Amazonentochter
- Lübbe
- Erschienen: Januar 2008
- 17
- Lübbe, 2008, Titel: 'Amazonentochter', Originalausgabe
Dieser Roman hat mehr Beachtung verdient!
Kurzgefasst:
Kleinasien im 13. Jahrhundert v. Chr. - ein Handelstrupp wird von einer Horde wilder, kriegerischer Frauen überfallen: Amazonen. Die kleine Selina überlebt den Überfall. Sie wächst als Tochter der Königin des Stammes auf und lernt zu jagen, zu kämpfen und ihre Freiheit zu verteidigen. Als sie mit sechzehn ihre erste Reise unternimmt, wird sie vom Prinzen des großen Königreichs Hatti entführt und nach Hattusa verschleppt. Bisher gab es in ihrer Welt nur zwei Arten von Männern: Sklaven und Knechte. Nun wandelt sich ihr Weltbild, als ihr in Hattusa der ägyptische Gesandte Pairy begegnet ...
Amazonen - ein sagenumwobenes Volk von Frauen, das auch heute noch die Menschheit bewegt. Allein die Herkunft des Begriffes birgt viele Rätsel, die unsere moderne Wissenschaft noch nicht zu lösen vermochte - ganz abgesehen von ihrer Existenz. Gab es sie wirklich? Wie haben sie gelebt? Haben sie sich wirklich die linke Brust ausgebrannt, damit sie ihre Bögen besser spannen konnten, unterdrückten sie tatsächlich ihre Männer und zogen selbst in den Krieg? So viele Fragen, so wenige Antworten. Doch nach dem Genuss von Birgit Fiolkas ";Amazonentochter" ist sich der Leser sicher: Ja, es gab sie wirklich!
So viele Abenteuer ...
Selina wächst in dem Amazonendorf Lykastia als Tochter der Königin Penthesilea auf, obwohl sie eigentlich ein Findelkind ist. Zusammen mit ihrer besten Freundin Palla - die (leibliche) Tochter der zweiten Königin der Amazonen, Lampedos - verlebt sie eine wunderbare Kindheit und Jugend. Doch je älter die Mädchen werden, desto größer werden die Unterschiede zwischen ihnen. Palla besitzt als Tochter der Königin der Kriegerinnen und Jägerinnen eine sehr kämpferische Natur, fühlt sich nur in der Schlacht wirklich mächtig. Selina hingegen, die die Tochter der Königin der Stadträte und Gerechtigkeit ist, hat gelernt, schwierigen Situationen nicht mit dem Schwert, sondern mit Worten zu begegnen.
Eines Tages macht sich eine Gruppe der Frauen auf nach Hattusa, einer großen Stadt im heutigen Anatolien, um den jährlichen Einkauf zu erledigen. Unglücklicherweise trifft Selina auf den Prinzen Hattusas, Tudhalija, dem sie bei seinem groben Annäherungsversuch die Nase bricht. Darüber weniger erfreut, lässt er Selina festnehmen und in seinen Harem bringen - fortan beginnt für Selina ein völlig unbekanntes Leben am Hofe Hattusas, wo die Tawananna, die Königin, sie aus dem Harem befreit und sich ihrer annimmt.
Im Laufe des Buches erlebt Selina Abenteuer, die eigentlich mehr als ein Leben ausfüllen würden und trifft auch immer wieder auf ihre einstige beste Freundin Palla, die eine starke Wandlung durchmacht. Die Bekanntschaft mit dem ägyptischen Gesandten Pairy, von der im Klappentext die Rede ist, ist noch längst nicht das Ende ... Selina kämpft sogar im Trojanischen Krieg (der mit dem Holzpferd, Sie wissen schon) und letztlich führt sie ihr Weg nach Ägypten, wo sie den berühmten Pharao Ramses II. kennenlernt ...
Amazonen: erfrischend anders!
Nach mehrjähriger Schreibpause wartet Birgit Fiolka mit ";Amazonentochter" mit einer erfrischend neuen Thematik auf, die in anderen historischen Romanen bisher höchstens beiläufig Erwähnung fand. Dabei hat sich die Autorin, 1974 in Duisburg geboren, eigentlich ganz dem Alten Ägypten verschrieben, im wahrsten Sinne des Wortes. Wer sich nun die Frage stellt, wie Amazonen und Ägypten zusammenpassen, dem sei erklärt: Der Fluss Thermodon, an dem ein Amazonenvolk gelebt haben soll, existiert tatsächlich und liegt im Norden der Türkei (Terme Çay). Was liegt also näher als einen Mythos und die persönliche Vorliebe für das Land der Pharaonen zu verbinden?
Doch nicht nur in geografischer Hinsicht übernimmt ";Amazonentochter" die Funktion eines Außenseiters im derzeitigen Angebot historischer Romane. Auch in puncto Charakterzeichnung kann Fiolka überzeugen: Ihre Hauptperson, die Amazone Selina, hat andere Sachen im Kopf als all die deutschen Mägde und die englischen Ladies in den Mittelalterromanen. Zugegeben, dafür spielt ";Amazonentochter" auch nicht im Mittelalter. Trotzdem hat Selina als Amazone, die unter Frauen aufgewachsen ist und Männer nur als Sklaven oder ";Fortpflanzungsbeihelfer" kennt, einen komplett anderen persönlichen Hintergrund: Sie muss erst lernen, sich in der von Männern dominierten Welt zurecht zu finden, obwohl sie ganz anders aufgewachsen ist, andere Maßstäbe für Recht und Ordnung kennt. Dadurch kommt insbesondere wohl den Leserinnen manch ein Schmunzler über die Lippen, wenn Selina mal wieder in Gedanken über die Einfältigkeit von Männern im Allgemeinen und Besonderen lächelt ... dies geschieht jedoch, wahrscheinlich um der Abschreckung der männlichen Leserschaft vorzubeugen, nicht allzu häufig.
Hin- und hergerissen zwischen den Welten
Selina, als Amazone geboren, jedoch jahrelang in Hattusa festgehalten, schließlich Kämpferin im Trojanischen Krieg und letztlich zugezogene Ägypterin, ist zwischen all den Erlebnissen, Orten und Menschen, die sie in ihrem Leben kennen gelernt hat, hin- und hergerissen. Die Suche nach ihrer eigenen Identität und die Bewahrung ihrer Wurzeln beschäftigt sie ständig. Dies ist einerseits ein spannender Aspekt, kann allerdings über 700 Seiten irgendwann nerven.
Überhaupt ist dieses Taschenbuch mit 700 Seiten recht üppig ausgefallen. Verständlich ist die Entscheidung des Verlags, nicht gleich ein Hardcover einer Autorin zu produzieren, die seit Jahren nichts veröffentlicht hat - und doch hätte die Geschichte eine schönere , handlichere Aufmachung verdient! Zumal sich 700 Seiten auch in der U-Bahn oder im Bus nicht allzu gut machen.
Bedenken Sie aber bitte die Tatsache, dass man endlich "hautnah dabei sein kann", wenn die Soldaten des Nachts aus dem Trojanischen Pferd steigen und auch, dass "Amazonentochter" es möglich macht, einen der bedeutendsten Pharaonen, Ramses II., fast wie persönlich zu treffen - denn so sind die 700 Seiten wieder gerechtfertigt. Neben Ramses II. macht es aber auch die Story rund um den Trojanischen Krieg möglich, berüchtigte Personen wie den Heerführer Achilles (von dem ich persönlich gern mehr gelesen hätte ...) und die Seherin Kassandra kennen zu lernen.
So viele Namen ... Pairy, Sauskanu, Benti, Ramses, Hattusili, Tudhalija
Besonders spannend an der ";Amazonentochter" ist, dass zwar viele Namen, Personen und Orte auftauchen - dass diese aber vor dem inneren Auge entstehen. Personen werden von Fiolka so brillant mit bestimmten Äußerlichkeiten oder Eigenschaften ausgestattet, dass sie über die kompletten 700 Seiten im Gedächtnis des Lesers haften bleiben, auch falls man mal eine längere Lesepause einlegt. Orten werden Gerüche und Stimmungen mit hohem Wiedererkennungswert beigegeben, die eine gedankliche Reise nach Hattusa, Troja und Ägypten für den Leser möglich machen.
Genug geschwärmt: Insgesamt endlich mal wieder ein historischer Roman, der sich aus der Masse abhebt und auch Vielleser des Genres begeistern kann! Das Taschenbuch ist auch für kleine Budgets geeignet und wartet mit einer Fülle von Personen, Orten und Eindrücken au f, die hervorragend verarbeitet wurden und nur darauf warten, die Leser mit auf eine Reise zu nehmen, angefangen im heutigen Anatolien über Troja und Ägypten.
Birgit Fiolka, Lübbe
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