Emily Walton

„Fitzgerald entführte ein Orchester und versuchte, einen Kellner zu zersägen“

05.2016 Die Histo-Couch im Interview mit Emily Walton über F. Scott Fitzgerald, Hemingway und Posterrollen.

Histo-Couch: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Roman über F. Scott Fitzgerald zu schreiben?

Emily Walton: Seit einigen Jahren beschäftige ich mich bereits mit den 1920ern und mit der amerikanischen Expat-Szene in Paris. F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway haben mich hier besonders fasziniert. Im Laufe der Jahre habe ich mir eine sehr umfassende Privatbibliothek zugelegt. Als Autorin war es dann nur naheliegend, dieses Wissen auch zu verwerten. Bei diesem Buch handelt es sich allerdings nicht um einen Roman. Das Beschriebene ist durch Briefe, Biografien, Artikel und Tagebucheintragungen belegt. Es ist daher ein Sachbuch in literarischer Sprache.

Histo-Couch: Was hat Sie besonders an dem Jahr 1926 gereizt?

Emily Walton: 1926 waren viele Künstler erstmals gemeinsam an der Côte d’Azur: F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway, Dorothy Parker, Pablo Picasso. Darüber hinaus stellte ich während meiner Recherchen fest, dass dieser Sommer in F. Scott Fitzgeralds Leben ein besonderer war. 1926 ist ein Wendepunkt: Der Schriftsteller geht zunächst davon aus, dass 1926 der Beginn einer goldenen Ära für ihn wird. In Wahrheit aber ist dieser Sommer der Beginn eines langsamen, tragischen Abstiegs. Meist widmen sich Biografen jenen Abschnitten, in denen etwas Bemerkenswertes passiert (z.B. die Publikation eines Werks). In diesem Sommer hat Fitzgerald kaum Output – aber unter der Oberfläche, in seinem Inneren, passiert sehr viel.

Histo-Couch: F. Scott Fitzgerald war scheinbar nicht unbedingt ein sympathischer Charakter?

Emily Walton: F. Scott Fitzgerald war – in meinen Augen – keineswegs ein unsympathischer Charakter. Er hat lediglich Zeit seines Lebens mit sich selbst gerungen und sich minderwertig gefühlt. Diese Gefühle haben ihn schon seit seiner Kindheit begleitet, als er in seiner Heimatstadt St. Paul zwar in einer noblen Straße wohnte, allerdings ganz am Ende, dort, wo sie schon etwas heruntergekommen war. Er hat immer den Wunsch gehabt, zu den Reichen und Schönen zu gehören – und hat in seiner Verbissenheit nicht erkannt, dass er schon längst Teil dieser Gesellschaft war. Seine Mitmenschen schätzten ihn als angenehmen Zeitgenossen, wenn er nüchtern war. Unter Alkoholeinfluss verändert sich das Wesen.

Histo-Couch: Ist es möglich, Fitzgerald und Hemingway in ihrer Exzentrik miteinander zu vergleichen?

Emily Walton: Fitzgerald und Hemingway waren zwei unterschiedliche Typen: Hemingway war tough, verbissen, männlich. Fitzgerald hingegen war sentimentaler und auch weniger selbstbewusst. Während Hemingway eisern das Ziel verfolgte, ein großer Schriftsteller zu werden, ist Fitzgerald von eben diesem Ziel immer wieder abgekommen: Partys haben ihn abgelenkt, er lebte mit seiner Frau Zelda auf großem Fuß. Um den Lebensstandard zu erhalten, musste er unterhaltsame, seichte Kurzgeschichten für Zeitschriften schreiben. Das hat ihn abgehalten von seiner Karriere als Romanschriftsteller.

Histo-Couch: Welche Rolle spielte seine Familie in Fitzgeralds Leben?

Emily Walton: Scott und Zelda waren eine „gefährliche“ Mischung. Sie konnten einander keinen Halt geben, wenngleich sie eine sehr innige Liebe verband. Gemeinsam hatten sie eine Tochter, Scottie, die allerdings stets von einem Kindermädchen versorgt wurde, da die Eltern in ihr exzessives Leben verstrickt waren.

Histo-Couch: Was hätte passieren müssen, damit dieser Sommer ein erfolgreicher hätte werden können?

Emily Walton: Fitzgerald hätte jemanden an seiner Seite gebraucht, der ihm Halt gibt. Eine Person wie seine Bekannte Sara Murphy, eine sehr geerdete Frau. Allerdings war es in diesem Sommer schwierig für seine Freunde, wirklich zu ihm durchzudringen. Wäre Ernest Hemingway nicht nach Juan-Les-Pins gekommen (und dort so umschwärmt gewesen), wäre der Sommer vielleicht besser ausgegangen.

Histo-Couch: Wie sind Sie auf den ungewöhnlichen Titel des Buches gekommen?

Emily Walton: Der Monat August stellt den Höhepunkt des Buchs und den Tiefpunkt für Scott in diesem Sommer da. Zu dieser Zeit werden Scotts Exzesse immer ausgefallener, gar gefährlich. Mitunter entführt er ein Orchester und versucht einen Kellner zu zersägen. Der Titel steht stellvertretend für das Entgleisen des Künstlers.

Histo-Couch: Hatten Sie Mitspracherecht beim Cover?

Emily Walton: Ich bin mit dem Cover und der Gestaltung des Buchs sehr zufrieden.

Histo-Couch: Wie sind Sie die Niederschrift des Buches angegangen? Wie lange haben Sie insgesamt dafür gebraucht?

Emily Walton: Der Schwerpunkt der Arbeit lag in der Recherche. Hierzu habe ich mich durch Briefbände, Biografien, Tagebücher und Artikel durchgearbeitet. Ich habe eine Timeline auf Posterrollen erstellt, die mein gesamtes Arbeitszimmer ausgekleidet hat und mir zu jeder Figur Charaktermerkmale und Wesenszüge notiert. Der Schreibprozess ging deutlich schneller voran, da ich schon so in das Thema eingearbeitet war. In der Summe habe ich 1,5 Jahre an diesem Buch gearbeitet.

Histo-Couch: Waren Sie auch selber an der Côte dAzur und haben vor Ort recherchiert?

Emily Walton: Natürlich. Ich war mehrmals vor Ort und habe mich auch mit Einheimischen getroffen, die sich mit dieser Zeit, den 1920ern, auseinandergesetzt haben. Die Villa, in der Fitzgerald damals wohnte, ist heute ein Hotel. Die Inhaberin, die das Hotel in 3. Generation leitet, war etwa eine wichtige Ansprechperson für mich. Ihr Großvater hat das Haus in den späten 1920ern gekauft. Sie hat auch die Enkelin von F. Scott Fitzgerald kennengelernt. 

Histo-Couch: Sie sind in England geboren und haben in Wien studiert. In welcher Sprache denken Sie, in welcher Sprache schreiben Sie?

Emily Walton: Im Alter von acht Jahren bin ich mit meiner Familie nach Österreich gezogen. Ich bin im Salzkammergut und in Salzburg aufgewachsen, später dann zum Studium und für die Arbeit nach Wien gezogen. Meine Schulbildung habe ich auf Deutsch absolviert, somit ist Deutsch meine „Schreibsprache“. Über die Erfahrung des „Umgetopftwerdens“ habe ich in meinem Debütroman  „Mein Leben ist ein Senfglas“ (PROVerbis, 2012) geschrieben.

Histo-Couch: Wären Sie gerne mit dabei gewesen, damals im Sommer 1926? Und wenn auch nur für einen Tag?

Emily Walton: Selbstverständlich. Die Gelegenheit, diese Gruppe an interessanten Menschen kennenzulernen – Fitzgerald, Hemingway, Picasso,  Parker – würde ich mir nicht entgehen lassen.

Das Interview führte Carsten Jaehner.

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