Die Eismalerin
- Fischer
- Erschienen: Januar 2006
- 13
- Fischer, 2004, Titel: 'Karitas án titils', Originalausgabe
Baldursdottir lässt den Leser die Kälte des isländischen Winters spüren ...
Kurzgefasst:
Die Witwe Steinunn Olafsdóttir zieht mit ihren sechs Kindern in die kleine Stadt Akureyri im Norden Islands, damit sie dort die Schule besuchen können - auch die Mädchen. Hart sind die Zeiten um 1900, unberechenbar auch die Naturgewalten. Hart ist auch die Arbeit in der Fischfabrik, wo die Frauen wochenlang im Akkord den gefangenen Hering - das Silber des Meeres - einsalzen müssen. Dennoch entdeckt Karitas, die jüngste Tochter, ihr künstlerisches Talent. Ihr größter Wunsch ist es, Malerin zu werden. Doch dann lernt sie den großen, gutaussehenden, grünäugigen Sigmar kennen und lieben, und sie steht vor der folgenschwersten Entscheidung ihres Lebens.
Nüchtern und klar beschreibt Kristin Marja Baldursdottir die Härten des isländischen Alltags am Beginn des 20. Jahrhunderts und lässt die Leser teilhaben am Kampf einer Mutter und ihrer Töchter um ein selbstbestimmtes Leben.
Eine ehrgeizige Mutter mit großen Plänen
Die Autorin erzählt in ihrem ersten historischen Roman „Die Eismalerin" vom Leben der Isländerin Karitas, deren Wunsch, Künstlerin zu werden, am harten Leben und den Traditionen der Insel am Polarkreis scheitert. Der in drei Teilen angelegt Roman erzählt in seinem ersten Teil vom hoffnungsvollen Aufbruch einer Familie aus den westlichen Fjorden Islands in die Hafenstadt Akureyri im Jahre 1915. Die Witwe Steinunn hat den ehrgeizigen Plan, nicht nur ihren drei Söhnen, sondern auch den Töchtern eine Schulausbildung und ein eigenständiges Leben zu ermöglichen.
Zunächst hat die Autorin die ganze Familie im Blick, allmählich erst wird der Fokus auf die jüngste Tochter Karitas gerichtet. Weil sie noch zu jung ist, um wie ihre älteren Geschwister in der Fischfabrik zu arbeiten, versorgt sie allein den Haushalt und den kleinen Bruder und hilft mit ihrem Organisationstalent der Familie aus der bitteren Armut heraus. Das Wunder gelingt: Alle Kinder besuchen eine Schule. Zuletzt wird auch Karitas versorgt: Die Dame, bei der sie als Hausmädchen arbeitet, entdeckt ihr großes Zeichentalent, unterrichtet sie und finanziert ihr schließlich das Kunststudium im fernen Kopenhagen. Karitas wagt den Sprung aus der Norm gegen alle Anfeindungen, vor allem die der eifersüchtigen älteren Schwester.
Von der Kunsthochschule in die Torfhütte
Wir treffen Karitas im Jahre 1923 wieder. Sie ist zurück in Island und hat große Pläne: Sie will Künstlerin werden und - nur diesen einen Sommer - in der Fischfabrik arbeiten, um Geld für eine Ausstellung zu verdienen. Doch alles kommt anders:
Sie begegnet dem grünäugigen Fischer Sigmar, verliebt sich und - Schicksal vieler Frauen in (nicht nur) historischen Romanen - wird gleich beim ersten Mal schwanger. Sigmar erfährt von der Schwangerschaft und nimmt Karitas mit in seine Heimat an einen einsamen Fjord. Dort lebt Karitas, die sich zunächst noch daran klammert, Künstlerin zu sein, das Leben einer Fischerfrau:
Sie wartet monatelang auf ihren Mann und ist inzwischen allein mit dem kärglichen Leben in einem Torfhaus. Sie erlebt aber auch die Solidarität vor allem der Frauen des Dorfes. Vier Kinder bringt Karitas zur Welt, von denen ihr nur zwei Jungen bleiben: Ein Sohn stirbt kurz nach der Geburt - eine Tochter nimmt Karitas eifersüchtige Schwester Bjarghildur gegen Karitas Willen zu sich und entfremdet sie der Mutter. Karitas schließlich bricht durch das anstrengende Leben zusammen und verlässt Sigmars Haus, die Nachbarn schicken sie zu einer alleinstehenden Frau an die Nordküste, damit sie wieder zu Kräften kommt.
Zu Beginn des dritten Teils sind 13 weitere Jahre vergangen: Karitas lebt immer noch mit ihren Söhnen auf dem Hof an der Nordküste als Gäste einer liebenswürdigen Frau. Sie und die Söhne arbeiten gegen Kost und Logis und haben sich mit dem Leben dort eingerichtet. Wir erfahren, dass Sigmar nie kam, um seine Frau und die Söhne nach Hause zu holen. Nun taucht er auf, als reicher Mann aus Italien - und Karitas muss sich noch einmal entscheiden.
Ein Buch voller starker Frauen
Das zentrale Thema der „Eismalerin" sind die starken Frauen. In allen Teilen des Romans hat Kristin Baldursdottir vor allem die Frauen im Blick: die starke Mutter Steinnunn, die auch ihren Töchtern eine Chance geben will, die Frauen in der Fischfabrik und auf dem Dorf, die mit ihrer Solidarität das harte Leben erträglich machen, die Frau, die Karitas nach ihrem Zusammenbruch zu sich nimmt und sie an Leib und Seele gesund macht.
Der Vater ist tot, die drei Brüder sind im Gegensatz zu den individuell beschriebenen Schwestern recht blasses Beiwerk. Karitas selbst ist allerdings zumindest nach ihrer Rückkehr aus Kopenhagen eher passiv: Sie tut die Arbeit, die man ihr gibt und folgt Sigmar in seine Heimat, ohne dass sie sich auflehnt oder auch nur über Alternativen nachdenkt.
Nüchterner Einblick in die Härten des
isländischen Alltags
Die Isländerin Baldursdottir erlaubt einen tiefen Einblick in das Alltagsleben ihres Heimatlandes zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie beschreibt auch die Härten des Lebens nüchtern und ohne jedes Pathos. Die isländische Sagen- und Glaubenswelt mit ihren Elfenburgen und Trollen wird als genauso real vermittelt wie die tagelange Arbeit in der Fischfabrik oder das Schafeschlachten auf dem Lande.
Jedes der zahlreichen Kapitel beginnt mit einer Situations- oder Bildbeschreibung aus Karitas' Sicht, während der Rest des Buches eher Distanz zu seinen Figuren hält. Diese kleinen Versatzstücke, die Karitas' Seelenleben und Motive kurz aufscheinen lassen, sind der besonderer Reichtum der „Eismalerin".
Insgesamt ein angenehm unaufgeregter Roman, der eine starke Geschichte erzählt und es darum nicht nötig hat, den Leser mit besonderem Pathos zu binden.
Kristín Marja Baldursdóttir, Fischer
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