Das Jagdhaus
- dtv
- Erschienen: Januar 2005
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- dtv, 2005, Titel: 'Das Jagdhaus', Originalausgabe
Hitlers Lieblingsstadt im Focus der Zeitgeschichte
Kurzgefasst:
Linz im Jahre 1939, ein herrlicher Spätsommertag. Das Sonnenlicht, das durch die Blätter der Kastanien auf die Spaziergänger fällt, betupft den Bürgersteig mit leuchtenden Kringeln. Welch Friede, denkt Antonia, und blickt glücklich auf zu ihrem Mann, der beschützend seinen arm um ihre Schultern gelegt hat. Im Hause Bellago feiert man Taufe. Antonia hat dem angesehenen Rechtsanwalt Ferdinand Bellago zum zweiten Mal eine Tochter geschenkt. Doch das Fest belibt nicht ungetrübt. Als sich die engste Familie nach dem Spaziergang am Tisch versammelt, gibt Antonias Vater einen Entschluß bekannt, der ihm nicht leicht gefallen sein dürfte: Als unbestechlicher Hochschullehrer in Wien fühlt er sich von den nationalsozialisten bedroht, weshalb er mit seiner Frau nach Italien emigrieren will, bevor es dafür zu spät ist. Antonia ist bestürzt. Schlagartig wird ihr bewußt, daß die Welt um sie herum ins Wanken geraten ist.
Die Zukunft wird sie allein meistern müssen, mit zwei Kindern und einem Mann, der als Rechtsanwalt den Nazis kaum ausweichen kann. Sie schwört sich, alles für den Zusammenhalt ihrer kleinen Familie zu tun. Eins allerdings weiß Antonia nicht: Ihr Mann hat noch eine dritte Tochter, die einer frühen Jugendliebe entsprang. Sie heißt Marie...
Mit Das Bücherzimmer gelang es Rosemarie Marschner, die Entwicklung der Stadt Linz in der Nazi-Zeit aus einem sehr selten festgehaltenen Blickwinkel zu sehen. Beschrieb die Autorin im Bücherzimmer noch das leise Wachsen und Zuströmen in Richtung Deutschland und seiner braunen Machtinhaber, so zeigt sie mit dem Folgeband Das Jagdhaus, was der Zweite Weltkrieg für Linz und seine Bewohner bedeutete.
Linz sollte Hilter als Altersruhesitz dienen, weshalb er mit der damaligen Provinzstadt Großes vorhatte. Was dies auch für die Bevölkerung hieß und wie diese mit den Umbrüchen zurechtkamen, hat Marschner mit diesem Buch eingefangen.
Ist dieses Buch auch der zweite Teil des Bücherzimmers, so ist es keine Grundvoraussetzung diesen zu lesen, wenngleich dies sicher nahezulegen ist, da sich einem so manche Begebenheit schneller erschließen wird.
Die nächste Generation
Nicht Marie Zweisam steht im Mittelpunkt dieses Buches, sondern die Frau ihres Vaters, Antonia. Antonia Bellago liebt ihren um einige Jahre älteren Mann, lebt mit ihm und ihren beiden Kindern im Haus der Schwiegereltern und führt ein angenehmes und glückliches Leben. Getrübt ist alles aber durch die nicht zu übersehenden Umbrüche, die der Krieg mit sich bringt. So müssen ihre Eltern aus Wien flüchten und letztendlich wird auch noch ihr Mann an die Front berufen.
Sprachlich gleichbleibend hohes Niveau
Wie schon im ersten Band fesselt Rosemarie Marschner den Leser durch sprachliche Qualität und einem leisen, aber sehr eindringlichen Erzählstil. Die Autorin besticht durch psychologisch geschickt gesetzte Akzente die Intensität ihrer Erzählung, weckt so ein immenses Identifizieren beim Leser mit den Figuren, was die im Grunde so einfach wirkende Geschichte so glaubhaft und authentisch macht. Die Greuel der damaligen Zeit müssen bei Marschner nicht beim Namen genannt werden, um dem Leser das ganze Ausmaß des Krieges zu verdeutlichen.
So leicht wirkt Marschners Erzählweise, wie so nebenbei in einem Gespräch erwähnt und doch weiß man, dass diese Schlichtheit trügt, denn die Kraft, die in dieser Einfachheit steckt, ist mit jedem Wort, jedem Satz und jeder Seite spürbar. Das Leben der gehobenen Mittelschicht ist es, wohin einen die Autorin entführt, um wie in einem Film die wichtigen Kleinigkeiten in der Totalen sichtbar zu machen. Cineastische Einblicke sind es, die das Leben von Antonia und ihrer Familie wiedergeben.
Eine einzige Schwäche allerdings muss sich Marschner in diesem Buch eingestehen. Ein geflügeltes Wort in diesem Roman ist "erschrak". Ihre Figuren erschrecken auffällig oft, wenn sie einen unerwartet großen Raum betreten, einen mächtigen Herd sehen oder jemand unerwartet kommt. Vielleicht sticht dies auch aus diesem Grund hervor, weil Marschner ansonsten so ausgefeilt und auch ausgereift schreibt. Wenngleich der aufmerksame Leser auch darüber stolpert, ein wirkliches Manko ist dies dennoch nicht.
Wunderbare, lebendige Figuren
Wer den ersten Band kennt, wird vielen Bekannten wieder begegnen, was ein ganz besonderes Erlebnis ist, ist man der Protagonistin im Wissen doch um einiges voraus. Figuren gibt es mehr als genug, aber niemals besteht die Gefahr, dass man den Figuren deren Rolle nicht zuordnen kann oder gar vergisst, wer der eine oder andere ist. So lernt man Antonias Schwiegereltern kennen, die - noch ganz die alte Schule - hohen Wert auf Herkunft und Bildung legen und letztendlich auch verantwortlich sind für das Schicksal von Marie Zweisams Mutter. Wie dieses alternde Ehepaar jedoch zueinander steht, zeigt sich erst, als der Krieg die Familie auseinanderreißt. Antonias Bruder Peter zudem ist ein junger Mann, der seine Eltern zu hassen versucht und in Wirklichkeit und zu tiefst verletzt ist.
Und dann sind da noch das jüngere Ehepaar Bellago, Antonia und Thomas, die eine innige Liebe verbindet und deren Stärke auf eine harte Probe gestellt wird.
Viel Zeitpolitik
Hat ein Leser wenig bis gar kein Interesse an der Politik der damaligen Zeit, wird er sich mit diesem Buch etwas schwer tun. Marschner hat den Focus nicht nur auf ihre Figuren, sondern ziemlich gleichwertig auch auf das Zeitgeschehen gelegt. So erfährt man viel über die politischen Hintergründe und Beweggründe, über das harte Leben durch Lebensmittelrationierung, Fehlen von Brennholz und die bedrückende Armut der ohnehin schon schlechter gestellten Gesellschaft. Die Autorin gewährt so authentische Einblicke, als hätte sie selbst die Zeit erlebt.
Sehr deutlich tritt zutage, dass es in Österreich doch nicht so war wie man so gerne erzählt, dass man praktisch einfach dem Deutschen Reich angeschlossen wurde und gar nicht anders konnte. Zu gerne wurde vergessen, dass man sich blenden ließ von einem Fanatiker der sich als einer der ihren darstellte und es letztendlich zu spät war, als man das ganze Ausmaß erfasste.
Ein eindringliches und intensives Buch, das leider viel zu wenig bekannt ist. Überhaupt möchte man der Autorin wünschen, das ihr Bekanntheitsgrad mehr gefördert wird, denn verdient hat sie dies mit ihren wirklich hervorragenden Werken allemal.
Rosemarie Marschner, dtv
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