Die Königin der Seidenstraße
- Piper
- Erschienen: Januar 2008
- 3
- Piper, 2008, Titel: 'Die Königin der Seidenstraße', Originalausgabe
Farbenprächtiges Orientgemälde
Kurzgefasst:
Mit ihrem betörenden Gesang verdreht sie den mächtigsten Männern den Kopf und wird zur einflussreichsten Frau Bagdads. Doch bevor Arib, einst die berühmteste Sängerin und Kurtisane des Orients, auf dem Höhepunkt ihrer Macht anlangt, liegt ein schwerer Weg vor ihr: Als Einzige entkommt sie im Jahr 803 dem grausamen Blutbad, bei dem auf Geheiß des Kalifen Harun ar-Raschid ihre gesamte Familie ausgelöscht wird. Als Junge verkleidet flieht sie durch die weiten Steppen Khorasans über die uralten Wege der Seidenstraße und kommt schließlich im prunkvollen Kalifenpalast von Bagdad an. Dort entdeckt Arib ihre besondere Gabe, die sie nicht nur zur Unterhaltung der Hofgesellschaft einzusetzen versteht. Denn eigentlich hat die verführerische Fremde nur ein Ziel: Sie will Rache.
Die afghanische Provinz Khorasan im Jahr 803: Die zehnjährige Arib führte bis jetzt ein glückliches Leben. Ihre Familie gehört zu den Barmakiden, einer der mächtigsten persischen Familien, ihr Oberhaupt ist der Großwesir des Kalifen Harun ar-Raschid. Doch die behütete Kindheit endet mit einer Katastrophe, als ein Trupp Soldaten unter dem jungen Anführer Haidar auf Befehl des Kalifen ihre gesamte Familie tötet.
Nur die kleine Arib und Theodora, die griechische Singsklavin ihres Vaters, können dem Gemetzel entkommen und fliehen in die Steppe. Zur besseren Tarnung verkleidet sich Arib als Junge, immer auf der Flucht vor Haidar und seinen Männern. Mit vierzehn Jahren begegnet sie einem geheimnisvollen Fremden aus Frankreich, in den sie sich verliebt. Doch erneut schlägt das Schicksal erbarmungslos zu - Arib wird gefasst und in den Harem des Kalifen entführt.
Die junge Frau begreift bald, wie sie ihr Leben retten kann: Ihr betörender Gesang macht sie zu einer der begehrtesten Kurtisanen des Orients, der die mächtigsten Männer Bagdads verfallen. Doch Arib kann weder ihre Liebe noch ihren brennenden Wunsch nach Rache vergessen ...
Liebe, Mord und Rache im alten Bagdad
Agnes Imhof präsentiert ihren Lesern eine Welt aus Tausendundeiner Nacht und zugleich die wechselhafte Geschichte der mächtigen Kurtisane Arib, die es tatsächlich gegeben hat. Die gekonnte Mischung aus Dichtung und Wahrheit ergibt ein stimmiges Bild einer starken Frau, die ein wechselhaftes Schicksal durchlebt. Arib ist eine realistische Figur, mutig und bewundernswert, aber sie kennt auch Unsicherheiten und erschütternde Rückschläge. Schon sehr früh in der Handlung nimmt das wilde, jungenhafte Mädchen den Leser für sich ein und man verfolgt gebannt ihre Reifung zur jungen, verführerischen Frau. Dabei ist reizvoll, dass Arib keine außergewöhnliche Schönheit ist, sondern erst über ihre Stimme die Männer für sich gewinnt. Arib erscheint dem Leser als sympathische und nachvollziehbar handelnde Gestalt. Eine Kurtisane im Harem ist das Letzte, was das junge Mädchen werden will, Tränen und Entsetzen begleiten sie in den ersten Tagen und Wochen ihrer neuen Heimat.
Arib ist aber auch kein Mensch, der sich aufgibt. Die grausame Ermordung ihrer Familie hat sie überstanden und sie will auch aus diesem neuen Elend wieder emporsteigen. Ishak, der erste Sänger des Kalifen, erkennt sofort ihr außergewöhnliches Talent und beschwört sie, ihre Gabe zu ihrem Glück einzusetzen. Er wird ihr Lehrer und schult die bereits in jungen Jahren faszinierende Stimme zu göttlichen Klängen. Der Leser bangt und leidet mit ihr und hofft auf ein gutes Ende - doch ob Arib eines Tages mit ihrer großen Liebe zusammen sein kann und ob sie die ersehnte Rache an Haidar, der ihre Familie auslöschen wollte, ausüben wird, bleibt lange Zeit ungewiss.
Überzeugende Charaktere
Eine Fülle an Figuren bevölkert die Handlung und längst nicht immer weiß der Leser sofort, wie ihr Charakter einzuschätzen ist - etwa die herrische Kalifen-Gemahlin Zubaida, deren Schönheit bereits lange verwelkt ist und die zu Aribs Gönnerin wird, die anderen Haremsfrauen, die Arib mal hilfreich zur Seite stehen und mal ihren Neid spüren lassen, die Singsklavin Theodora, mit der Arib die Jahre der Flucht und des Versteckens übersteht, ihr Gesanglehrer Ishak, zu dem sie rasch Vertrauen fasst und nicht zuletzt ihr geliebter Wolfram, ein Franke im Dienst Kaiser Karls. Es hat auch seinen Reiz, dass gerade Wolfram erst allmählich zu einer Sympathiefigur heranwächst - mal erscheint er unnahbar und kühl, mal reagiert er hitzköpfig, er bleibt immer ein Charakter mit Ecken und Kanten.
Alltag im Orient
Ausführlich schildert der Roman das Leben am Hof des Kalifen, schwelgt in Schilderungen der Örtlichkeiten, der Gerüche, der Kleider, des Essens, ohne dabei zu sehr auszuufern. Der Leser erfährt ausgiebig, welche Speisen die Menschen damals gegessen haben, welche Kleidung sie trugen, wie die Kurtisanen im Harem lebten, welche Verhütungsmethode sie benutzen und wie sie mit Rosenwasser, Holzkohle, Zitronensaft und Goldstaub ihre Schönheitspflege betrieben. Auch die Rechts- und Moralvorstellungen der damaligen Zeit, die teils streng und teils überraschend tolerant erscheinen, werden thematisiert. Erotische Szenen bleiben natürlich beim Leben im Harem nicht aus, werden aber nie plakativ in Szene gesetzt. Durchgehend wird deutlich, dass sich die Autorin intensiv mit der Geschichte befasst hat und eine Expertin auf diesem Gebiet ist. Neben Arib und dem Kalifen begegnet der Leser auch weiteren historischen Figuren wie dem bereits gealterten Karl dem Großen, und auch der legendäre Markgraf Roland, nach dem das "Rolandslied" benannt wurde, findet Erwähnung.
Sehr erfreulich ist der ausführliche Anhang. Zunächst gibt es eine kurze Erläuterung zur historischen Gestalt der Arib, anschließend eine Reihe authentischer Rezepte, die für den europäischen Geschmack ein klein wenig angepasst wurden und letztlich ein Glossar, das die fremdländischen Begriffe erklärt. Perfekt wäre noch ein Personenregister gewesen, da die persischen Namen nicht immer sofort eingängig sind, doch man findet sich auch ohne zurecht.
Zu bemängeln gibt es nur sehr wenig. Etwas fraglich ist der Nutzen des Prologs, der im Jahr 819 spielt und die erwachsene Arib zeigt, ehe die eigentliche Geschichte sechzehn Jahre früher einsetzt. Der vorausschauende Prolog weckt zwar einerseits Interesse, da er eine brisante Szene präsentiert und in einem spannenden Moment endet. Andererseits nimmt er fast schon ein wenig zu viel vorweg, verrät dem Leser mehr als nötig und hätte auch durchaus einfach weggelassen werden können. Ein anderer Punkt ist die Liebe von Arib zu Wolfram, die ein bisschen schnell entsteht - an dieser Stelle hätten ein paar zusätzliche Ausführungen nicht geschadet, um noch besser nachvollziehen zu lassen, weshalb die beiden sich so schnell so stark und ausdauernd zueinander hingezogen fühlen.
Fazit: Ein farbenprächtiger Roman, der seine Leser in den Orient entführt und eine spannende, ergreifende Geschichte in sinnlichen Bildern erzählt. Geschickt werden historische Begebenheiten mit einem abwechslungsreichen Abenteuer verknüpft - das Ergebnis ist wunderbare Unterhaltung in einer Atmosphäre wie in Tausendundeiner Nacht.
Agnes Imhof, Piper
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