Mechtild Borrmann

„Meine Formel heißt: Überarbeiten!“

11.2016 Die Histo-Couch im Interview mit Mechtild Borrmann über Zeitensprünge, Schreibstrukturen und Große Politische Ereignisse.

Histo-Couch: Sehr geehrte Frau Borrmann, stellen Sie sich doch bitte zunächst unseren Leserinnen und Lesern kurz vor.

Mechtild Borrmann: Ich habe meine Kindheit und Jugend am Niederrhein verbracht und lebe seit dreißig Jahren in Bielefeld. Hier habe ich lange im pädagogischen Bereich gearbeitet und nach einer Auszeit (18 Monaten auf Korsika) bin ich in die Gastronomie gewechselt. Zuletzt habe ich ein Restaurant in der Altstadt geführt. Seit 2010 arbeite ich als freie Schriftstellerin.

Histo-Couch: „Sie hat es schon wieder getan“, möchte man angesichts Ihres aktuellen Romans „Trümmerkind“ ausrufen. Erneut gibt es eine Zeitreise in die dunklen Jahre des Dritten Reichs, hier konkret in die Uckermark unmittelbar vor Kriegsende. Dann geht es in den Kältewinter des Jahres 1947 in Hamburg und nicht zuletzt in der „Gegenwart“ – wohlgemerkt im Jahr 1992 – nach Köln. Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Plot und was reizte Sie an den genannten Handlungsorten?

Mechtild Borrmann: Ich bin – während einer Recherche zu einer anderen Geschichte – auf mehrere Mordfälle in Hamburg im Jahr 1947 gestoßen. Die Opfer konnten nie identifiziert werden und die Frage, wer diese Menschen gewesen sind, hat mich nicht mehr losgelassen. Ich wollte ihnen eine Identität geben, wenn auch nur eine fiktive. Den zweiten Erzählstrang in das Jahr 1992 zu legen, ist dem Mauerfall 1989 geschuldet. Ab 1990 konnte man ehemaligen Besitz in der DDR zurückfordern, bzw. eine Entschädigung einfordern. Die Uckermark habe ich gewählt, weil ich mehrmals dort war und Freunde habe, die von einer Rückforderung betroffen waren.

Histo-Couch: 1945 – Die Russen stehen quasi schon vor der Haustür. 1947 – Hamburg ist zerstört und der Winter brutal. 1992 – Eine Frau erfährt stückweise ihre wahre Herkunft und eine andere verdrängt diese vorbildlich. Wo und wie haben Sie recherchiert? Gab es reale Personen, an deren Erlebnissen Sie sich orientiert haben?

Mechtild Borrmann: Zunächst habe ich mich ausgiebig mit den Polizeiakten zu den Mordfällen beschäftigt. Dann habe ich mit Zeitzeugen in Hamburg und der Uckermark gesprochen und natürlich alles gelesen, was ich zum Alltagsleben in den beschriebenen Zeiten finden konnte.

Histo-Couch: Wie lange haben Sie insgesamt an diesem Buch gearbeitet und in welchem Verhältnis standen Recherche und Schreiben?

Mechtild Borrmann: Ich habe ungefähr zwei Jahre an dem Buch gearbeitet. Davon war das erste Jahr Recherchearbeit. Wenn ich dann mit dem Schreiben beginne ist es oft so, dass sich im Schreibprozess neue Fragen ergeben, sodass auch in dieser Zeit immer wieder Recherchearbeiten anfallen.

Histo-Couch: Angesichts der breitgefächerten Themenpalette erklären Sie uns doch bitte, wie man bevor das eigentliche Schreiben beginnt eine Struktur in die Arbeit bekommt? Der Plot, die Charaktere, die historischen Hintergründe wo fängt man an?

Mechtild Borrmann: In „Trümmerkind“ bin ich von den Ereignissen im Winter 1947 ausgegangen. Schon während der Recherche ergeben sich immer neue Aspekte, Puzzleteile die zunächst nur ausgebreitet daliegen. Die anderen Zeitebenen ergeben sich, wenn ich weiß aus welchen Perspektiven ich die Geschichte erzählen will. Dann entwickle die Figuren, schreibe ihnen Lebensläufe und entscheide, welchen Platz sie im Verlauf des Romans bekommen. Im dritten Schritt lege ich die Aufteilung der Kapitel fest, also was erzähle ich wann. Diese Aufteilung verlasse ich während des Schreibens allerdings oft, weil die Charaktere sich entwickeln und andere Wege gehen.

Histo-Couch: Wie darf man sich den Arbeitsalltag der Autorin Mechthild Borrmann vorstellen?

Mechtild Borrmann: In der Vorbereitung bin ich viel unterwegs, lese viel und es gibt keine feste Struktur. Ähnlich wie der Roman selbst, ist alles noch in Unordnung und ich sortiere, verwerfe, habe immer wieder neue Fragen und bemühe mich, sie zu klären. Wenn ich mit dem Schreiben beginne ist mein Tag fest eingeteilt. Morgens schreibe ich von 8.00 Uhr bis Mittag. Danach beschäftige ich mich mit alltäglichen Dingen. Haushalt, Emails beantworten, spazieren gehen oder Freunde treffen. Ab 16.00 Uhr geht es dann zurück an den Schreibtisch. Manchmal sind es zwei Stunden, aber manchmal geht es auch bis in die Nacht. Es gibt allerdings auch Zeiten, da geht es nicht voran. Dann brauche ich Abstand und beschäftige mich zwei oder drei Tage mit anderen Dingen.

Histo-Couch: Sie schaffen es in „Trümmerkind“ einmal mehr, verschiedene Erzählstränge aus mitunter unterschiedlichen Perspektiven und einer komplexen Thematik auf beeindruckend wenigen Seiten unterzubringen. Nicht wenige AutorenInnen würden dafür mindestens den doppelten bis dreifachen Umfang benötigen. Gibt es eine „Erfolgsformel“, wie man sich von unnötigem Ballast befreit, um einen derart kompakten Plot auf gleichzeitig sehr hohem Niveau umzusetzen?

Mechtild Borrmann: Meine Formel heißt: Überarbeiten! Überarbeiten mit der Frage im Hinterkopf, was ist wichtig für die Geschichte. Wenn ich mich am nächsten Tag an den Schreibtisch setze, lese ich zunächst den Text vom Vortag und überarbeite ihn. Manchmal bleiben dann von fünf Seiten nur drei übrig. 

Histo-Couch: Tragische Figuren gibt es in „Trümmerkind“ reichlich. Eine Familie hat Angst vor der Roten Armee, eine andere Angst vor dem Verhungern, zwei weitere Personen stellen sich die Frage nach ihrer Identität, die jahrzehntelang eine andere war. Doch dann gibt es eine Figur, die an den Gräueltaten der Nazis unmittelbar beteiligt war, dies aber bis hin zur Selbstverleugnung ausblendet. Man kann die Schicksale natürlich nicht vergleichen, aber haben Sie einen Favoriten bezüglich des größten Mitleids? 

Mechtild Borrmann: Ich glaube, dass man die unterschiedlichen Schicksale nicht gegeneinander aufwiegen kann. Aber ich habe meine stillen Helden in der Geschichte. Und das sind Clara Anquist, Hanno und Agnes Dietz.

Histo-Couch: Das Grauen hält schleichend Einzug in das Leben der zahlreichen Figuren, die vom großen Weltgeschehen direkt betroffen sind. Ein wiederkehrendes Motiv in Ihren Romanen. Was fasziniert Sie daran?

Mechtild Borrmann: Große politische Ereignisse lernen wir in der Schule anhand von Daten und Fakten kennen. Mich interessiert, welchen Einfluss sie auf das Leben einfacher Menschen hatte und welche Auswirkungen sie bis heute haben.

Histo-Couch: Wenn man das aktuelle politische Geschehen in Deutschland betrachtet, kann man sich des Eindrucks nicht entziehen, dass sich an einigen Orten der Spruch bewahrheitet, wonach die „Geschichte der beste Lehrmeister mit den dümmsten Schülern“ ist. Sehen Sie sich als „politische Autorin“ oder als „Stimme gegen das Vergessen“?

Mechtild Borrmann: In erster Linie wohl als „Stimme gegen das Vergessen“ und vielleicht ist man damit auch eine politische Autorin. Vielleicht sind Jahreszahlen und Fakten zu abstrakt um zu begreifen, welche Verheerungen das Dritte Reich angerichtet hat, und unter welchen Entbehrungen dieses Land wieder aufgebaut wurde. Ich hoffe, dass ich mit den Alltagsbeschreibungen aus jener Zeit die damaligen Lebensumstände deutlich machen kann. Die, die Nazizeit glorifizieren, haben sich offensichtlich nicht damit beschäftigt.  

Histo-Couch: Die obligatorische Abschlussfrage: Ist bereits ein neuer Roman in Vorbereitung und worum geht es darin? Etwa eine weitere Zeitreise?

Mechtild Borrmann: Es gibt eine Idee und erste Recherchen, aber wohin das führt &. Ich weiß es noch nicht.

Histo-Couch: Frau Borrmann, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg!

Das Interview führte Jörg Kijanski.

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