Der verborgene Brunnen
- Piper
- Erschienen: Januar 2008
- 6
- Piper, 2008, Titel: 'Der verborgene Brunnen', Originalausgabe
Eine berührende Story mit Potential - aber leider auch einigen Schwächen
Kurzgefasst:
Ende des 10. Jahrhunderts in Südfrankreich: Nachdem aus der geplanten Hochzeit mit dem alten Witwer nichts geworden ist, kauft sich die junge Kassia, eine sarazenische Schönheit, von ihrer Mitgift ein Häuschen mit etwas Land. Doch die Sommerhitze trocknet den Boden aus. Auch der örtliche Quellenmeister kann ihr nicht helfen bis dessen Sohn Ramon einen verschütteten Brunnen auf Kassias Land entdeckt. Beim Graben stoßen die beiden jungen Leute auf ein Skelett. Wer ist der Tote? Und warum wollen die Leute im Dorf nichts davon wissen?
Kassia kommt als Braut in ein kleines Bergdorf in der Provence. Die junge Frau soll dort einen Witwer heiraten. Für Kassia ein Glück, denn sie wurde als Baby - halb Christin, halb Sarazenin - einst vor den Pforten eines Klosters gefunden und von den Schwestern aufgezogen. Doch es kommt nicht zur Heirat, und so beschließt die 16-jährige Kassia, sich von ihrer Mitgift im Dorf ein kleines Anwesen zu kaufen. Das wird von einigen Dorfbewohnern - vor allem aber den Dorfbewohnerinnen - nicht gerne gesehen, geht doch von der exotischen Schönheit ihrer Meinung nach eine Gefahr für die Ehemänner aus. Kassia muss sich in der Folge nicht nur mit den Widrigkeiten der Natur auseinander setzen, sondern sieht sich auch massiven Anfeindungen gegenüber. Trotzdem versucht sie, sich als Bäuerin auf dem abgelegenen Anwesen zu behaupten. Als in einem alten Brunnen auf ihrem Grundstück ein Skelett entdeckt wird, erwacht Kassias Neugier - doch sie sieht sich einer Mauer des Schweigens gegenüber.
Zu dick aufgetragen
Kassia wird als eine junge, temperamentvolle Frau präsentiert, die sich mehr oder weniger klaglos allen Widrigkeiten stellt. Und genau hier offenbart sich eine der größten Schwächen dieses an sich sehr gefühlvollen und tiefgründigen Romans. Die verschiedenen Charaktereigenschaften, die Kassia auf sich vereint, machen sie zu einem wahren "Übermenschen" - oder zu einer unglaubwürdigen Protagonistin. Denn selbst ein sanftmütiges Ding ohne jeden schlechten Gedanken wäre wohl kaum in der Lage, einer Frau, die durch böswillige Sabotage ihre Lebensgrundlage für die nächsten Monate vernichtet hat, mit Mitgefühl und Empathie entgegen zu treten und auch noch zu versuchen, ihr zu helfen. Da die Autorin immer mal wieder betont, welch heißes Temperament in Kassia tatsächlich wohnt, ist eine solche Reaktion absolut nicht nachvollziehbar. Grundsätzlich folgt der Plot einer an manchen Stellen etwas gar lieblichen Liebesgeschichte - was leider die ganz starken Seiten des Romans etwas in den Hintergrund drängt.
Wasser als Lebensgrundlage
Sehr schön hat Sabrina Capitani den Kampf der Menschen in diesem kleinen Dorf ums tägliche Brot eingefangen. Mit großer Empathie beschreibt die Autorin, wie sich die Dorfgemeinschaft mit wenig Wasser und einigen Entbehrungen durchschlägt. Diese Schilderungen, sowie die starken Bilder der Landschaft, die Sabrina Capitani dank ihrem professionellen Umgang mit der Sprache in den Köpfen der Leser entstehen lassen kann, sind die eigentlichen Juwelen des Romans. Sie alleine heben sich von der Masse der Liebesgeschichten mit historischem Hintergrund ab und machen Der verborgene Brunnen zu einem Leseerlebnis. Die Not der Menschen wird ebenso greifbar, wie das Gefüge in der Dorfgemeinschaft, das nicht nur von positivem Miteinander geprägt ist.
Ambivalente Gefühle
So lässt der Roman den Leser letztlich mit ambivalenten Gefühlen zurück. Zwar kann sich kaum jemand den berührenden Seiten der Liebesgeschichte(n) entziehen, doch macht genau dieser Teil des Romans den Zauber, den die Autorin in die Geschichte eingeflochten hat, zunichte. Es bleibt das Gefühl, dass Sabrina Capitani mit einer etwas zurückhaltenderen Charakterisierung Kassias und einem - vor allem in der Auflösung zum Schluss - etwas weniger plumpen Plot eine wirklich überragende und sprachlich feine Geschichte vorgelegt hätte.
Sabrina Capitani, Piper
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