Sabrina Qunaj
„Ich bin generell jemand, der sehr wenige Notizen macht“
07.2016 Die Histo-Couch im Interview mit Sabrina Qunaj über Wales, die walisische Sprache und weitere Bücher.
Histo-Couch: Frau Qunaj, wie sind Sie auf die Geschichte von Nesta gestossen?
Sabrina Qunaj: Nesta hat mich gefunden. Ursprünglich wollte ich eine ganz andere Geschichte schreiben, nämlich die von der Eroberung Irlands. Ich hatte auch schon ein paar hundert Seiten fertig, aber bei den Recherchen zu den Geraldines, die bei Irlands Eroberung eine große Rolle spielten, kam ich immer wieder auf die Gründerin dieser Familie – Nesta. Es war ein unglaublich gutes Gefühl, alles stehen und liegen zu lassen und zum Ursprung zurückzugehen. Die angefangene Geschichte um Irland beendete ich dann später, chronologisch passend zur Familiengeschichte und zu den politischen Ereignissen. Sie wurde als mein dritter historischer Roman veröffentlicht – „Der Ritter der Könige“.
Histo-Couch: Haben Sie selbst persönliche Bezüge zu Wales?
Sabrina Qunaj: Nein, gar keine, nur eine große Liebe zu diesem Land, die mich schon von Kind an begleitet hat. Britische Geschichten wie die von Merlin, Arthur und seiner Tafelrunde haben mich schon immer weitaus mehr begeistert als heimische Märchen. So war es für mich auch besonders spannend, die Entstehung der Merlinsage in meinen „Ritter der Könige“ einzuflechten, da sie zu dieser Zeit durch walisische Legenden entstand.
Histo-Couch: Über die reale Nesta ist streckenweise nicht viel bekannt. Gibt einem das Freiheiten beim Schreiben oder versucht man eher, nichts falsch zu machen?
Sabrina Qunaj: Ich bin ein Perfektionist und für mich sind weniger Informationen eher ein Problem. Denn ich suche solange und verbissen, bis ich doch wieder einen Hinweis in eine bestimmte Richtung finde. Und wenn ein Charakter nur zwei Zeilen lang vorkommt, recherchiere ich seine ganze Lebensgeschichte, um mögliche Fehler auf einem Minimum zu halten. Lücken in der Lebensgeschichte sind für mich mit mehr Arbeit verbunden, wenn ich aber einen Lösungsweg finde, der logisch erscheint und mir das Gefühl gibt, so war es wirklich, ist die Zufriedenheit natürlich größer als bei einem reinen „Abschreiben“ aus der Geschichte.
Histo-Couch: Sprechen Sie walisisch? Können Sie die für unsere zentraleuropäischen Augen ungewohnten Namen richtig aussprechen?
Sabrina Qunaj: Leider spreche ich bis auf ein paar Phrasen kein walisisch, was ich schade finde, denn es ist eine so wunderschöne Sprache, der ich ewig zuhören könnte. Aber zumindest die Namen meiner Charaktere kann ich aussprechen, die habe ich mir mithilfe von Tonaufnahmen und Videos angeeignet, auch konnte ich in Wales beim Besuch der Schauplätze und Burgen die richtige Aussprache hören (wobei es da auch wieder einen Unterschied zwischen Nord- und Südwales gibt).
Histo-Couch: Würden Sie sich zutrauen, selber ein Hörbuch einzulesen?
Sabrina Qunaj: Da bin ich zwiegespalten. Einerseits überlasse ich so etwas lieber den Profis, andererseits ist es für mich immer etwas komisch, Hörbücher meiner Geschichten zu hören, da der Tonfall, die Aussprache, die Art zu reden meiner Charaktere natürlich völlig anders ist als in meinem Kopf. Bisher hatte ich aber das Glück, hervorragende Sprecherinnen zu bekommen, die meine Geschichten zum Leben erweckt haben. Ich bin also mit der Situation, wie sie ist, sehr zufrieden.
Histo-Couch: Damals herrschten strenge Sitten, allerdings scheinen die Waliser freundlichere Gebräuche zu haben als die Normannen und Sachsen. Wie steht es um die Quellenlage für solche Informationen?
Sabrina Qunaj: Die strengeren Gesetze – wie zB. auch für Frauen – bei den Normannen liegen vor allem daran, dass bei den Walisern die römische Kirche noch keinen so großen Einfluss hatte. Das kam erst mit der Eroberung. Die Waliser waren zwar Christen, aber sie waren ihren eigenen keltischen Bräuchen noch treu, Priester heirateten, Scheidungen waren erlaubt und der Aberglaube war noch groß. Die Waliser hielten sich damals an das Gesetz von Hywel Dda aus dem zehnten Jahrhundert, das mir als Quelle große Dienste erwies. Auch Nestas Enkelsohn, der Kleriker Giraldus Cambrensis verfasste Werke über Wales, dessen Bewohner und Gebräuche, was mir sehr nützlich war. Diese zeitgenössischen Quellen schaffen neben den Sachbüchern von Historikern und Besuchen vor Ort ein buntes Bild der damaligen Zeit.
Histo-Couch: Nesta galt als schöne Frau, der vor allem zunächst Henry, erst Königsbruder und später selbst König, verfiel. Warum hat er sie nicht selbst geheiratet, immerhin war sie ja eine Königstochter?
Sabrina Qunaj: Das müssen Sie Henry fragen ;-). Aber seine Wahl hatte schon gute Gründe. Henry war der Sohn von William dem Eroberer, die Lage im Land war so kurz nach dem Sieg der Normannen immer noch instabil, zwischen Angelsachsen und Normannen lag ein tiefer Graben, nicht zuletzt wegen Henrys Bruder, William Rufus, der ein sehr unbeliebter König war. Um seinen Anspruch auf den Thron zu stärken, brauchte Henry die Angelsachsen auf seiner Seite und mit Edith von Schottland (später Matilda) hatte er eine Prinzessin der Angelsachsen und Schotten. Wenn man sich eine Karte ansieht, erkennt man schnell, dass Schottland allein schon um ein Vielfaches größer ist als das kleine Wales. Und Nesta war nur die Tochter eines Fürsten von Wales, da gab es mehrere, ein winziges Fleckchen Land im Vergleich. Ein Bündnis mit den Walisern war wichtig, aber zuerst musste Henry Ruhe ins eigene Land bekommen.
Histo-Couch: Wie behalten Sie bei den sich ständig wechselnden politischen Verhältnissen im Roman den Überblick, wer gerade auf wessen Seite mit wem gegen wen kämpft?
Sabrina Qunaj: Das behalte ich mir sehr gut im Kopf, ich bin generell jemand, der sehr wenige Notizen macht. Wenn ich mal in einer Geschichte, einer Zeit bin, dann bin ich dort Zuhause und all die Seitenwechsel und Verwicklungen erscheinen mir ganz logisch.
Histo-Couch: Wie lange haben Sie an Die Tochter des letzten Königs gearbeitet? Und insgesamt an den anderen beiden Büchern dazu?
Sabrina Qunaj: Nesta war eigentlich ziemlich schnell fertig, ich habe ungefähr ein halbes Jahr an reiner Schreibzeit gebraucht. Das lag aber daran, dass ich schon sehr viel Vorarbeit im Bereich der Recherche für meine erste Idee erledigt hatte. Auch war Nesta etwas ganz Besonderes für mich. Sie schrieb sich eigentlich von selbst und die Geschichte floss nur so aus mir heraus. Meine Lektorin und ich haben dann im Verlauf mehrerer Monate noch Einiges am Manuskript verändert bzw. stark ausgebaut (200 Seiten kamen noch hinzu). Das war eine Freude, da ich für eine überschaubare Seitenzahl vieles weggelassen hatte, das ich dann doch noch einflechten durfte. Für die anderen beiden Romane habe ich durchschnittlich ca. je ein Jahr gebraucht, vor allem, da die Recherche dann auch wieder ein bisschen in eine andere Richtung ging.
Histo-Couch: War Ihnen von Anfang an klar, dass es drei Bücher werden würden? Oder kommen sogar noch mehr?
Sabrina Qunaj: Wie viele Bücher es werden, weiß ich noch gar nicht, es folgt aber definitiv ein vierter Band. Danach könnte ich mir vorstellen, die Geraldines ruhen zu lassen und mich einer anderen historischen Familie – ebenfalls wieder in Wales – zu widmen. Konkrete Ideen hätte ich zumindest schon.
Histo-Couch: Wie bekommen Sie die Schriftstellerei und die Familie unter einen Hut?
Sabrina Qunaj: Indem ich flexibel bin. Ich nehme jeden Moment so, wie er kommt, schreibe, wann immer sich die Gelegenheit bietet, auch wenn es nur zehn Minuten sind. Grundsätzlich versuche ich vormittags ein wenig zu schaffen, wenn die Kinder im Kindergarten und in der Schule sind. Abends ergibt sich auch ein Zeitfenster und zwischendurch kann ich mich auch oft auf meinen Mann verlassen.
Histo-Couch: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, einen Tag an Nestas Seite verbringen zu können, würden Sie das tun, und was würden Sie gerne mit ihr erleben?
Sabrina Qunaj: So risikofreudig bin ich im wahren Leben nicht, daher würde ich es nur mit Sicherheits-Garantie tun. Dabei fällt es mir schwer, mich zwischen einem Tag bei Hofe und einem in Carew Castle zu entscheiden. Es gibt so viele Persönlichkeiten, die ich gerne treffen und so viele Orte, die ich in der damaligen Zeit besuchen möchte. Nestas Zeit in Carew zu erzählen, dieses Atemholen zwischen so vielen Intrigen und Tiefschlägen, empfand ich aber als etwas ganz Besonderes, daher nehme ich jetzt trotz der geringeren Spannung im Vergleich zum Hof doch die Idylle.
Histo-Couch: Steckt etwas von Sabrina Qunaj in Nesta oder in irgendjemand anderem?
Sabrina Qunaj: Nesta habe ich mich sehr nahe gefühlt, schon bei den Recherchen zu ihrer Figur. Ich denke, jeder meiner Charaktere hat etwas von mir, aber Nesta bin ich definitiv am ähnlichsten. Ihre Naivität zu Beginn des Romans, die Suche nach Anschluss und Geborgenheit konnte ich gut nachfühlen, genauso ihren Gerechtigkeitssinn und ihr Bedürfnis nach Frieden und Harmonie. Meine Kinder sind mir das Wichtigste auf der Welt, auch das habe ich mit Nesta gemeinsam und auch ich musste wachsen, stärker werden, von einem schüchternen Kätzchen zu einer Löwin werden, die die Familie über alles stellt.
Histo-Couch: Wieviel Zeit haben Sie zu Recherchen in Wales verbracht?
Sabrina Qunaj: Ich war in zwei aufeinanderfolgenden Jahren für je eine Woche dort. Dabei habe ich für verschiedene Romane recherchiert, im ersten Jahr mit meiner Stiefschwester und einer Freundin, im zweiten mit meinem Mann und meinen Kindern.
Histo-Couch: Vor Ihren drei Geraldine-Romanen habe Sie Fantasy-Romane und Jugendbücher geschrieben. Warum der Wechsel? Was sind Ihre künftigen Schreibpläne, wenn Sie sie denn verraten dürfen?
Sabrina Qunaj: Ich schreibe das, was ich gerne lese, und historische Romane haben mich schon immer fasziniert. Nur traute ich mir lange nicht zu, einen solchen Roman zu schreiben. Meine Agentur ermutigte mich dann aber in dem Vorhaben und irgendwann fühlte ich mich bereit.
Ein weiteres Genre, das ich im Moment ausprobiere, sind gefühlvolle Frauenromane, allerdings unter dem Pseudonym Ella Simon. Mein Debüt „Ein Gefühl wie warmer Sommerregen“ erscheint jetzt im Juli und spielt auch wieder in Wales, nur dieses Mal in der Gegenwart.
Histo-Couch: Eine Frage, sie sich bestimmt viele Leser stellen und die Sie bestimmt schon oft beantworten mussten: Woher stammt ihr doch für den deutschsprachigen Raum ungewöhnlicher Nachname?
Sabrina Qunaj: Hierzu gibt es leider keine besonders spannende Geschichte. Es ist der Name meines Mannes, der ursprünglich aus dem Kosovo stammt.
Das Interview führte Carsten Jaehner.
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