Die Herren von Buchhorn
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2008
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- Gmeiner, 2008, Titel: 'Die Herren von Buchhorn', Originalausgabe
Keine Fortsetzung möglich - schade!
Kurzgefasst:
Anfang des 10. Jahrhunderts beherrschen die Grafen von Buchhorn weite Gebiete des Bodenseeraums. Ihr Sitz befindet sich in Buchhorn, dem heutigen Friedrichshafen. Ihre Geschichte ist geprägt von Kriegen und Machtkämpfen.
Vor vier Jahren ist Wendelgard, Gräfin von Buchhorn, in das Kloster St. Gallen eingetreten, nachdem ihr Ehemann auf dem Schlachtfeld für tot erklärt worden war. Doch der grausame Mord an ihrem ehemaligen Diener lässt ihren gerade gewonnenen Seelenfrieden wie ein Kartenhaus zusammenstürzen. Und offenbar gibt es Mächte, die ganz und gar nicht davon begeistert sind, dass die junge Frau in ihre alte Heimat Buchhorn zurückkehren möchte. Auch Gerald, der Sohn des Ermordeten, wird gezwungen sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Als Schmied hat er sich im fernen Bregenz eine Existenz aufgebaut, nun sieht er sich in die Geschicke der Mächtigen hineingerissen. Eine wertvolle Brosche, ein weiser Bischof und eine blonde Magd lenken sein Schicksal in eine neue Richtung.
Fast jedem Krimi wohnt das Potenzial inne, fortgesetzt zu werden. Da gibt es immer einen Detektiv, einen Aufklärer, einen Fragesteller, der in Handlungen verwickelt wird. Das lässt sich meist für weitere Bände ausschlachten. Hat das Konzept Erfolg, kann man damit gutes Geld verdienen. Birgit Erwin und Ulrich Buchhorn wird das - zu ihrem eigenen und der Leser Bedauern - nicht passieren, jedenfalls nicht mit ihrem Roman „Die Herren von Buchhorn". Die Geschichte, kein reiner Kriminalfall, ist so geschickt in tatsächlich historische Abläufe eingewoben, dass sich eine Weiterführung von selbst verbietet. Dieses Buch ist eben anders.
Die Herren von Buchhorn waren ein mittelalterliches Adelsgeschlecht, das sein Machtzentrum am Bodensee hatte. Von dem historischen Buchhorn ist nicht mehr viel geblieben - der Name des Autors ist wohl eher Zufall - denn im Jahr 1811 wurde die ehemalige Freie Reichsstadt mit ihrem Nachbarort Hofen zu Friedrichshafen verbunden. Etwa im Jahr 900 jedoch ist Buchhorn noch Buchhorn, Bregenz gab es auch schon, Langenargen wurde Argenau genannt und das (heutige) Schweizer Rorschach hieß Rorscahun. Auch das Frauenkloster auf der Insel Lindau „Unserer Lieben Frau unter den Linden" existierte bereits. Allgemein - so schildern die Autoren in ihrem Nachwort - gibt es wenige archäologische oder gar schriftliche Zeugnisse aus dieser Zeit und Gegend. Die bekannten historischen Tatsachen verarbeiten Erwin und Buchhorn jedoch in einem atmosphärisch dichten, spannenden Roman.
In der Lebensbeschreibung des historischen Udalrich V. von Buchhorn klafft eine Lücke von vier Jahren. Was genau passierte, weiß man nicht mit Sicherheit. Die im Roman gegebene Erklärung, er sei während der Ungarnfeldzüge in Gefangenschaft geraten, ist allerdings nicht allzu weit hergeholt. Seine Frau Wendelgard ging ins Kloster und wandte sich der Heiligen Wiborada zu, die als Begründerin des Inklusentums gilt. (Zur Erklärung: Die Inklusen bewohnten kleine Kammern, die rund um einen kleinen Hof angelegt waren. Dort wurden die Frauen eingeschlossen und widmeten ihr Leben dem stillen Gebet.). Eine weitere historische Figur ist Bischof Salomo III., der ab 890 Bischof der Reichskirche von Konstanz und Abt von Sankt Gallen war.
Der Held, der keiner ist
Die Kunst von Erwin und Buchhorn besteht nun darin, um die historischen Tatsachen und die begründeten Vermutungen - beispielsweise, dass die Welfen sich der Grafschaft Buchhorn bemächtigen wollten - eine glaubhafte Geschichte zu spinnen und sie so plausibel zu erzählen, dass sie tatsächlich hätte stattfinden können. Das ist ihnen gelungen, und zwar mit Bravour. Einziger Makel, wenn man denn einen finden möchte, ist das Fehlen einer eindeutigen, für einen Kriminalroman typischen Hauptfigur. Legt man die Maßstäbe des klassischen Schauspiels an, ist die Person mit dem höchsten Rang die Hauptperson - in diesem Fall wäre das Graf Udalrich. Der ist jedoch nicht anwesend, über ihn wird nur gesprochen. Da wäre auch seine Frau Wendelgard. Sie ist ein interessanter Charakter, fällt es ihr doch schwer, während ihrer Reise nach Buchhorn, die sie unternimmt, um im Gedenken an ihren vermissten Mann eine Armenspende durchzuführen, zu ihrem Nonnengelübte zu stehen. Gemessen an dem Zutun, den eine Person zum Ablauf der Ereignisse hat, gehört Bischof Salomo an die oberste Stelle. Er zieht mehr oder weniger im Hintergrund die Fäden und sorgt dafür, dass sich am Ende alles zum Guten wendet.
Von den Autoren als Hauptfigur auserkoren scheint jedoch Gerald der Schmied. Diese Figur ist, soweit man das beurteilen kann, vollständig erfunden. Ihn verbindet mit dem Hof von Buchhorn eine zwiespältige Geschichte, die nicht so ganz aufgeklärt wird. Sie hängt zusammen mit dem Treueschwur, den sein Vater, der ebenfalls Gerald hieß, dem Grafen von Buchhorn einst gab. Gerald der Junge weigerte sich und übte fortan sein Schmiedehandwerk in Bregenz aus. Vater und Sohn wollen beide die Aussöhnung, doch sie können nicht über ihren Schatten springen - bis im Verlauf der Ereignisse Geralds Eltern einem Attentat zum Opfer fallen.
Nun will Gerald der Junge in die Geschehnisse eingreifen, von denen er bereits ahnt, dass sie größere politische Kreise ziehen könnten. Er jedoch ist nur vom Gedanken an Rache erfüllt. Was ihn zu einem wenig geeigneten Helden macht, denn ihm stehen seine Sturheit, seine Impulsivität und sein Misstrauen gegenüber Obrigkeiten immer wieder im Weg. Er ist auch deswegen kein Held, weil er vergleichsweise spät in die Handlung eingreift und praktisch nie alleine agiert. Und dennoch ist er irgendwie das Zentrum der Geschichte, denn er macht die deutlichste Entwicklung als Charakter. Er springt schließlich über seinen Schatten, auch wenn sein Vater das nicht mehr miterleben kann, er kehrt von Bregenz nach Buchhorn zurück, er tritt die Nachfolge seines Vaters in dessen ehemaliger Schmiede an, und er bekommt am Ende das Mädchen, in das er sich verguckt hat. Erzähltechnisch ist er der Held, weil er als erfundene Figur in den Kreis der historischen Charaktere gestellt wird und so frei von geschichtlichen Banden agieren kann.
Mehr davon
Erwin und Buchhorn konzentrieren sich bei ihrer Erzählung dankenswerterweise auf die Figuren und widmen der Beschreibung von Orten und Sitten nicht mehr Zeit als notwendig. Trotzdem gelingt es ihnen, die bislang in der Literatur vergleichsweise unbeachtete Zeit des 10. Jahrhunderts greif- und erlebbar zu machen. Die Naturschilderungen sorgen für jenes atmosphärische Gefühl, das die legendäre britische Fernsehserie „Robin Hood" aus den 80er-Jahren mit seinen atemberaubenden Bildern hervorrief. Ob das alles mit der historischen Wirklichkeit übereinstimmt, spielt letztendlich keine Rolle mehr. Das Buch ist spannend, man fiebert mit dem „Helden" mit, ob er der Situation Herr werden kann und ob er sein Mädchen bekommt, man wünscht den Bösewichten ihr unschönes Ende. Und man taucht in eine Zeit ein, die von der Literatur bisher leider wenig beachtet wurde. Gern mehr davon!
Birgit Erwin & Ulrich Buchhorn, Gmeiner
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