Sebastian Thiel
„Umso näher ein Roman an der Realität ist, desto spannender kann er sein“
03.2015 Die Histo-Couch-Interview mit Sebastian Thiel über seine Romane, Recherchen vor Ort und die Arbeit mit seinem Verlag.
Histo-Couch: Sie sind mit Anfang 30 noch ein recht junger Autor, haben aber mit Sei ganz still bereits Ihren fünften Roman beim Gmeiner Verlag veröffentlicht. Wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?
Sebastian Thiel: Es kommt immer darauf an, in welcher Phase eines Romans ich mich befinde. Wenn ich noch recherchiere, kann es durchaus sein, dass ich morgens die Orte besuche, über die ich schreiben möchte, dazu kann ein Konzentrationslager genauso gehören, wie der Besuch eines Heimatmuseums. Wenn ich schreibe, bin ich sehr fokussiert, für einen Außenstehenden wäre es ziemlich langweilig, mich zu beobachten. Ich schalte den Rechner an, öffne die Dokumente und beginne zu schreiben. Da steckt kein großes Geheimnis hinter.
Histo-Couch: Gibt es einen besonderen Grund, dass Sie beim Gmeiner Verlag gelandet sind; wie bewerten Sie die Beratung und Betreuung durch deren Team?
Sebastian Thiel: Nach wie vor bin ich überaus glücklich, beim Gmeiner Verlag publizieren zu dürfen und das sage ich bestimmt nicht, weil ich das als Stammautor sagen muss, sondern weil trotz des geschäftlichen Drucks in der Bücherwelt immer noch ein sehr familiäres und offenes Klima vorherrscht. Es gibt nichts wichtigeres, als einen ehrlichen Lektor, der auch mal sagt, dass die ein oder andere Passage nicht so gut gelungen ist. Das ist nicht selbstverständlich und dafür bin sehr dankbar.
Histo-Couch: Sie haben zwei historische und drei zeithistorische Romane geschrieben, wobei letztere in der Zeit des Nationalsozialismus spielen. Was reizt Sie an dieser Epoche besonders?
Sebastian Thiel: Von dieser Epoche war ich schon seit frühester Kindheit fasziniert, als meine Großväter mir Geschichten über die Zeit erzählten. Wie konnte eine ganze Nation verführt werden? Voller Euphorie in einen Krieg ziehen und noch schlimmere Dinge tun? Dies alles sind Fragen, die ich in meinen Romanen verarbeite. Dabei versuche ich, die Begebenheiten, Gefühle und Umstände der Menschen genau zu beschreiben.
Histo-Couch: Wie erklären Sie sich den derzeitigen Boom an Büchern, die zu jener Zeit spielen? Hat Sie womöglich der Erfolg Ihres Kollegen Volker Kutscher animiert?
Sebastian Thiel: Ich denke, dass die Menschen einfach ein gesteigertes Interesse an der Vergangenheit haben. Umso näher der Roman an der Realität ist, desto schockierender, aber auch spannender kann ein Buch sein. Der erste Teil der Brandenburg-Reihe Wunderwaffe, spielt mit dem Gedankengang, dass die Nationalsozialisten ihre Giftgas Vorräte hätten einsetzen wollen. Das sind Themen, welche die Menschen interessieren.
Histo-Couch: In Sei ganz still spielt ein herunter gekommener Polizist namens Friedrich Wolf die Hauptrolle. Schlägereien, Trinkereien und Besuche im Rotlichtmilieu prägen seinen Alltag. Haben Sie da nicht ein bisschen Bedenken, dass Sie mit diesem Raubein vor allem männliche Leser anlocken beziehungsweise umgekehrt, dass Sie das weibliche Publikum abschrecken?
Sebastian Thiel: Auf keinen Fall! Auf den Testlesungen war es mehr das weibliche Publikum, welches Friedrich Wolf sofort ins Herz schloss. Auch durch Rezensionen und Feedback kristallisiert sich langsam heraus, dass Frauen Wolfs komplizierte Charakterstruktur anders erkennen und sie richtig mit ihm leiden. Seine Kindheit, die Zeit im Krieg – vielen weibliche Leser gefällt die Geschichte, warum er zu dem geworden ist, was er jetzt darstellt. Ich würde sagen, dass Frauen die Hälfte meiner Leserschaft ausmachen. Und um ganz ehrlich zu sein, bin ich darauf auch ein wenig stolz.
Histo-Couch: In dem Roman geht es auch um die Rassenhygiene der Nazis, die Bewahrung des reinen Volksblutes und die systematische Vernichtung von Kindern, die für lebensunwert befunden wurden. Wie kamen Sie speziell auf dieses Thema?
Sebastian Thiel: Schon am Anfang der Brandenburg-Reihe wolle ich das Thema anschneiden. Bei der Recherche erkannte ich aber, dass es viel zu komplex ist, um dies nur als Nebenstory zu erwähnen. Die Idee reifte immer weiter, bis ich daraus einen Noir-Roman machte, mit einer kaputten Hauptfigur, in einer noch kaputteren Welt.
Histo-Couch: Wie haben Sie die Hintergründe recherchiert?
Sebastian Thiel: Natürlich wollte ich, gerade wenn es um so ein sensibles Thema geht, noch intensiver recherchieren, als sonst. Ich besuchte Orte, an denen mein Roman spielt. So zum Beispiel die ehemalige Heil- und Pflegeanstalt in Waldniel, um die Beschaffenheit der Gebäude, die Anzahl der Fenster, ja sogar den Geruch und die düstere Stimmung genau einfangen zu können.
Histo-Couch: Können Sie sich vorstellen, einen Krimi in der Gegenwart spielen zu lassen oder einen historischen Roman zu schreiben, der im Ausland spielt?
Sebastian Thiel: Das sind auf jeden Fall beides Genres, die mich absolut reizen. Zwei Krimis in der Gegenwart habe ich auch bereits geschrieben, die Vorgehensweise ist eine völlig andere, aber mindestens genauso spannend.
Histo-Couch: Die obligatorische Schlussfrage: Was dürfen wir in Zukunft erwarten; gibt es schon konkrete Buchprojekte, an denen Sie arbeiten?
Sebastian Thiel: Ich glaube, dass ich gar nicht ohne Schreiben leben könnte, dazu liebe ich es einfach viel zu sehr. Deshalb erscheint auch bereits im Herbst der dritte Teil der Brandenburg-Reihe, sowie zwei weitere Krimis in anderen Verlagen.
Histo-Couch: Herr Thiel, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg!
Das Interview führte Jörg Kijanski.
Neue Kommentare