Tom Hillenbrand
„Irgendwann ist man dem Wahnsinn nahe“
05.2016 Die Histo-Couch im Interview mit Tom Hillenbrand über kulinarische Krimis, Kommissar Zufall und seinen Hausverlag.
Histo-Couch: Sehr geehrter Herr Hillenbrand, stellen Sie sich doch bitte zunächst unseren Leserinnen und Lesern kurz vor.
Tom Hillenbrand: Ich schreibe seit 2010 Romane hauptsächlich Krimis, aber auch Science-Fiction und historisches. Vorher war ich Journalist, aber da durfte man sich nie was ausdenken. Jetzt muss es alles raus. Wenn ich nicht schreibe, versuche ich möglichst viel zu lesen. Ich wohne am Münchner Stadtrand und arbeite auch dort.
Histo-Couch: Viele Leserinnen und Leser werden Sie vor allem durch Ihre „kulinarischen Krimis“ um den Luxemburger Koch Xavier Kieffer kennen. War dieser „kulinarische Ansatz“, quasi eine Vorliebe für Kaffee, der Auslöser für „Der Kaffeedieb“ oder wie entstand die Idee?
Tom Hillenbrand: Wegen der kulinarischen Krimis lese ich naturgemäß viel über Essen und Küche, vor allem auch über Nahrungsmittelhistorie. Und dabei bin ich eher zufällig über die Anekdote gestolpert, wie die Holländer Ende des 17. Jahrhunderts den Türken in einer geheimen Kommandooperation den Kaffee geklaut haben. Auf dessen Anbau hatte der osmanische Sultan nämlich ein Monopol. Und als ich das las, dachte ich sofort: Daraus machst du einen Abenteuerroman, in dem dieser Raubzug beschrieben wird, „Ocean’s Eleven“ trifft auf „Die drei Musketiere“.
Histo-Couch: Welche historischen Ereignisse oder Personen haben Sie besonders inspiriert? Gibt es beispielsweise für den Protagonisten Obediah Chalon ein reales Vorbild?
Tom Hillenbrand: Ich fand vor allem diese Naturphilosophen der Aufklärung wahnsinnig faszinierend Menschen wie Huygens, Leibniz oder Wren. Die hatten einen unglaublichen Wissensdurst und wollten alles herausfinden. Dabei beschränkten sie sich nicht auf einzelne Fachgebiete. Christopher Wren zum Beispiel hat die Saint Pauls in London gebaut. Aber neben der Architektur interessierte er sich auch für Veterinärmedizin und sezierte in seiner Freizeit gerne Pudel. Obediah Chalon hat im Prinzip zwei Vorbilder. Zum einen Thomas Chaloner, einen legendären Falschmünzer aus dieser Zeit und zum anderen einen Trickbetrüger namens Obediah Lemon. Der hatte in London eine Gang, die den Leuten von den Hausdächern aus mit Angeln die Wertsachen aus den Taschen lupfte. Auch für ein paar andere Figuren gibt es historische Vorbilder, zum Beispiel für den bolognesischen General und Botaniker Graf Marsiglo.
Histo-Couch: Für die Helden rund um Chalon wird es mehr als einmal höchst gefährlich; von „Wundern“ ist mitunter die Rede. Hat da aus der Sicht des Krimiautors womöglich „Kommissar Zufall“ ein bisschen zu oft nachgeholfen?
Tom Hillenbrand: Das ist ganz bewusst eine total irrwitzige Abenteuergeschichte, mit vielen waghalsigen Wendungen. Die Protagonisten haben häufig mehr Glück als Verstand, zumal sie mit dem Sonnenkönig ja einen sehr mächtigen Gegner haben. Natürlich hat das etwas von einem Hollywood-Streifen. Aber mir hat dieser wilde Ritt, bei dem mich die Aktionen der Figuren oft selbst überrascht haben, eine Menge Spaß gemacht. Ich hoffe, den Lesern geht es genauso.
Histo-Couch: Die Themenvielfalt des Romans ist sehr beeindruckend. Es geht um Spionage und Kryptologie, um die Machtverhältnisse in Europa in den 1680er Jahren, den Stand der Wissenschaften, die religiösen und kulturellen Unterschiede und vieles mehr. Wie und wo haben Sie für dieses Buch recherchiert? Welche der zahlreichen Orte der Handlung haben Sie bereist, um vor Ort deren Atmosphäre aufzunehmen?
Tom Hillenbrand: Das war sicherlich die größte Recherche, die ich je gemacht habe. Als Basis dienten mir Dutzende Bücher und Aufsätze und natürlich Originalquellen aus der Zeit, zum Beispiel das Tagebuch von Samuel Pepys. Man muss ja sagen, dass die Periode der Aufklärung in vieler Hinsicht exzellent dokumentiert ist. Sie können sogar nachgucken, was die Türknöpfe in Versailles gekostet haben. Ich war auch noch mal in einigen der Städte, die vorkommen, aber eigentlich bringt das nichts. Metropolen wie London oder Paris haben sich in den vergangenen 300 Jahren so sehr verändert, dass es besser ist, mit Karten und Reiseberichten zu arbeiten. Ich war außerdem in einigen Museen, um mir Bilder von osmanischen Gewändern, Barockkleidern oder Uniformen zu besorgen. Das war ja schon eine hochkomplexe Gesellschaft, und diese Details sind mir sehr wichtig.
Histo-Couch: Wie lange haben Sie insgesamt an diesem Buch gearbeitet? In welchem Verhältnis standen Recherche und Schreiben?
Tom Hillenbrand: Ungefähr acht Monate Recherche, würde ich sagen. Es aufs Papier zu bringen, geht relativ schnell, vielleicht vier Monate. Aber danach kommt noch einmal eine Phase von mehreren Monaten, wo ich das Ganze mit weiteren Details ausschmücke und schaue, dass alles passt. Da liest man diese 500 Seiten dann noch sechs oder sieben mal durch. Irgendwann ist man dem Wahnsinn nahe. Aber anders geht es nicht.
Histo-Couch: Angesichts der breitgefächerten Themenpalette erklären Sie uns doch bitte, wie man – bevor das eigentliche Schreiben beginnt – eine Struktur in die Arbeit bekommt? Der Plot, die Charaktere, die historischen Hintergründe – wo fängt man an?
Tom Hillenbrand: In diesem Fall habe ich mit den historischen Hintergründen angefangen. Man muss ja erst einmal ein Gefühl für die Zeitperiode bekommen und vor allem auch dafür wie die Menschen damals gelebt und gedacht haben. Dummerweise weiß man in der Regel nicht, was man eigentlich sucht. Also heißt es explorativ vorgehen, einfach mal zehn Bücher über die Zeit lesen und schauen was man Interessantes findet. Dann noch mehr Bücher, nun etwas zielgenauer. Erst danach kommen ein grober Plot und Charakterskizzen. Wobei letztere bei mir nur zwei oder drei Zeilen lang sind. Der Rest passiert beim Schreiben. Bei so einem Monsterprojekt ist die Frage oft gar nicht zu sehr, wo man anfängt, sondern wo man aufhört. Mit jedem weiteren Buch das man liest, findet man wieder eine interessante Verästelungen der Mann noch nachgehen könnte. Wichtig ist, dass man einen gut sortierten Zettelkasten hat, damit man die ganzen historischen Details beim Schreiben auf einen Griff wiederfindet. Wobei der Zettelkasten heutzutage natürlich digital ist.
Histo-Couch: Wie dürfen wir uns ihren normalen Arbeitstag vorstellen?
Tom Hillenbrand: In der Schreibphase gegen 8:00 Uhr ins Büro. Dann eine Dreiviertelstunde sinnlose Prokrastination, gefolgt von Schreibarbeit, so bis 12:00 Uhr. Danach gehe ich zum Sport oder mache ein Nickerchen. Am Nachmittag erledige ich vielleicht noch ein paar administrative Arbeiten oder irgendetwas anderes, das den Kopf nicht zu sehr fordert. Es ist ganz wichtig, sich den Tag nicht zu voll zu packen. Denn während man schreibt, läuft im Kopf unterschwellig 24 Stunden ein Programm ab, man denkt über sein Buch nach, und dafür muss genügend Luft bleiben. Ansonsten versuche ich in dieser Phase, mir alle Aufregung vom Leib zu halten. Bloß nichts mit Menschen.
Histo-Couch: Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit Ihrem Verlag Kiepenheuer & Witsch, bei dem alle ihre bisherigen Romane, einschließlich des preisgekrönten „Drohnenland“, erschienen sind?
Tom Hillenbrand: Ich hatte das große Glück, auf Anhieb einen so tollen Verlag zu finden. Kiepenheuer & Witsch hat von Anfang an an mich geglaubt. Und sie lassen einem als Autor allen Freiraum, das machen ja leider nicht alle Verlage. Viele erwarten, dass ein Krimiautor immer nur Krimis abliefert, die Kiwis hingegen sind stets neugierig und offen für andere Ideen und Genres. Und gerade bei diesem Buch merkt man meines Erachtens, mit wieviel Liebe da gearbeitet wird. Ganz toller Einband, farbiges Vorsatzpapier mit historischen Karten – wirklich hinreißend.
Histo-Couch: Die obligatorische Abschlussfrage: Was dürfen wir in Zukunft von Ihnen erwarten? Eine Fortsetzung mit Xavier Kieffer, ein weiteres Sachbuch oder einen weiteren Historischen Roman?
Tom Hillenbrand: Als nächstes schreibe ich den fünften Band der Kieffer-Reihe. Was danach kommt, weiß ich noch nicht genau. Ich versuche, immer nur ans nächste Buch zu denken, nie ans übernächste.
Histo-Couch: Herr Hillenbrand, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg!
Das Interview führte Jörg Kijanski.
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