Die Träume der Libussa
- Ullstein
- Erschienen: Januar 2008
- 5
- Ullstein, 2008, Titel: 'Die Träume der Libussa', Originalausgabe
Eine hervorragende Umsetzung eines historischen Mythos
Kurzgefasst:
Mitte des 8. Jahrhunderts, im Land der Behaimen an der Moldau. Als Libussa überraschend zur Herrscherin bestimmt wird, will sie auf ihren Geliebten, den Bauernsohn Premysl, nicht verzichten. Mit einer List erreicht sie, dass die Göttin selbst Premysl zu ihrem vorbestimmten Ehemann erklärt. Gemeinsam gründet das Paar an der Moldau eine neue Stadt, die ihrem Volk Reichtum und Glanz schenken soll und einmal Prag heissen soll. Doch die christlichen Frankenkrieger wollen Libussa und ihre alte Religion gewaltsam vertreiben...
Libussa wächst als jüngste Tochter Sharkas, der Fürstin und Hohe Priesterin der Czechen auf. Nach dem unerwarteten Tod ihrer Mutter wird überraschend Libussa zu ihrer Nachfolgerin gewählt. Obwohl das Mädchen lieber eine Priesterin ihres Volkes geworden wäre, stellt sie sich dieser Herausforderung und einfach ist ihre Aufgabe beileibe nicht: Der Einfluss der christlichen Franken macht sich auch im Land der Behaimen langsam bemerkbar. Es beginnen bereits einige der jungen Männer gegen die Herrschaft einer Frau aufzubegehren, sehen sie sich doch viel lieber selber an dieser Position. Mit einer List gelingt es Libussa, dass ihr Geliebter, der Bauernsohn Premysl, als ihr ausgewählter Gatte bestimmt wird und sie an seiner Seite regieren kann. Gemeinsam gründen sie aufgrund einer Vision Libussas die Siedlung Praha.
Doch der Vormarsch der Franken ist nicht aufzuhalten und schließlich muss Libussa ihren Sohn Lidomir als Geisel an den fränkischen Hof schicken, um die Integrität ihres Volkes zu bewahren.
Neun Jahre später kehrt Lidomir mit seiner fränkischen Gattin zu seinem Volk zurück, doch der Konflikt zwischen den Religionen und Kulturen wird immer stärker.
Das Christentum schreitet fort
Tereza Vanek hat ihren Roman in zwei Teile aufgeteilt, in denen sie nicht nur von der Gründung Prags, sondern vor allem über den Kampf zweier Kulturen, zweier Religionen berichtet. Während in den christlichen Ländern das Patriarchat herrscht, gibt es in Libussas Heimat immer noch das Matriarchat. Im ersten Teil des Buches werden die Herausforderungen geschildert, denen sich Libussa zu stellen hat, denn der christliche bzw. fränkische Einfluss macht sich bereits bemerkbar. Längst sind nicht mehr alle Männer bereit, die Herrschaft einer Frau uneingeschränkt anzuerkennen, sondern würden gerne selber die Macht übernehmen. Somit muss sich die junge Fürstin oft genug gegen Angriffe und Intrigen zur Wehr setzen, was ihr zunehmend schwerer fällt, da die Forderungen nach männlichen Herrschern immer wieder und immer heftiger ausfallen.
Im zweiten Teil kehrt Libussas Sohn Lidomir mit seiner christlichen Frau Radegund zurück zu seiner Familie. Dieser Abschnitt wird zum Großteil aus Radegunds Sicht geschildert. Dadurch wird dem Leser der Unterschied zwischen den beiden Religionen und Herrschaftsformen noch deutlicher vor Augen geführt, vor allem, was die Rolle der Frau angeht. Denn Radegunds Erziehung steht in deutlichem Gegensatz zu der, die Libussa, ihre Schwestern und ihre Tochter erfahren haben und es gibt einige Missverständnisse und Reibungspunkte.
Hervorragende Charakterzeichnung
Fast alle Figuren sind liebevoll und glaubwürdig gezeichnet. Kaum eine Figur lässt den Leser kalt, obwohl nicht alle Protagonisten sympathisch auftreten. Im Gegenteil, bei einigen überwiegt der Unsympathiefaktor deutlich, doch auch diese Charaktere haben Tiefe, haben ihre guten Seiten und handeln im Rahmen ihrer eigenen Logik nachvollziehbar und folgerichtig. Dafür sind vor allem Libussas Schwester Kazi und ihre Schwiegertochter Radegund gute Beispiele. Als Leser weiß man oft nicht, was man von ihnen halten soll. Sind sie einem im einen Augenblick einigermaßen sympathisch, möchte man sie im nächsten Abschnitt am liebsten schütteln und anschreien, weil sie sich so egozentrisch oder unreif verhalten. Doch genau diese Charaktere machen das Buch so lebendig und lassen den Leser mitfiebern. Da lässt es sich auch verschmerzen, dass Libussa und Premysl gerade im ersten Teil ein wenig zu glatt geraten sind.
Nicht nur Histo, sondern auch Fantasy-Anteile
Libussa gilt der Sage nach als große Seherin, so dass es einen nicht verwundern darf, wenn sie des öfteren Visionen oder prophetische Träume hat. Meistens zeigen sie ihr die Zukunft voraus, doch nicht immer behalten sie recht und manchmal verwirren sie die Herrscherin auch mehr, als dass sie ihr helfen. Wer gar keine Fantasy-Elemente in historischen Romanen mag, der wird sich mit diesen Passagen schwer tun, doch insgesamt hat Tereza Vanek sie sehr gut in die Geschichte eingefügt. Einzig eine Prophezeiung wirkt etwas übertrieben, kommt sie doch genau in dem Augenblick, in dem Libussa sie dringend braucht. Doch es gibt auch vergnügliche Prophezeiungen, zum Beispiel über die weitere Entwicklung Prags, die Libussa vor Gründung der Siedlung hat, die den Leser erheitern.
Wenig blutige Details
Dankenswerterweise gelingt es der Autorin, fast ohne Beschreibungen von Gräueltaten auszukommen. Es wird durchaus eine Schlacht beschrieben und auch das Blutgericht von Verden, das den grausigen Höhepunkt der Sachsenkriege Karls des Großen bildete, hat seinen Platz. Doch es sind keine seitenlangen Beschreibungen aller möglichen blutigen Schandtaten notwendig, um den Schrecken einer Schlacht, mit ihren Triumphen und Niederlagen, zu beschreiben. Ebenso verhält es sich mit den Szenen aus dem Liebesleben der Protagonisten. Tereza Vanek deutet eher nur an, sie geht in ihren Beschreibungen nur so weit, dass jeder weiß, was passieren wird, die Details überlässt sie aber der Fantasie ihrer Leser. Dieser Stil hebt sich wohltuend von so manch anderen historischen Romanen ab. Insgesamt bedient sie sich einer eher schlichten, schnörkellosen Sprache, die es dem Leser aber ermöglicht, sich ganz auf die Geschichte und ihre Figuren einzulassen.
Wenige Fakten, viel Kreativität
Wie die Autorin in ihrem Nachwort erläutert, ist die Geschichte um Libussa und die Gründung Prags eine Sage, die in Tschechien zwar fast jeder kennt, die aber trotzdem durch wenige Fakten bestätigt wird. Generell ist über diese Zeit in diesem Landstrich wenig bekannt und die Historiker sind sich über die Quellenlage häufig uneins. Somit hatte auch Tereza Vanek nur wenig Konkretes, auf dass sie sich stützen konnte, doch das tut diesem Roman keinen Abbruch. Es soll auch kein Buch sein, das erzählt, wie es war, sondern wie es gewesen sein könnte und diesem Anspruch ist die Autorin in jeder Hinsicht gerecht geworden. Wir werden wahrscheinlich nie wissen, wie genau Prag gegründet wurde und was für eine Rolle Libussa und ihre Familie gespielt haben, doch wenn man das Buch zu Ende gelesen hat, hält man es für durchaus möglich, dass es genauso so war, wie in diesem Roman beschrieben.
Das einzige, was diesem Buch fehlt, ist eine Karte, auf der die einzelnen Stammesgebiete verzeichnet sind und ein Personenregister. Doch das ist ein Kritikpunkt, der in der Gesamtschau kaum ins Gewicht fällt, dafür ist der Rest viel zu gelungen.
Tereza Vanek, Ullstein
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