Micaela Jary
„Schreiben ist für mich wie atmen“
09.2014 Die Histo-Couch im Interview mit Micaela Jary über Kreativität, unnützes Wissen und das reale Papierbuch.
Histo-Couch: Frau Jary, was bedeutet für Sie der Umgang mit Sprache?
Micaela Jary: Poetisch ausgedrückt würde ich sagen: Was dem Maler die Farbe, ist mir das Wort. Die Sprache ermöglicht mir, Bilder zu malen, die in meinem Kopf entstehen. Deshalb bedeutet sie mir sehr viel. Schreiben ist für mich wie Atmen, also ist meine Sprache mein Lebenselixier.
Histo-Couch: Könnten Sie sich vorstellen, einen anderen Beruf auszuüben, als einen schreibenden? Wovon träumten Sie als Kind?
Micaela Jary: Ich wollte schon immer Schriftstellerin werden. Insofern lebe ich meinen Traum. Die Alternative wäre noch Innenarchitektin gewesen, aber da ich mathematisch vollkommen unterbelichtet bin, ist dieser Berufswunsch nur Illusion. Ich ziehe allerdings relativ viel um; auf diese Weise arbeite ich meine Begeisterung für das Einrichten von Wohnungen ab.
Histo-Couch: Schreiben ist ein kreativer Prozess: Was zeichnet Ihrer Meinung nach einen kreativen Menschen aus?
Micaela Jary: Man darf das nicht überbewerten, Schreiben ist auch sehr viel Handwerk. Aber es gehört natürlich Talent dazu und Fantasie. Ich meine, dass ein bildhaftes Denken sehr wichtig ist, die Möglichkeit, sich in andere Lebensmuster und Schicksale hineinzuversetzen. Irgendwo ist das alles schon ein bisschen analytisch, aber auf eine eher spielerische Art, wobei durchaus auch strukturelles Arbeiten zu meinem Job gehört.
Histo-Couch: Gibt es Momente, in denen Sie vor dem leeren Bildschirm sitzen und keine Worte finden?
Micaela Jary: Natürlich gibt es die, ich bin ja keine Maschine. Wobei es meistens weniger an den Worten mangelt als an der Einbildungskraft, das heisst, der Moment auf sich warten lässt, in dem ich mich in eine Szene hineinversetze. Das ist wie im Kino, wenn man vor der leeren Leinwand sitzt.
Histo-Couch: Welche Situation inspiriert Sie?
Micaela Jary: Das ist ganz unterschiedlich. Das kann die Betrachtung eines Gemäldes oder einer Skulptur sein, ein alter Spielfilm, ein Gebäude oder eine Melodie. Auch die Gespräche mit meiner Tochter, die Historikerin ist, sind häufig sehr inspirierend.
Histo-Couch: Mögen Sie Fortsetzungsgeschichten?
Micaela Jary: Eine gute Frage verdient eine ehrlich Antwort: Ich weiß es nicht. Es gibt Geschichten, die sind noch nicht zu Ende erzählt, und es gibt andere Geschichten, bei denen wären Fortsetzungen eine Quälerei. Ich bin da ziemlich offen. Sehr hübsch finde ich die Idee, in Fortsetzungen das Schicksal von Personen zu erzählen, die im vorherigen Roman mehr oder weniger wichtige Randfiguren waren. Aber so habe ich noch nie gearbeitet, das wäre mal ein interessanter Plan für die Zukunft. Aber ich nehme an, Sie spielen auf Das Haus am Alsterufer an: Diese Geschichte war von Anfang an als Zweiteiler geplant, ich hatte beim Schreiben also immer eine Fortsetzung im Kopf. Ob es diese geben wird, liegt allerdings in der Entscheidungsgewalt meines Verlegers.
Histo-Couch: Sie schreiben über vergangene Zeiten war das ein bewusster Entscheid für das historische Genre oder eher eine zufällige Richtung?
Micaela Jary: Als ich Daphne du Mauriers historischen Roman Des Königs General als Teenager las, wusste ich, dass ich so etwas auch schreiben wollte. Vom Winde verweht von Margaret Mitchell gab mir dann sozusagen den Rest. Ich liebe Geschichte (Historie), ich liebe alles, was alt im Sinne von antik ist. Man sollte die Vergangenheit nicht einfach vergessen oder abtun. Es gibt so vieles, aus dem wir heute noch lernen können. Und es gibt vieles, das nicht vergessen werden sollte. Außerdem finde ich es sehr interessant, durch eine Romanhandlung die Vergangenheit lebendig werden zu lassen.
Histo-Couch: Welchen Stellenwert hatte für Sie der Geschichtsunterricht in der Schule? Und wo sähen Sie die Möglichkeit, Kinder mehr an die Geschichte heran zu führen?
Micaela Jary: Für mich war es ziemlich schlimm, dass in den bayerischen Gymnasien meiner Generation Geschichte nur ein Nebenfach war. Ich war leider in den naturwissenschaftlichen Fächern eine Niete, und das einzige Fach, in dem ich wirklich gut war und das mich interessierte, zählte demnach nicht so doll. Meine Tochter war im britischen und im französischen Schulsystem, da ist das Curriculum mehr auf die Begabung und die Interessen des Schülers ausgerichtet. Das finde ich definitiv besser. Sie ist vielleicht ein gutes Beispiel, wie man Kinder an Geschichte heranführt: Indem man ihnen beibringt, mit offenen Augen durch eine Stadt zu gehen. Auch alte Steine können Geschichten erzählen, man muss sich nur ein bisschen dafür interessieren. Und dann natürlich lesen, lesen, lesen. Immer wieder Zahlen von irgendwelchen Schlachten durchzukauen, halte ich dagegen für absolut unnützes Wissen.
Histo-Couch: Wann beginnt für Sie eine Geschichte (im Sinne von Story) so viele Konturen anzunehmen, dass es Ihre Geschichte wird?
Micaela Jary: Das ist schwierig zu beantworten, denn spontan würde ich sagen, dass dieser Prozess eigentlich erst beim Schreiben beginnt. Aber das stimmt natürlich nicht, denn es gibt ja vorher ein Exposé. Wenn ich eine Idee für einen Roman habe, die sich etwa aus einer zeitgeschichtlichen Begebenheit oder einer bestimmten historischen Person ergibt, nehme ich Block und Bleistift zur Hand und entwerfe mit der Hand Figuren und deren Beziehung zueinander. Da ich in meiner Arbeit sehr authentisch zu sein versuche, spielen Orte und Historie bzw. die jeweiligen Lebensumstände eine große Rolle. Dazu recherchiere ich erst einmal im Internet. Daraus ergibt sich ein Muster, das sind dann die Säulen meiner Story, auf der ich mit viel Basislektüre aufbaue. Wahrscheinlich ist das der Moment, in dem die Geschichte meins wird. Sie ist es aber erst richtig, wenn das Manuskript beendet ist.
Histo-Couch: Welche Figuren bereiten Ihnen eher Mühe bei der Ausarbeitung: Die guten oder die bösen beziehungsweise schwierigen Charaktere?
Micaela Jary: Die guten Charaktere sind schwieriger zu beschreiben, weil nette Leute eben nett sind und das kann im Roman sehr schnell blass wirken. Ich glaube, dass ist der Grund, warum so viele Heldinnen historischer Romane so schwere Schicksalsschläge erdulden müssen.
Histo-Couch: Finden sich Ihre Freunde und Bekannte in den Figuren in ihren Romanen wieder?
Micaela Jary: Nein, eher nicht, jedenfalls hat mir das noch niemand gesagt. Natürlich habe ich immer mal wieder jemanden vor Augen, den ich kenne oder liebe (meinen Mann zum Beispiel), aber Bemerkungen dazu gab es noch nie.
Histo-Couch: Wer sieht Ihr Manuskript als erstes?
Micaela Jary: Meine Außenlektorin/Redakteurin und meine Agentin. Ich habe keine Testleser wie viele meiner Kolleginnen. Manchmal liest meine Tochter ein Manuskript vor der Veröffentlichung, aber das ist nicht die Regel.
Histo-Couch: Wie lange schreiben Sie an einem Roman?
Micaela Jary: Das ist unterschiedlich und hängt sehr stark vom Thema und der Recherchearbeit ab. Man kann aber grundsätzlich sagen, dass die Arbeit an einem Roman insgesamt ein bis zwei Jahre dauert.
Histo-Couch: Gibt es Themen, die Sie gerne mal behandeln würden, an die Sie sich aber noch nicht heran getraut haben?
Micaela Jary: Mit exakt diesem Thema beschäftige ich mich gerade. Der Stoff für den Roman, den ich gerade schreibe, spukt mir seit über zehn Jahren im Kopf herum. Damals war die Zeit noch nicht reif dafür. Ich hoffe, dass dies im Sommer 2015 der Fall sein wird.
Histo-Couch: Wie fühlt man sich, wenn man einen Roman von sich beim Buchhändler stehen sieht?
Micaela Jary: Unglaublich gut, auch ein bisschen stolz. Das ist aufregend und atemberaubend. Und dieses tolle Gefühl ließ seltsamerweise auch beim elften Roman nicht nach (Das Haus am Alsterufer). Es ist jedes Buch anders, die Entwicklung, die Geschichte, die Lebenssituation beim Schreiben. Das spielt sicher alles eine Rolle. Übrigens ist das der Grund, warum ich mir keine Erstveröffentlichungen als eBook oder gar Selfpublisher für mich vorstellen kann. Dieses Gefühl, den eigenen Roman im Buchhandel zu finden, ist für mich unersetzbar.
Histo-Couch: Fühlen Sie sich von Kritiken angegriffen? Wie gehen Sie damit um, wenn eine negative Meinung zu Ihren Romanen auftaucht?
Micaela Jary: Ich bin nicht perfekt, das weiß ich. Und ich weiß auch, dass man immer alles besser machen kann. Für konstruktive Kritik bin ich daher offen, obwohl ich natürlich lieber Lob höre. Was ich ganz schlimm finde, sind diese Haudrauf-Kritiken, erstmal alles niedermachen und alles besser wissen, egal, ob es so ist oder nicht, Hauptsache, der Rezensent kann sich wichtig machen. Über solche Menschen ärgere ich mich. Dummheit finde ich ohnehin nur schwer erträglich.
Histo-Couch: Welches ist Ihr ganz persönliches Lieblingsbuch? Und welches Buch liegt momentan auf Ihrem Nachttisch?
Micaela Jary: Momentan liegen Stapel auf meinem Nachttisch, weil ich Jury-Mitglied für den DeLiA-Literaturpreis 2015 bin. Deshalb kann und will ich keinen bestimmten Titel nennen. Und deshalb tue ich mich im Moment auch mit Lieblingsbüchern etwas schwer.
Histo-Couch: Wie oft greifen Sie selber zu Lektüre?
Micaela Jary: Ich lese sehr gerne und viel. Für einen Autor ist das wichtigste Handwerkszeug seine Fähigkeit zu lesen. Konkurrenzbeobachtung ist in meinem Job ebenso wichtig wie in jedem anderen Beruf auch. Deshalb bin ich auch sehr gerne in der DeLiA-Jury. Eine bessere Gelegenheit, eine umfassende Beobachtung der deutschsprachigen Neuerscheinungen von 2014 zu erhalten, gibt es kaum.
Histo-Couch: Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt zu den Leserinnen und Lesern?
Micaela Jary: Sehr wichtig. Als ich anfing, Bücher zu schreiben, war die Schreiberei ein unglaublich einsamer Job mit nur geringem Feedback. Inzwischen gibt es durch die sozialen Netzwerke plötzlich die Möglichkeit, sehr leicht Kontakt zu den Menschen zu erhalten, für die wir Autoren ja letztendlich arbeiten. Das ist unbezahlbar. Und plötzlich ist man nicht mehr einsam beim Schreiben. Großartig.
Histo-Couch: Welchen Wunsch hätten Sie an die Leserinnen und Leser?
Micaela Jary: Natürlich würde es mich glücklich machen, wenn meine Leserinnen und Leser meinen Romanen die Treue halten, meine Bücher verschenken und empfehlen. Aber dafür muss ich ja auch etwas tun nämlich arbeiten. Nach dem Roman heißt bei mir glücklicherweise vor dem Roman. Und deshalb danke ich an dieser Stelle sehr herzlich für das Interview und verabschiede mich, um in meinem Manuskript abzutauchen.
Das Interview führte Rita DellAgnese.
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