Jan Zweyer

„Man muss also nur genau hingucken ...“

12.2014 Die Histo-Couch im Interview mit Jan Zweyer über Recherchen, Menschenkenntnis und Mordszenarien.

Histo-Couch: Herr Zweyer, vor kurzem ist Ihr neuer Roman „Eine brillante Masche“ über den Betrüger Johann Bos herausgekommen. Wie nähert man sich einer historischen Gestalt, über die man weder im Internet noch in den Aktenkellern der Gerichte etwas findet, an?

Jan Zweyer: Auf Johann Bos bin ich durch Zufall bei Recherchen zu meinem Buch Persilschein gestoßen. In einer Ausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung von 1950, die ich auf der Suche nach Material für mein Buch durchsah, stieß ich auf einen Artikel üb

er den Prozess vor dem Arnsberger Landgericht. Den habe ich eingescannt. Einige Monate später habe ich angefangen, über Bos selbst zu recherchieren. Und da ich im Internet nichts fand, habe ich das getan, was Generationen von Wissensdurstigen vor dem Internetzeitalter getan haben: Ich bin in die Archive gegangen. Und im Stadtarchiv Osnabrück bin ich fündig geworden.

Histo-Couch: Aber nur in alten Zeitungen? Oder fand sich da noch mehr?

Jan Zweyer: Nein.

Histo-Couch: Jan Bos ist ja ein Abzocker, einer, der andere Menschen betrügt und – wenn es sich einrichten läßt – ausnimmt bis aufs Hemd. Und er ist ein regelrechtes Chamäleon. Wie schaffen Sie es, sich in die Denkweise eines solchen Mannes hinein zu versetzen?

Jan Zweyer: Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob ich mich tatsächlich in seine Denkweise versetzen konnte. Ich habe mir einfach nur vorgestellt, wie er hätte reagieren können. Vergessen Sie nicht: Die brillante Masche ist ein Roman, keine Biografie oder etwas ähnliches.

Histo-Couch: Beim Lesen Ihres Romans hatte ich den Eindruck, dass Sie eine sehr realistische Persönlichkeit beschreiben. Daher interessiert mich, wie dieses Bild zustande kam. 

Jan Zweyer: Der Bos, denn ich beschreibe, ist weitgehend fiktiv. Natürlich haben die Gerichtsreporter auch ihre Eindrücke geschildert und auch über die Aussagen der Zeugen beispielsweise berichtet. Daraus entsteht dann in Verbindung mit meiner Fantasie das Bild von einer Figur. Dieses Bild sollte natürlich so realistisch wie möglich erscheinen, bleibt aber trotzdem Fiktion. Wenn es mir gelungen ist, Bos als reale Person „rüberzubringen“ freut mich dass natürlich. Aber ich befürchte, der echte Bos wird sich in meinen Beschreibungen nicht wiederfinden.

Histo-Couch: Johann Bos gibt im Roman ja als einen Grund für seine Straftaten an, dass er die Nazis eben nicht leiden könne. Hatten denn die Opfer seiner Straftaten ihr Mitgefühl? Als Leser denkt man ja doch mitunter: Ach, da hat es nicht die Falschen getroffen! 

Jan Zweyer: So ist es. Es hat vermutlich nicht die Falschen getroffen. Natürlich war Bos ein Verbrecher. Aber eben jemand, der mit unglaublicher Chuzpe vorgegangen ist und in der Regel niemanden verletzt oder bedroht hat – so weit ich weiß. Deshalb verspüre ich für „meinen“ Bos eine gewissen Sympathie. Ob der wirkliche Bos diese auch verdient, weiß ich allerdings nicht. Vermutlich eher nicht.

Histo-Couch: Vielleicht überlassen wir Herrn Bos der Neugier Ihrer Leser. Denen sind Sie ja hier auf der Histo-Couch vor allem durch ihre Krimis um Kommissar Goldstein /Golsten bekannt. Aber auch ihre anderen Krimis spielen ja meist im Umkreis der Zechen. Hält Sie der Ruhrpott einfach fest?

Jan Zweyer: Na, ich lebe hier. Und das Ruhrgebiet ist eine tolle Region, über die sich viele Geschichten erzählen lassen. Mit Menschen, die ihr Herz auf der Zunge tragen (ähnlich wie in Berlin übrigens). Mit schönen Lokalitäten, um literarisch zu morden oder Spannendes zu erfinden. Und ich kenne mich hier aus, muss nicht alles mühsam erfahren (im wahrsten Sinn des Wortes). Dass ich viele meiner Geschichten in der Region spielen lasse, in der ich lebe, macht es schlicht einfacher, darüber zu schreiben. Und da ich von Natur ein fauler Mensch bin …

Histo-Couch: Wann fingen denn bei Ihnen die Finger zu jucken an? Wann wurde der Wunsch, Geschichten zu schreiben, akut?

Jan Zweyer: Ich schreibe seit der Schulzeit. Erst grottenschlechte Liebesgedichte, dann noch schlechtere Lyrik, später Artikel für eine Schülerzeitung, dann als ständiger freier Mitarbeiter für eine Lokalredaktion. Und irgendwann bin ich über den Stoff für mein erstes Buch gestolpert. Ich habe angefangen zu schreiben, die Geschichte fast beendet, mich dann gefragt, ob das überhaupt jemand jemals lesen möchte, schließlich alles in die Tonne gekloppt. Und es einige Jahre später wieder hervorgeholt und beendet. So entstand mein erster Kriminalroman Glück Auf, Glück Ab. Seitdem kann ich mit dem Schreiben nicht mehr aufhören, bearbeite manchmal zwei oder drei Projekte gleichzeitig. Das tut ihnen leider nicht immer gut.

Histo-Couch: Wie ist denn das eigentlich mit den Morden, machen Sie da mal einen schönen Spaziergang, sehen ein gruseliges Plätzchen und dann entsteht da im Kopf das Szenario für den Mord? Oder machen Sie sich gezielt auf die Suche?

Jan Zweyer: Das ist unterschiedlich. Meistens entwickele ich erst Täter und Motiv, dann die Tatausübung und suche mir erst dann den Tatort. Aber es kann sein – wie z.B. bei meinem ersten Juist-Krimi – dass ich mir die Frage stelle, wie denn ein Mord auf einer ansonsten so beschaulichen Insel durchgeführt könnte und wie der Täter verschwinden kann. Das Motiv und die Täterpsychologie folgen dann später.

Histo-Couch: Wo finden Sie denn die besten Stoffe für ihre Krimis? Eher in Zeitungen und Archiven oder doch mehr in der eigenen Phantasie?

Jan Zweyer: Auch das lässt sich nicht generalisieren. Ich sammle alles, was mir interessant vorkommt, in einer Datenbank. Manchmal greife ich darauf zurück. Aber nur selten. Irgendwie schleichen sich die Ideen für meine Geschichte in meinen Kopf, nisten sich ein, werden umgewälzt, verworfen, entstehen neu, werden abgelegt und sind plötzlich wieder da. Um es weniger prosaisch auszudrücken: Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung, woher meine Einfälle kommen.

Histo-Couch: Die Hauptfiguren Ihrer Romane sind ja oft gar keine Helden im ursprünglichen Sinne des Wortes. Würde Sie so ein „wahrer Held“ denn gar nicht reizen?

Jan Zweyer: Wenn Sie unter einem „wahren“ Helden eine Art Supermann oder einen „Ich-mache-alles-immer-richtig-Typ“ verstehen, haben Sie Recht. Solche Geschichten finde ich langweilig. Ewige Sieger nützen sich schnell ab. Und Menschen sind in aller Regel ja auch nicht so. Wir sprachen eben über realistische Figurentwicklung. Kennen Sie einen Supermann? Ich nicht. Mir sind gebrochene Figuren lieber. Die lassen sich in allen ihren Widersprüchen viel besser beschreiben. Und sind auch viel spannender. Obwohl: Manchmal gucke ich mir amerikanische Actionfilme an. Mit Bruce Willis zum Beispiel. Der ist so ein Supermann. Und ich finde die Filme toll, obwohl sie völlig an der Realität vorbeigehen. Aber als Buch möchte ich so etwas nicht schreiben müssen.

Histo-Couch: Sie haben erst Architektur studiert, später Sozialwissenschaften. Hilft denn so ein Studium, wenn um die Entwicklung von Persönlichkeiten bei den Protagonisten geht?

Jan Zweyer: Nee, meine Studiengänge waren da nicht hilfreich. Die Architektur beschäftigt sich nicht wirklich mit Menschen (streng genommen nur in ihrer Eigenschaft als Bewohner oder Betrachter von irgendetwas), sondern mehr mit gebauten Raum, in dem sich natürlich Menschen bewegen. Und einen Soziologen interessiert der Mensch vor allem in seinem sozialen Umfeld, in dem er agiert. Die Entwicklung von Persönlichkeiten hängt natürlich auch von der Sozialisation des Einzelnen ab, in der Tat ein Thema für Soziologen. Aber hilfreich für meine Bücher? Eher nicht. Um es kurz zu machen: Ich habe mich im Studium nur am Rande mit Jugend-, Sozial- oder Familienpsychologie beschäftigt.

Histo-Couch: Gibt es denn Menschen, die Ihnen da hilfreich zur Seite stehen? Oder können Sie sich auf Ihre Menschenkenntnis verlassen?

Jan Zweyer: Menschenkenntnis? Ich denke, jeder, der nicht mit Brettern vor den Augen und Stöpseln in den Ohren durch die Welt marschiert, kann über die unterschiedlichsten Persönlichkeiten berichten. Man muss also nur genau hingucken. Ob es einem dann gelingt, diese Beobachtungen glaubwürdig aufzuschreiben, ist eine ganz andere Frage. Und ob mir das wirklich gelingt, müssen meine Leser beurteilen.

Histo-Couch: Sie sagten vorhin, Sie hätten mitunter zwei oder drei Projekte gleichzeitig zu laufen. Gibt es denn die Hoffnung, dass da mal wieder ein Histo-Krimi dabei ist?

Jan Zweyer: Das weiß ich noch nicht. Aber im nächsten Jahr wird bei Grafit ein dreiteiliger historischer Abenteuerroman erscheinen mit dem Titel: Das Haus der grauen Mönche. Zwei Bände werden in 2015, einer Anfang 2016 auf den Markt kommen. Die Geschichte spielt Ende des 15./ Anfang des 16. Jahrhunderts in Hattingen, dem Sauerland und in Lübeck. Die Bücher sollen der Auftakt zu einer Familiensaga sein, die sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt. Wenn ich neben diesem Mammutprojekt noch Zeit für anderes haben sollte, beende ich einen Roman über den 4. Kreuzzug (1202-1204), der halbfertig auf der Festplatte meines Rechners schlummert. Und wenn dann noch Zeit sein sollte, gibt’s vielleicht auch wieder einen historischen Kriminalroman.

Histo-Couch: „Das Haus der grauen Mönche“ – Darf man fragen, worum es geht?

Jan Zweyer: Klar dürfen Sie fragen. Es ist die Geschichte einer Waise, deren Eltern einer Intrige zum Opfer gefallen sind. Der Junge wird erst von Pflegeeltern, später von Dominikaner aufgezogen. In Hattingen lernt er ein junges Mädchen kennen. Aus einer kindlichen Zuneigung wird in der Pubertät eine zarte Liebe, bis seine Freundin nach Lübeck geschickt wird. Der Junge selbst wird kurz darauf aus Hattingen vertrieben und muss allein klarkommen, bis es ihn ebenfalls nach Lübeck verschlägt. Dort trifft er wieder auf seine frühere Freundin, die aber mittlerweile verheiratet ist …Das ist die Rahmenhandlung. Dann treiben in der Geschichte noch finstere Benediktiner, kriegerische Schweden, heuchlerische Politiker Piraten und korrupte Patrizier ihr Unwesen. Whow! 1200 Seiten in sechs Sätzen. Das muss mir erstmal jemand nachmachen.

Histo-Couch: Das klingt spannend. Es ist aber eine Zeit, in der Sie bisher noch nicht unterwegs waren. Ist da viel Neuland zu beackern?

Jan Zweyer: Und wie. Aber genau das macht die Beschäftigung mit historischen Themen ja so spannend. Auf meinem Schreibtisch stapelt sich historische Fachliteratur, ich habe interessante Gespräche mit Stadtarchivaren (über Hattingen im 16. Jahrhundert), Germanisten (über die Sprache in dieser Zeit) und einem Bergbauingenieur (über mittelalterlichen Bergbau) geführt und dadurch selbst viel gelernt. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, einiges von dem Erlernten so in den Text einfließen zu lassen, dass auch meine Leser davon profitieren.

Histo-Couch: Haben Sie einen Lieblingskrimi? Einen liebsten historischer Roman?

Jan Zweyer: Ganz kurze Antwort: Gibt es in beiden Fällen nicht. Dafür schreiben zu viele tolle AutorInnen zu viele spannende Geschichten.

Histo-Couch: Das nenne ich salomonisch! Darf ich Sie nach Ihrem größten Wunsch für die (berufliche) Zukunft fragen?

Jan Zweyer: Bücher zu schreiben, die Millionen Menschen gefallen (von irgendwas muss ich ja schließlich leben, oder?)

Das Interview führte Annette Gloser.

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