Udo Weinbörner
„Es macht keinen Sinn, jedem Trend hinterherzulaufen und beliebig zu werden“
02.2014 Die Histo-Couch im Interview mit Udo Weinbörner über Georg Büchner, das Verlagswesen und Rituale beim Schreiben.
Histo-Couch: Neben Ihrem aktuellen Roman über Georg Büchner haben Sie bereits ein Buch über Friedrich Schiller geschrieben. Was reizt Sie daran, sich den bekannten deutschen Literaten zu widmen?
Udo Weinbörner: Es gibt 1001 Gründe und einige Geschichten dazu. Stichpunktartig möchte ich hier drei erwähnen.
Einen persönlichen… Mein Vater, ein nicht sehr belesener Arbeiter, schickte mir zu meinem 20. Geburtstag als Paket Schillers gesammelte Werke. Nicht, dass ich mir damals eine solche Lektüre gewünscht hätte. Ich habe mich artig bedankt… Über 20 Jahre später kam ich von meinem ersten Besuch in Weimar zurück und nahm verstimmt über die stiefmütterliche Behandlung Schillers dort den ersten Band der Werksausgabe zur Hand. Dabei fiel mir die Geburtstagskarte von damals mit der schweren, ungelenken Handschrift meines Vaters in die Hände. Das berührte mich sehr, denn mein Vater war mit 51 Jahren gestorben und damals schon über 15 Jahre tot. Dieser sehr persönliche Initialfunken führte zu einem nicht geplanten Einzug Schillers in mein Arbeitszimmer, der dort 5 Jahre mit mir lebte. Aus dem Funken wurde ein loderndes Feuer. Mein Gott, was habe ich gelitten mit ihm unter der Knute des Württembergischen Herzogs! Wie habe ich mich krank gefühlt, wenn ich ihm bei der Arbeit über die Schulter schaute! Ich konnte nicht anders, als über diesen feurigen Freiheitskopf zu schreiben!
Einen sachlichen… Ich habe nie der schnöden Unterhaltung wegen geschrieben; unterhaltend, spannend – das ja -, aber nie auf billigen Erfolg schielend. Schreiben will ich nur dann, wenn ich etwas zu sagen habe, wenn sich die Mühe für ein aufrechtes Engagement lohnt. Das klingt vielleicht etwas pathetisch, aber ich will tatsächlich auch mit meiner Literatur etwas zum Guten bewegen. Schiller und Büchner sind – jeder auf seine Art – ganz große Freiheitsdenker, denen Menschenrechte, Rechtsstaat, soziale Verantwortung und Liberalität alles bedeutete. Sie sind mit ihrer Person, ihrer gesamten Existenz, letztlich sogar mit ihrem Leben dafür eingestanden. Wir alle haben ihnen selbst heute noch unendlich viel zu verdanken.
… weil ich häufig meine Grenzen als Herausforderung suche. Natürlich habe ich auch in anderen Romanen wie “Der General des Bey„, über das Leben des Amrumer Schiffsjungen Hark Olufs aus dem 18. Jahrhundert und in dem Gegenwartsroman “In Sachen Eva D.„, über das Leben einer durch die NS-Justiz Zwangssterilisierten im Nachkriegsdeutschland der 50ger Jahre, religiöse, politische Freiheit, Humanismus und Gerechtigkeit thematisiert. Aber Schiller und Büchner sind die ganz, ganz Großen unserer Literaturgeschichte. Glauben Sie mir, da kann man beim Schreiben schon mal zu zweifeln beginnen, ob man ein solches Projekt überhaupt stemmen kann. Da gilt es zu wachsen mit der Herausforderung. Die weiteren Geschichten und Gründe verrate ich gerne das nächste Mal bei einem abendfüllenden Gespräch.
Histo-Couch: In „Georg Büchner – Das Herz so rot“ spielt das literarische Wirken Büchners gar keine so große Rolle, es ist quasi ein Nebenprodukt. Vielmehr geht es um Büchners Liebe zu seiner Verlobten Minna und seine revolutionären Umtriebe. Wieso haben Sie diesen Ansatzpunkt gewählt?
Udo Weinbörner: Ihre Frage freut mich. Denn was könnte für einen Roman schlimmer sein, als ein Autor, der dozierend die Werke erklärt? Und dennoch: gut 20 % des Romans beschreiben Entstehungsgeschichte, Hintergründe und Arbeit an den von Büchner hinterlassenen Schriften, zitieren diese kursiv gesetzt. Sogar das Bewerbungsschreiben Büchners an seinen Verlag findet sich im Original im Text. Doch folgen Sie mir einmal auf dem Schlossplatz zu Darmstadt in die Nacht des 1. November 1831. Wem begegnen Sie dort vor der Kutsche? Einem der größten Literaten deutscher Geschichte? Nein! Dort stehen Sie einem aufgeregten 18jährigen gegenüber, der sich auf dem Weg zu seinem Studienort befindet und dem noch genau fünf Jahre an Lebenszeit verbleiben, sich zu verlieben, fünf Jahre, um für seine Überzeugungen einzustehen und zu reifen, fünf Jahre, um sein Studium abzuschließen und sich wissenschaftlich zu qualifizieren, fünf Jahre, um mit seiner Sprache, seinen Ideen und seinem Talent uns so etwas wie ein Werk zu hinterlassen.
Folgen Sie mir knapp fünf Jahre später an sein Sterbebett nach Zürich, wo er steckbrieflich gesucht, als Emigrant in Zürich untergekommen ist. Dort sehen Sie eine junge Frau verzweifelt an seiner Seite sitzen, die sich von diesem Schlag nie wieder erholen und ihr ganzes Leben lang unverheiratet bleiben wird. Sie sehen einen immer noch jungen Mann, den große Schuldgefühle quälen, weil er viele seiner Freunde tot und verloren im hessischen Kerkern glaubt. Sie sehen einen unvollendeten Wissenschaftler, der auf wichtige Fragen keine Antworten mehr finden wird. Und sie treffen auf einen gescheiterten Schriftsteller, der kein einziges seiner Werke originalgetreu gedruckt sah und von dem das meiste noch nicht einmal fertig geschrieben wurde und nur in wenigen hundert Exemplaren in Umlauf ist. Wenn Sie ihn dort nach seinem Beruf gefragt hätten, die Bezeichnung ´Schriftsteller´ wäre nicht über seine Lippen gekommen.
Ich erzähle von einem Wunder, einem wirklich großen Wunder, dass wir diesen Georg Büchner heute überhaupt noch kennen! Was ihn geprägt hat, war seine Zerrissenheit zwischen seiner großen Liebe zu der Pfarrerstochter Minna Jaeglé, seinem Traum von einer bürgerlichen Existenz mit Heirat und Wohnung auf der einen Seite und sein soziales Gewissen, seine politischen Ideale auf der anderen Seite. Ein junger, temperamentvoller Mann mit einer ganz modernen Identitätskrise, der gerade deshalb seiner Zeit voraus war: das ist Georg Büchner.
Histo-Couch: Wie viel ist von Büchners Leben wirklich noch bekannt und was ist Ihrer Fantasie entsprungen, um die Lücken zu füllen?
Udo Weinbörner: Lücken? Völlig ausgeschlossen! Vergessen Sie nicht, dass auch Büchner zwei Jahre lang in meinem Arbeitszimmer gewohnt hat, ich also aus erster Hand berichten kann. Nein, Scherz beiseite: Wichtig ist in jedem Fall, dass man vorhandene Quellen gut ausschöpft und als Autor aufrichtig bleibt. Das heisst, nicht um eines billigen Effektes wegen völlig abwegige Dinge erfindet. Deshalb bin ich mit vielen Passagen ganz nah, geradezu wörtlich bei Büchner. Ein historischer Roman, der zitiert, Zitate kenntlich macht und mit zeitgenössischen Dokumenten spielt, ist schon ungewöhnlich.
Aber nehmen Sie beispielsweise die Szene mit dem gescheiterten Befreiungsversuch von Minnigerode. Ein solcher Befreiungsversuch oder gar die Teilnahme Büchners daran ist nirgends dokumentiert. Wohl ist bekannt, dass Büchner unbedingt einen solchen Befreiungsversuch wollte und auf Widerstand bei Weidig stieß. Bekannt ist auch der furchtbare Zustand des gefolterten Häftlings. Bis zu seinem Tod hat Büchner der Gedanke an den inhaftierten Schulfreund und an dessen notwendige Befreiung gequält. In seinen Todesfantasien war er bei Weidig und Minnigerode in der Zelle. Was tatsächlich damals in Friedberg passiert oder nicht passiert ist, lässt sich nur schwer dingfest machen. Psychologisch hat Büchner seinen Freund ein gutes Dutzend Mal zu befreien versucht. Diese Szene hat er belegbar immer wieder durchlitten, so als wäre sie tatsächlich passiert. Die Schilderung dieser Szene kommt daher der Person Büchners sehr nahe, unabhängig davon, ob er tatsächlich in Friedberg eine Befreiung organisiert und daran teilgenommen hat.
Histo-Couch: Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?
Udo Weinbörner: Nichts ist spannender und schöner als die Recherchearbeit. Einzutauchen in eine fremde Zeit, auf Spurensuche zu gehen, Orte aufzusuchen, Gespräche zu führen und viele neue Literaturquellen zu entdecken, begeistert nicht nur mich, sondern auch meine Frau und Freunde. Dieser Teil der Arbeit ist so spannend, dass man als Autor aufpassen muss, nicht den Absprung zum Schreiben zu verpassen. Ich liebe diesen Teil der Arbeit! Dazu gehörten bei Büchner natürlich auch Reisen an die Orte seines Lebens: Büchnerhaus in Goddelau, Friedberg, Butzbach, Straßburg, Wanderung in den Vogesen. Darmstadt hat leider durch die Kriegsschäden des Zweiten Weltkrieges vieles an Spuren eingebüßt. Dann viele Gespräche mit Büchner-Experten und -Enthusiasten. Und im Falle Büchners vor allem Literaturrecherche. Neben großartigen Biografien und Arbeiten, vor allem denen von Jan–Christoph Hauschild, möchte ich den interessierten Lesern insbesondere den Katalog zur Ausstellung über Georg Büchner aus dem Jahr 1987, erschienen im Verlag Stroemfeld/Roter Stern, Frankfurt, ans Herz legen. Eine reich bebilderte unerschöpfliche Quelle zu Büchner dessen Zeit. Ein Lesebuch gerade auch für Nichtliteraturwissenschaftler, in dem man immer wieder Neues, Interessantes entdeckt.
Histo-Couch: Die Romane, die Sie schreiben, entsprechen ja nicht dem “Mainstream„. War es schwierig, z.B. für den Büchner einen Verlag zu finden, der ihn veröffentlich hat?
Udo Weinbörner: Schwierig würde ich nicht sagen, eher spannend. Sie haben völlig recht, ein solcher Roman passt nicht unbedingt in jede Schublade eines Verlages mit einem Programm für historische Romane. Dennoch gab es einige interessierte Verleger, und ich habe den Roman tatsächlich drei Mal den Verlagsvorgaben entsprechend umgeschrieben und bearbeitet. Beispielsweise interessierte sich auch der Jugendbuch Verlag Beltz & Gelberg für mein Projekt. Da liegt es auf der Hand, dass eine altersgerechte Erzählhaltung und Darstellung anders aussehen muss, als der vorliegende Roman. Entscheidend ist dann letztendlich für Verlag und Autor, dass Vertrieb und Marketing eine Chance sehen, das Buch am Markt zu platzieren. Ich lass mich da nicht verbiegen, respektiere jedoch andererseits auch, dass diejenigen, die mit Kapital und Risiko ein Projekt verwirklichen, angesichts des, wie Sie zurecht schreiben, mangelnden Mainstreams, mal Bedenken bekommen.
Histo-Couch: Haben Sie sich selbst an die Verlage gewandt oder den Weg über einen Agenten gewählt?
Udo Weinbörner: Kurze Antwort: Ich arbeite mit keiner Agentur zusammen.
Histo-Couch: Ihre ersten Romane sind bereits Ende der Achtziger Jahre des vorherigen Jahrhunderts erschienen. Was hat sich seitdem im Verlagswesen geändert? Ist es heutzutage schwieriger oder leichter zu veröffentlichen?
Udo Weinbörner: Es war nie einfach zu veröffentlichen, nie einfach seine Leser zu finden und nie einfach, am Markt zu bestehen. Da hat sich, wenn man einen Anspruch hat und eigene Wege gehen möchte, in den letzten Jahrzehnten nichts wirklich verändert. Vielleicht ist auf der Seite der Verlage der Wettbewerb noch härter geworden und verbunden damit vielleicht auch der Respekt gegenüber den Autoren jenseits der Bestsellerlisten weiter gesunken. Vielleicht ist man kurzsichtig heute noch mehr geneigt, Erfolg durch Kopien von gut verkaufen Romanthemen zu suchen. Doch als Autor sollte man sich mehr damit beschäftigen, was tatsächlich über die Jahre insgesamt und von einem selbst Bestand haben kann. Es macht keinen Sinn, jedem Trend hinterherzulaufen und beliebig zu werden. Nur so kann man auch Respekt einfordern. Dass dies dann manchmal auch dazu führt, dass ein attraktives Verlagsangebot dann nicht verwirklicht werden kann, ist hinzunehmen. Wir Autoren haben es heute jedoch sicherlich noch schwerer, wirtschaftlich vom Schreiben zu leben und den Lesern das zu geben, was sie verdienen: neue Ideen, Originale und keine Kopien.
Histo-Couch: Sie haben im Bundesministerium der Justiz und im Bundesamt für Justiz gearbeitet. Diesen Bereich verbindet man ja nicht gerade – um mal ein Vorurteil zu bemühen – mit Kreativität. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen? Als Ausgleich zu Ihrer Arbeit? Als Ergänzung?
Udo Weinbörner: Diesem Vorurteil einer nicht kreativen Schreibtischarbeit eines ´Verwaltungshengstes´ begegne ich leider immer wieder. Ich darf Ihnen versichern, meine Arbeit war im höchsten Grade spannend, persönlich fordernd und geradezu befruchtend für meine schriftstellerische Tätigkeit. Ich habe in dieser Zeit unter anderem Reden für drei Minister geschrieben, in der Zeit der Deutschen Einheit hautnah an den politischen Umwälzungen teilhaben können, wichtige Personen mit meiner Arbeit begleiten und Zeitzeugen kennenlernen dürfen. Ich habe Forschungsvorhaben zu ganz großen Themen auf vielen gesellschaftlichen Feldern vergeben und betreut (beispielsweise zum Thema Datenschutz, nichteheliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, Betreuung und Umgang mit kranken und alten Menschen usw.), war verantwortlich für eine Ausstellung über die Justiz unter dem SED-Regime und damit verbunden für die Zusammenarbeit mit Schriftstellern und Künstlern wie Erich Loest, Bettina Wegner oder Stefan Krawczyk. Ich habe auf europäischer Ebene für die Verbesserung der zivilrechtlichen Zusammenarbeit gearbeitet und dabei viele durch unterschiedliche Kulturen geprägte Denk- und Handlungsweisen besser verstehen lernen dürfen und zuletzt war ich auch für die Unterstützung und Entschädigung von Opfern terroristischer und extremistischer Gewalt in Deutschland zuständig. Eine besonders belastende Tätigkeit, denken Sie allein an die NSU-Terroropfer oder an die Opfer und deren Angehörige von Anschlägen wie zum Beispiel in Mumbai. Meine schriftstellerische Tätigkeit mit einem vollkommen anderen Umfeld hat mir sehr geholfen, mich auf die jeweiligen Anforderungen in meinem beruflichen Umfeld optimal einzustellen und umgekehrt hat mich mein Beruf immer wieder vor einem Elfenbeinturm bewahrt und geerdet. Einen Preis musste ich jedoch tatsächlich zahlen: Durch die besonderen Anforderungen meines Berufes ist manches Buch nicht geschrieben und nicht jede Idee mit der ihr gebührenden Zeit verwirklicht worden. Das wird sich jetzt, da ich nur noch als Schriftsteller arbeite, hoffentlich verbessern.
Histo-Couch: Sie haben neben Ihren Romanen bereits mehrere Sachbücher veröffentlicht. Fallen Ihnen diese leichter, da Sie sich rein an Fakten halten können/müssen oder fehlt Ihnen da die künstlerische Freiheit, die man als Autor von Romanen genießt?
Udo Weinbörner: Sie haben in fast allen Punkten recht mit Ihrer Frage. Tatsächlich fallen mir Sachbücher schon von Berufs wegen leichter. Tatsächlich fehlt mir bei der Sachbucharbeit häufig die künstlerische Freiheit, wenngleich ich in einigen meiner Projekte beispielsweise im Rechtsratgeberbereich Kurzgeschichten und Anekdoten habe einfließen lassen. Schlimm war es für mich im Sachbuchbereich stets, wenn ein Titel sehr erfolgreich, geradezu “Bestseller verdächtig„ wurde, denn dann musste ich für die zweite, dritte Auflage, anders als bei einem Roman, das gesamte Buch überarbeiten und aktualisieren. Immer wieder die eigenen, längst zu Seite gelegten Texte neu schreiben und unendliche Mengen von Quellen sammeln, entspricht weniger meiner kreativen Ader. Andererseits genießen erfolgreicher Autoren im Sachbuchbereich ein viel größeres Ansehen bei Verlagen als ihre Kollegen im Belletristikbereich. Das kann einen schon mal aufrichten, wenn es gerade nicht so gut läuft und man den Eindruck vermittelt bekommt, dass die Putzkolonne eines Verlagshauses kreativere und wertvollere Arbeit verrichtet als man selbst als Romanautor.
Histo-Couch: Können Sie sich vorstellen, noch ein Sachbuch zu schreiben oder verlegen Sie sich doch ganz auf das Romaneschreiben?
Udo Weinbörner: Vorstellen kann ich mir vieles, jedoch werde ich voraussichtlich schwerpunktmäßig nur noch das machen, was mich begeistert. Wissen Sie, ich bin inzwischen 55 Jahre alt und nicht mehr gesund, da wird einem die Endlichkeit der Veranstaltung, die wir Leben nennen, bewusst. Da erkennt man, dass man voraussichtlich nicht mehr alle Projekte verwirklichen und nicht mehr jeder Abzweigung, die das Leben anbietet, nehmen kann. Das schärft hoffentlich den Blick für den Erzähler Udo Weinbörner. Kurzum: Der Schwerpunkt meiner Arbeit wird sich in der Literatur finden.
Histo-Couch: Bisher waren Ihre Romane alle in sich abgeschlossen. Könnten Sie sich vorstellen, auch einmal eine Serie zu schreiben oder haben Sie immer eine Idee, die mit einem Buch fertig erzählt wird?
Udo Weinbörner: Ich arbeite tatsächlich derzeit an einem Projekt, das Seriencharakter haben könnte. Das ist neu für mich und nicht ganz einfach, da ich jedes Buch mit einem bestimmten Anliegen und Engagement verknüpfe und vor allem schwierig, da ich als Erzähler gerne experimentiere und neue Wege gehen. Es wird sich zeigen, ob mein Protagonist die Serientauglichkeit trägt und inwieweit meine Idee, über eine Serie, eine zeitgeschichtliche Epoche zu durchlaufen, realisierbar und vor allem überzeugend gerät. Im Regelfall bin ich jedoch ein Schriftsteller, der einzelne, in sich abgeschlossene Romanprojekte plant.
Histo-Couch: Wie viele Stunden schreiben Sie durchschnittlich an einem Tag, wenn Sie an einem Roman arbeiten? Haben Sie dabei bestimmte Rituale?
Udo Weinbörner: Ich bin es gewohnt, mir in einem bestimmten festgesetzten Zeitrahmen Ergebnisse abzufordern und warte nie darauf, dass mich die Muse meiner Eingebung küsst. Diese holde Dame taucht bei mir zumeist dann auf, wenn ich mich warm geschrieben habe. Das bedeutet, dass ich an schlechten Tagen erst einmal drauflos schreibe und Seiten produziere. Das Wichtigste kommt danach, wenn von zehn geschriebenen Seiten letztendlich manchmal 2-3 Seiten nach mehreren Überarbeitungen und Kürzungen gewonnen werden und Bestand haben können. Diese korrigierende Arbeit ist für mich die eigentliche schriftstellerische Arbeit. Sie findet regelmäßig in einem größeren zeitlichen und damit persönlichen Abstand zur Erstfassung des Textes statt.
Tatsächlich gibt es Rituale: Belletristische Texte verfasse ich weit überwiegend in der Erstfassung handschriftlich, häufig mit Füller. Erst danach folgt die Arbeit am Computer. Gern dekoriere ich mein Arbeitszimmer zuvor mit Bildern, Stadtplänen, Zeichnungen und Listen und manchmal – je nach Projekt unterschiedlich – begleitet mich bei meiner Arbeit auch eine musikalische Untermalung (oft Bach und Mozart oder Miles Davis oder selbst komponierte und eingespielte Musik). Weite Teile meines Büchner-Romans sind auf der zwanzigminütigen Fahrt zur Arbeit im überfüllten Nahverkehrszug auf meinen Knien schreibend, entstanden. Wenn ich es recht bedenke, schreibe ich irgendwie immer, ganz gleich, wo ich mich befinde. Ganze Kapitel meines Schillerromans sind beispielsweise beim Marathontraining im Wald entstanden. Wenn ich in der Schlussphase eines Romanprojektes stecke, bin ich deshalb zumeist nicht besonders gesellschaftsfähig und kommunikativ, da ich mich in Wirklichkeit an der Seite meines Protagonisten ganz woanders befinde. Das ist für meine Frau und für meine Freunde nicht immer einfach, und ich muss sehr dankbar sein, dass mir die meisten über all die Jahre treu geblieben sind. Soweit Sie wissen möchten, wie lange ich mir, um mit Büchner zu sprechen, am Schreibtisch “Schwielen am Hintern sitze„, kann ich nur sagen, dass dies täglich der Fall ist und die Zeiten zwischen 2 Stunden Minimum und 12 Stunden Maximum liegen.
Histo-Couch: Was machen Sie in Ihrer Freizeit, um sich vom Schreiben zu erholen?
Udo Weinbörner: Musik und lange Wanderungen. Ich komponiere amateurhaft selbst ein wenig Jazz und Blues, vertone dabei häufig Gedichttexte von Heine, Kästner, Ringelnatz, Gernhard oder mir selbst und spiele diese mit meinem Trio “UHU„ ein. Den größten Erholungswert bietet jedoch die Natur, so findet man meine Frau und mich häufig auf langen Wanderungen im Norden auf unseren Lieblingsinseln Amrum oder Spiekeroog, im Süden in den Alpen und bei uns vor Ort im Siebengebirge oder in der Eifel auf den “Traumpfaden„.
Histo-Couch: Zum Abschluss noch die Frage, ob Sie uns schon etwas über Ihr nächstes Projekt verraten können?
Udo Weinbörner: Ich arbeite derzeit an zwei Romanen mit Frauengestalten als Hauptfiguren, die dieses Mal nichts mit der Literaturgeschichte zu tun haben. In dem historischen Romanprojekt, das um 1800 spielt, wird es um die Frage der Schuld und Gerechtigkeit sowie der gesellschaftlichen Verantwortung für die Entstehung von kriminellem Handeln gehen. Ein tatsächlicher Fall, dokumentiert in Prozessakten, mit einem Ende, das uns auch heute noch bewegen sollte und uns alle anregen könnte, auch über die politische und gesellschaftliche Entwicklung unseres Justizwesens nachzudenken. Das zweite Romanprojekt ist ein Gegenwartsroman über das Schicksal einer jungen deutschen Chirurgin. Der Roman, dessen Entstehung vor allem meine Frau als Erstleserin mit Begeisterung begleitet, wird in Triest spielen. Beide Projekte sollen noch im Laufe dieses Jahres abgeschlossen werden, ein Erscheinungstermin steht noch nicht fest. Im April dieses Jahres erscheint die Taschenbuchausgabe meines historischen Romans “Der General des Bey/Das abenteuerliche Leben des Amrumer Schiffsjungen Hark Olufs", der im 18. Jahrhundert spielt. Auf die Begegnung mit Lesern bei verschiedenen geplanten Veranstaltungen freue ich mich jetzt schon.
Histo-Couch: Das hört sich sehr interessant und spannend an, was Sie für die nächste Zeit planen. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Verwirklichung!
Das Interview führte Birgit Borloni.
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