Bergwehen

  • Droemer-Knaur
  • Erschienen: Januar 2008
  • 1
  • Droemer-Knaur, 2008, Titel: 'Bergwehen', Originalausgabe
Bergwehen
Bergwehen
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Rita Dell'Agnese
891001

Histo-Couch Rezension vonSep 2008

Von der Entdeckung der Hygiene

Kurzgefasst:

München 1811: Lucilie Vinzenz gehört zu den Hebammen, die sich nicht damit abfinden wollen, dass bei einer Geburt Mutter und Kind häufig sterben. Ständig erweitert sie ihr Wissen, gibt es an die Frauen weiter und achtet streng auf Hygiene. Allerdings bringt sie damit Ärzte und Kirchenherren gegen sich auf. Was muss das Weib andere Weiber aufwiegeln gegen die gottgegebene Ordnung?

Als man eine Intrige gegen sie spinnt, flieht sie in ihr Heimatdorf, an den Ort, der ihr Schutz gewährt. Die Rückkehr ist auch eine Reise in die Vergangenheit: Als junge Frau war sie schwanger geworden und von ihrem Vater dafür grausam bestraft worden. Mit ihm, der ihr damals das Kind wegnahm, hat sie seither nie wieder ein Wort gewechselt. Ausgerechnet hier trifft sie auf einen Gleichgesinnten, den Dorfarzt Denaro. Sie verlieben sich ineinander - doch dann muss Lucilie erfahren, dass er auf schreckliche Weise mit ihrer Vergangenheit verknüpft ist ...

 

Oberhebamme Lucilie Vinzenz rührt an ein Tabu, als sie sich Gedanken darüber macht, weshalb immer dann die Wöchnerinnen in ihrem Geburtshaus an Kindbettfieber erkranken, nachdem sie von den Ärzten untersucht worden sind. Sie vermutet einen Zusammenhang zwischen dem vorgängigen Besuch der Nachwuchs-Ärzte in der Gerichtsmedizin, wo sie Leichen sezieren, und der Untersuchung der Gebärenden. Um ihre Zulassung als Oberhebamme nicht z u verlieren, verschweigt sie ihren Verdacht. Ihre verzweifelte Suche nach einer Möglichkeit, die Sterblichkeit in ihrem Geburtshaus einzudämmen, findet neue Nahrung, als sie sich erkältet und nießen muss. Die Tropfenbildung bringt sie auf die Idee, dass sich Krankheiten auf solche Art übertragen lassen könnten. Sie beginnt, sich mit dem Thema Hygiene auseinanderzusetzen, findet aber - außer bei der jungen Hebammenschülerin Eva - keinen Rückhalt mit ihrer Theorie. Als sie auch noch aufgrund einer Intrige ihr Ansehen einbüßt, flieht Lucilie in ihr Heimatdorf in den Tiroler Bergen. Dort muss sie sich der Vergangenheit stellen, die ihr viel Leid beschert hat.

Kein leichter Stand

Schnörkellos zeigt die Autorin Monika Bittl auf, wie schwer es eine Frau im frühen 19. Jahrhundert auf dem medizinischen Parkett hatte. In einer sehr direkten, manchmal fast zu sehr verkürzten Sprache schildert sie die Gedankengänge von Lucilie Vinzenz, die die Sterblichkeit von jungen Müttern im Kindbett schon Jahrzehnte früher hätte eindämmen können, wäre denn die Theorie mit der Hygiene von einem angesehenen Arzt gekommen. Monika Bittl beschönigt nichts, enthüllt, wie eigennützig Ärzte und kirchliche Vertreter ihre Ziele verfolgten und das Wissen der Hebammen und Naturärzte als Gefahr für die Menschheit - besonders aber für den Berufsstand der Ärzte verstanden. Unerbittlich deckt die Autorin auf, wie den Frauen Steine in den Weg gelegt wurden - selbst von den Geschlechtsgenossinnen. Nur leise und am Rande finden sich jene männlichen Stimmen, die die Entdeckungen der Oberhebamme ernst nehmen wollten . So leise, wie sie in jener Zeit auch wahrgenommen wurden.

Mehrfache Verstrickung

Im Arzt Denaro findet Lucilie zwar einen Vertrauten was die Gynäkologie betrifft, nicht aber in Sachen Hygiene. Die Oberhebamme sieht in ihm aber auch ihre große Liebe, die jedoch durch eine mehrfache Verstrickung Denaros mit einem dunklen Punkt in ihrer eigenen Vergangenheit an ihre Grenzen stößt. Mit dieser Geschichte schafft es Monika Bittl, dem an sich interessanten, aber wenig spannungsvollen Thema um die Entdeckung der Bedeutung von Hygiene eine tragische Note hinzuzufügen, die die Ernsthaftigkeit der Grundgeschichte nicht beeinträchtigt.

Eine etwas andere Art ...

Monika Bittl schreibt historische Romane der etwas anderen Art. Nach ihrem Roman-Debüt mit ";Irrwetter" ist ";Bergwehen" bereits das zweite Werk, das auf den Markt gekommen ist. Als fundierte Kennerin des dörflichen Lebens in Bayern gelingt es ihr, auch in ihrem zweiten Buch eine Atmosphäre zu schaffen, die es dem Leser erlaubt, sich ein sehr realistisches Bild von den Vorgängen zu machen. Dicht eingestreut sind die kleinen Erläuterungen, die die Zeit im angehenden 19. Jahrhundert erst richtig begreifbar machen. Wunderschön gezeichnet sind die Charaktere, die dadurch an Lebendigkeit gewinnen.

Keine reine Frauengeschichte

Wer nun angesichts des Themas ";Hebamme" die Nase rümpft , tut Monika Bittl und ";Bergwehen" Unrecht. Es handelt sich hier nicht um einen reinen Frauenroman, an dessen Spitze die weibliche Heldin mit jeder Form von Bedrohung fertig werden muss, sondern um einen ernsthaften Roman, der sich mit der Frage auseinander setzt, wieso viele Entwicklungen so lange verschleppt worden sind. Obwohl die Protagonistin wegweisende Entdeckungen gemacht hat, bleibt sie ungehört . Ein Schicksal, das ihre Geschlechtsgenossinnen noch über viele Jahrzehnte hinweg erleben würden.

Trotz der Hebamme als Hauptperson lässt sich ";Bergwehen" nicht nur flüssig lesen, es ist auch ein Buch das berührt und das letztlich durchaus auch in den Männern eine geneigte Leserschaft finden dürfte.

Bergwehen

Monika Bittl, Droemer-Knaur

Bergwehen

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