr klein gewesen und sie könnten einander vorgestellt worden sein. Aber ich glaube, ich würde ihnen Fragen stellen um herauszufinden, welche Art von Beziehung sie zueinander hatten. Und auch über die Musiker der Leningrad-Sinfonie mit ihrem kleinen unsinnigen Orchester.
Histo-Couch: Sie schreiben über die Ängste der Menschen während des Krieges. Woher nehmen Sie diese kleinen Geschichten?
Sarah Quigley: Einige von ihnen habe ich aus den vielen Kriegsgeschichten herausgenommen, die ich gelesen habe. Nicht unbedingt aus Leningrad, sondern auch aus anderen Städten während des Krieges. Einige von ihnen entstammen meiner Fantasie. Berlin hat viel damit zu tun, ich finde es so kalt hier, die Winter sind kälter als überall sonst, wo ich gelebt habe. Ich ging jeden Winter viel im Schnee spazieren, hörte dabei die Sinfonie und versuchte mir vorzustellen, wie es gewesen sein mag, einen Anorak zu tragen, war dabei, mit den Gedanken in der Zeit zurückzugehen, mit Dankbarkeit für die Errettung am Ende.
Histo-Couch: Können Sie uns etwas über Ihre nächsten Projekte verraten?
Sarah Quigley: Ich bin in den frühen Anfängen für einen neuen Roman. Es ist kein historischer Roman. Es ist nicht über den Krieg. Nicht über Musik. Aber es ist über Aussenseiter, Leute, die von der normalen Gesellschaft als sehr seltsam betrachtet werden. Das ist es glaube ich, was meine Charaktere beschreibt. Es entwickelt sich so, dass ich mich dafür interessiere, wie die Leute auf der einen Seite die auf der anderen Seite sehen und ich glaube, das es am Ende ein interessantes Gefüge ist.
Das Interview führte Carsten Jaehner
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