Varus
- Heyne
- Erschienen: Januar 2008
- 6
- Heyne, 2008, Titel: 'Varus', Originalausgabe
Perfekt unterhaltender Ausgangspunkt zum Varus-Jahr 2009
Kurzgefasst:
Zwei Männer - ein Verrat: Nie war eine Schlacht so verheerend
Publius Quinctilius Varus war ein Mann von Charakter, Stärke und viel Vertrauen in die Seinen. Denn sonst hätte der römische Statthalter die Zeichen deuten können, die er übersehen wollte. Hinweise darauf, dass der Cherusker Arminius nicht zuallererst sein enger Vertrauter war, sondern im Herzen immer noch Germane - und als Germane die römischen Unterdrücker auf brutalste Weise zu vernichten plante. Die Varusschlacht tötete 20.000 Menschen - Männer, Frauen, Kinder - und gilt als Schicksalsstunde Europas.
Als vor 2.000 Jahren die Römer in Germanien waren, gab der römische Statthalter Publius Quinctilius Varus den Befehl, Richtung Süden in die Winterquartiere bei Xanten abzuwandern. Als Vorhut reitet Arminius voraus, selbst Germanenfürst und enger Vertrauter von Varus. Am Vorabend der Abreise wird Varus noch von Fürst Segestes in Arminius' Anwesenheit gewarnt, dass Arminius einen Hinterhalt gegen die Römer plane. Doch Varus ignoriert dies und startet am nächsten Morgen mit drei Legionen, drei Alen und sechs Kohorten mit insgesamt 15.000 bis 20.000 Soldaten.
Zeuge dieser Unterredung ist Annius, ein römischer Schreiber, der sich zu einem der engsten Vertrauten von Varus hocharbeitet. Kurz vor der Abreise hat Annius die germanische Sklavin Thiudgif beim Würfeln gewonnen. Gewisse Sympathien verbinden die beiden miteinander - und doch unterscheidet sie wesentlich mehr als ihr Rang. Sie sprechen nicht dieselbe Sprache und können sich nur rudimentär einander verständlich machen. Annius bringt Thiudgif bei Bekannten unter, die sie während der beschwerlichen Reise in ihre Obhut nehmen.
Während der geschickt geplanten Schlacht, bei der die Armee des Varus nahezu komplett vernichtet wird, geraten Annius und Thiudgif immer wieder in Gefahr, zumal sie unabhängig voneinander versuchen zu überleben. Während um sie herum das Chaos herrscht, wissen sie nicht, ob sie den jeweils anderen überhaupt jemals wiedersehen werden. Aufgehalten von Kämpfen und schlechtem Wetter, geht es für beide um mehr als nur das nackte Überleben.
Historisches Geschehen gespickt mit fiktiver Story
Mit "Varus" ist der Autorin Iris Kammerer ein Roman gelungen, der den Leser unmittelbar in die schlimmsten vier Tage der römischen Geschichte mitnimmt. Nie war eine Niederlage der Römer schmachvoller und folgenreicher und über die gesamte Länge von 445 Seiten entspinnt die Autorin eine Atmosphäre, in die sich der Leser mühelos hineinversetzen lässt.
Statt einfach nur den Verlauf dieser berühmten Schlacht wiederzugeben, verwebt die Autorin sie mit einer Liebesgeschichte. Das ist geschickt, denn es ist immer schwer, Ereignisse zu erzählen, deren Ausgang weithin bekannt ist, ohne den Leser dabei zu langweilen. Jeder weiß, dass die Titanic ihren Zielhafen bei der Jungfernfahrt nicht erreichen wird und jeder weiß auch, dass Varus die Schlacht verliert, daher müssen andere fiktive Ereignisse eingebettet werden - und dies versteht die Autorin sehr gut.
Erzählperspektive geschickt gewählt
Dabei konzentriert sich Iris Kammerer auf die Sichtweise des Annius und somit seines Herrn Varus, für den die unvermeidliche Niederlage im Selbstmord endet. Durch diese Erzählweise erhält der Leser interessante Einblicke in das Seelen- und Gefühlsleben des Heerführers am Rande einer Katastrophe, seine Ohnmacht dem Feind gegenüber und dem Irrglauben der Treue des Arminius gegenüber. So wird die Charakterisierung der Geschlagenen noch intensiver, der Leser leidet förmlich mit und ist dem Geschehen genauso ausgeliefert wie die Römer selbst.
Und hieraus bezieht der Roman auch einen Großteil seiner Spannung. Durch die geschickt gewählte Erzählperspektive werden die brutalen Gefechtsschilderungen (und hier wird wahrlich nicht an Grausamkeit gespart) noch eindringlicher und daher glaubwürdiger. Arminius wollte ein Niederschlachten ohne Gnade und genau das bekommt der Leser präsentiert.
Als einziger Wermutstropfen kann genannt werden, dass gerade die Motive des Arminius hier vollkommen in den Hintergrund geraten. Warum diese Schlacht stattfindet und so brutal sein muss, dass erfährt der Leser nur ansatzweise. Hier hätte die Autorin noch etwas näher auf die Hintergründe eingehen können.
Ein glaubhafter Einblick in die Zeit
Die Geschichte um Annius und seine erwürfelte Sklavin, der er sich trotz der widrigen Verhältnisse doch zu nähern scheint, bietet nicht nur einen Einblick in das Schlachtgeschehen, das ja gerade in der zweiten Hälfte durch unglaubliche Unwetter für die Germanen begünstigt wurde, sondern auch in das Leben neben dem Schlachtfeld und dem Leben in der Fremde an sich. Hier gelingt der Autorin eine Einsicht in die Zeit und das Leben von vor 2.000 Jahren.
Obwohl nur wenige historische Quellen von der Schlacht existieren, gelingt es der Autorin, einen plausiblen Ablauf der Geschehnisse darzustellen und so das Unausweichliche passieren zu lassen. Sprachlich wird dabei nichts geschönt oder verharmlost, was vielleicht den einen oder anderen Leser abschrecken lässt. Wer sich allerdings darauf einlässt, wird einen spannenden historischen Roman lesen, der Appetit auf mehr macht.
Ein historische Karte Germaniens zu Beginn des Buches, zwei Glossare und ein Nachwort am Ende runden einen Roman ab, den sich interessierte Leser nicht entgehen lassen sollten. Und gerade in diesem Jahr 2009 bietet er den perfekten Ausgangspunkt zu Ausstellungen, Büchern und Vorträgen zum "Thema Varus". Der Leser indes freut sich auf das nächste Werk der Autorin.
Iris Kammerer, Heyne
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