Angela Steidele

„Die Wahrheit interessiert mich weniger als der Mythos“

11.2015 Die Histo-Couch im Interview mit Angela Steidele über Kritik und Briefromane und König Ludwig II.

Histo-Couch: Ludwig II von Bayern und Anastasius Rosenstengel haben, was die Lebensdaten und die Geographie angeht, auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Wie sind sie auf die Idee gekommen, diese beiden Geschichten zu verbinden?

Angela Steidele: Als ich vor Jahren die Biographie Catharina Lincks alias Anastasius Rosenstengel schrieb, wollte ich auch wissen, wer eigentlich dieser F. C. Müller war, der 1891 Teile ihres Gerichtsprozesses veröffentlichte. Als ich herausgefunden hatte, dass dieser Franz Carl Müller nicht nur Lincks Akten aus dem Geheimen Staatsarchiv zu Berlin gezogen hat, sondern auch die Leiche des abgesetzten Ludwigs II. aus dem Starnberger See, war die Idee zu diesem Roman geboren. Denn Müller verbindet zwei historische Persönlichkeiten, die ihr Leben als Bühne betrachtet haben. Catharina Linck erschuf sich selbst als Mann, als Prophet, als Soldat, als Handwerker und nicht zuletzt als Liebhaber „schöner Weibesmenschen“. Ludwig II. erfand sich als Schwanenritter, Theaterkönig und Bauherr phantastischer Schlösser nicht weniger radikal als Catharina Linck. Durch ihr Leben stellen beide die Annahme in Frage, man könne zwischen wahr und erfunden unterscheiden.

Histo-Couch: Der Roman ist als Briefroman angelegt. Warum haben Sie diese Art des Erzählens gewählt? Was, glauben Sie, kann man in einem Briefroman anders oder besser transportieren?

Angela Steidele: Augenzwinkernd will der Briefroman seit seinen Anfängen nie sein, was er ist: Dichtung. Der Briefroman erlaubt mir, das eigentliche Thema des Romans – die Erfindung des Lebens, auch der Geschichte – literarisch durchzuspielen: Zu Wort kommen ausschließlich historische Persönlichkeiten, deren Briefe von mir teils erfunden, teils aus Tausenden Originalzitaten zusammengesetzt wurden. Diese Briefe geben sich als Quellen aus, sind jedoch nie so geschrieben worden, und erzählen doch über weite Strecken authentische Geschichte. Was wahr ist, was erfunden, müssen die Leser selbst entscheiden – oder, wie Linck und Ludwig, für unwesentlich erklären und genussvoll in die Geschichten eintauchen.

Histo-Couch: In einem Brief Elisabeths, Kaiserin von Österreich, an Ludwig II. schreibt sie über Dr. Müller: „Sein Buch über Rosenstengel will er jetzt aus Originalbriefen zusammenstückeln, die er nach eigenem Gusto ausschlachtet, mal hier ein Satz, mal dort eine Expression – ob das was wird, darf man so seine Zweifel haben.“

War für Sie der Briefroman auch ein Wagnis, an dessen Erfolg sie manchmal gezweifelt haben?

Angela Steidele: Nein. Den Roman so und nicht anders zu komponieren war ein einziges, wenn auch höchste Konzentration verlangendes Vergnügen. Höhepunkte beim Schreiben waren genau solche Momente, wenn ich Sisi erlaube, sich über mein eigenes Verfahren lustig zu machen. Ich gehe ja sogar noch weiter und stelle den Roman selber zur Disposition: Denn Müller will ja zu Beginn eine wissenschaftliche Studie über Rosenstengel schreiben, scheitert jedoch und bekommt am Ende nichts als Ein Manuskript aus dem Umfeld Ludwigs II. zusammen, wie der Untertitel zu meinem Roman lautet.

Histo-Couch: Wie sind Sie beim Schreiben vorgegangen? Haben Sie zuerst alle Briefe einer Zeitebene geschrieben oder alle Briefe einer Person und Sie dann nach und nach zusammengesetzt? Oder die Briefe bereits in der Reihenfolge entworfen, die sie dann im Buch haben?

Angela Steidele: Die Komposition des Romans – wer schreibt wem wann was – ist das Ergebnis eines höchst komplexen Arbeitsprozesses. Zuerst habe ich relativ getrennt voneinander die beiden Zeitebenen entworfen: die Handlung festgelegt, die Figuren ausgewählt, ihre Beziehungen und Konflikte untereinander sowie ihre Entwicklung motiviert. Dabei behielt ich jedoch stets die andere Zeitebene im Hinterkopf, denn beide Erzählstränge sind eng verwoben, durch parallele Führung von Figuren und Handlungsmustern ebenso wie durch die Leitmotive „Weib“, „Wahn“ und „Wasser“. Größte Sorgfalt galt dann der Montage der beiden Erzählstränge; die sich subtil weiterspinnen. Als die Reihenfolge der Briefe stand, habe ich auf der sprachlichen Mikroebene an den Einzelbriefen und Briefdialogen gefeilt, bis sich jeder Schreiber durch seinen persönlichen Stil unverkennbar charakterisiert – und zwar auch in Variationen, denn je nach Adressat ändert jeder Schreiber den Ton.

Histo-Couch: An Ludwig II. scheiden sich ja bekanntlich die Geister: Die einen betrachten ihn als DEN Kini, als Märchenkönig, die anderen sehen ihn als verschwenderischen Sonderling oder als psychisch Kranken, der jeden Bezug zur Realität verloren hat. Was ist Ihr persönliches Bild von ihm?

Angela Steidele: Ludwig war der Künstler seines Lebens, der bewusst dem Königtum einen letzten Höhe- und Schlusspunkt setzte. Er reflektierte die Ohnmacht, ja Unlogik seiner Rolle als konstitutioneller König und entschied sich für die uneingeschränkte Herrschaft der Kunst. Erst bezahlte er Richard Wagner dafür, die Religion durch das Konzept des Gesamtkunstwerks zu ersetzen, dann baute Ludwig selber mit Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee Denkmäler eines idealen Königtums. Er war radikal und kompromisslos und wie viele Künstler besessen von seiner Idee, aber keines Falls geistig verwirrt.

Histo-Couch: Mehr noch als sein Leben gibt sein Tod auch über 100 Jahre später noch Anlass zu lebhaften Spekulationen: Dass er zusammen mit dem Arzt Prof. Gudden tot im Starnberger See aufgefunden wurde, ist sicher, wie es dazu kam, jedoch nicht. In Ihrem Buch liefern Sie am Ende mehrere mögliche Erklärungen. Welche halten Sie persönlich für die wahrscheinlichste?

Angela Steidele: Die Wahrheit interessiert mich weniger als der Mythos. Mir geht es um die Untrennbarkeit von Fakten und Fiktionen und daher endet der Roman mit gleich vier Varianten zu Ludwigs Tod. Und alle vier könnten wahr sein.

Histo-Couch: Anhand der Kurzbiographien am Ende des Romans kann man erkennen, dass Sie sowohl die zeitlichen Abläufe in Anastasius Rosenstengel als auch die Todesart geändert haben. Was hat Sie dazu bewogen?

Angela Steidele: In einem Roman darf und muss ich die Figuren und die Handlung freier behandeln als in einem historischen Sachbuch. Catharina Lincks Leben habe ich aus dramaturgischen Gründen verdichtet, Leerstellen mit Erfundenem gefüllt, und ihre Hinrichtungsart habe ich der Ludwigs angeglichen, um beider Leben bis zuletzt parallel zu führen: In diesem regen- und wasserreichen Roman steigt der Pegel an, bis beide Hauptfiguren darin untergehen.

Histo-Couch: Ihr Buch hebt sich aus der Masse der historischen Romane heraus, weil es eine andere Erzählform und auch einen ungewöhnlichen Inhalt hat. War es schwierig einen Verlag zu finden mit einem Thema, das so gar nicht „Mainstream“ ist?

Angela Steidele: Mein Verleger, Andreas Rötzer von Matthes & Seitz Berlin, sieht in dem gewagten formalen Experiment gerade seinen großen Vorzug: Einen doppelten Briefroman mit zwei Zeitebenen, die sich gegenseitig spiegeln und kommentieren und zusammen eine dritte Geschichte erzählen, hat es in der Literatur noch nicht gegeben. Der Roman kommt zwar „historisch“ gewandet daher, reflektiert dieses Kleid jedoch, spielt mit der Form und transzendiert sie in die Postmoderne.

Histo-Couch: Wie stehen Sie zu dem Cover? Rosa ist ja eine Farbe, die nicht nur heraussticht sondern oft in Richtung „seichte Liebeslektüre“ denken lässt. Glauben Sie, Ihr Buch hat es schwerer oder leichter mit dieser Farbe?

Angela Steidele: Dieses krasse Rosa steht ja vor allem für „homosexuell“ oder neudeutsch „queer“ und erschließt zusammen mit den beiden Hauptfiguren Linck (vorne) und Ludwig (hinten) Entscheidendes über den Inhalt. Judith Schalansky hat das gesamte Buch wunderschön gestaltet: Die beiden Zeitebenen werden in zwei verschiedenen historischen Tintenfarben erzählt, Linck in braun, Ludwig in blau, und ich als vermeintliche Herausgeberin habe meine eigene Farbe (aubergine) und moderne Schrifttype. Der verspielte Anspruch wie auch die Komik des ganzen Romans werden mit diesem gestalterischen Aufwand höchst sinnlich vermittelt.

Histo-Couch: Wie sehen/sahen Sie den ersten Rezensionen entgegen: Freudig, ängstlich, gelassen?

Angela Steidele: Wer veröffentlicht, muss sich der Kritik stellen, und die muss man über sich ergehen lassen wie das Wetter. Denis Scheck legte auf der ARD-Bühne der Frankfurter Buchmesse wie im SWR Fernsehen den Lesern Rosenstengel als das „beste Romandebut des Jahres“ ans Herz: Da lacht die Sonne.

Histo-Couch: Kann man Sie mit negativer Kritik treffen?

Angela Steidele: Da ich bislang stets überwältigenden Zuspruch erhalten habe, steht mir die Erfahrung einer unfairen Kritik oder eines glatten Verrisses noch aus. Zutreffende Korrekturen von Fehlern auf der Detailebene sammle ich stets dankbar für etwaige weitere Auflagen.

Histo-Couch: Was bedeutet Schreiben für Sie?

Angela Steidele: Mit dem Schreiben beantworte ich mir selbstgestellte, brennende Fragen in der dafür zu findenden Form. Ich habe noch andere Leidenschaften, aber für die Opernbühne oder das Dirigierpult hat es nicht gereicht.

Histo-Couch: Wie sieht Ihr Schreiballtag aus? Gibt es bestimmte Rituale?

Angela Steidele: Ich schreibe, wie andere Leute ins Büro gehen: früh, regelmäßig, von montags bis freitags, in einem stetigen Strom des Nachdenkens. Höhepunkte sind Reisen auf den Spuren meiner Heldinnen und Helden. Sucht man etwa in Halberstadt Kirchenbücher von 1715, entdeckt man eine ganz andere Stadt. In Endphasen von Büchern verdichtet oder „verfiebert“ sich mein Arbeitsprozess und mir fallen noch beim Einschlafen oder Kochen Formulierungsvarianten ein. Dann liegen Zettel und Bleistift immer parat.

Histo-Couch: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für Sie und „Rosenstengel“, unter anderem bei der Verleihung des Bayerischen Buchpreises!

Das Interview führte Birgit Borloni.

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