Goethes Hinrichtung
- Rotbuch
- Erschienen: Januar 2009
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- Rotbuch, 2009, Titel: 'Goethes Hinrichtung', Originalausgabe
Der Dichterfürst als Minister
Kurzgefasst:
Eine Dienstmagd in Weimar wird unbemerkt schwanger - mit dreiundzwanzig Jahren. Während der Geburt steht ihr niemand bei. Sie gerät in Panik und sticht ihrem Kind in den Hals. Vor Gericht kann sie sich an jenen Moment, in dem sie "von Sinnen" war, nicht erinnern. Es folgt, wie seinerzeit zu erwarten, das Todesurteil, das durch den Landesherrn und einen Beirat bestätigt werden muss. Hier spricht Johann Wolfgang von Goethe das entscheidende Urteil. Sie wird geköpft, ihr Leichnam der Anatomie überlassen. Der Gerichtsmediziner schreibt: "Ich wünschte nur, sie wäre in ihrem Gefängnis nicht so gut genährt worden, so wäre sie zu meiner Demonstration brauchbarer." Das letzte Jahr der Johanna Katharina Höhn - ein historischer Fall.
Nein, keine Sorge, hier wird nicht die Geschichte umgeschrieben. Der deutsche Dichterfürst wird nicht hingerichtet, vielmehr steht er auf der anderen Seite - und hat als Richtender mit über Leben und Tod zu entscheiden.
Im Weimar des Jahres 1783 ist Johanna Katharina Höhn Dienstmagd beim Müller des Ortes. Sie ist nicht wirklich hübsch und auch etwas korpulenter, und dennoch wird sie von ihm als seine Geliebte ausgewählt. Unwissend wird sie schwanger und merkt dies auch selbst gar nicht. Erst kurz vor der Geburt wird ihre Schwangerschaft entdeckt, und bei der Geburt ist sie allein. Sie gerät in Panik und das Kind kommt gewaltsam zu Tode. Sie selbst kann sich an nichts mehr erinnern.
In dieser Zeit ist Johann Wolfgang von Goethe Minister in Diensten des Herzogs Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, mit dem er auch freundschaftlich verbunden ist. Schon bald nach der Tat der Kindstötung der Johanna Höhn wirbelt der Fall im Ort und überregional viel Staub auf, und das Volk sinnt auf härteste Bestrafung. Es gibt eine Gerichtsverhandlung, in der alle verfügbaren Zeugen und die Angeklagte verhört werden, und nach geltendem Recht drohen ihr der Tod durch lebendiges Begraben und anschließender Pfählung. Ihr Leben liegt in der Hand des Herzogs und seinen Beratern, unter ihnen auch Dichterfürst Goethe.
Eine Rechtsgeschichte
Viktor Glass beleuchtet ein seinem "nur" 220-seitigen Roman einen Rechtsfall, der seinerzeit viel Aufsehen erregt hat. Er versteht es von der ersten Seite an, den Leser in die Zeit und somit in die in diesem Fall wichtige seinerzeitige Rechtslage einzuführen und somit das grundlegende Wissen für die kommenden Ereignisse zu vermitteln. Trotz der Kürze des Romans lässt er sich Zeit und beschreibt parallel die Geschichten Johannas und Goethes.
Johanna wird als naive Dienstmagd geschildert, die im Elternhaus nicht mehr geduldet wurde und so nach Weimar zum Müller geschickt wurde. Als Arbeitskraft gut genug, weiß sie über ihren Stand und über ihre wenigen Möglichkeiten bescheid und ergibt sich in ihr Schicksal, das sie auch zur Liebschaft des Müllers werden lässt. Natürlich ist sie nicht die erste, und da sie von der Müllerin erwischt werden, die im Hause die Hosen anhat, steht ihr keine rosige Zukunft bevor. Ihre Zeit in Haft wird auch derart anrüchig geschildert, dass man mit ihr mitleiden kann.
Die Revolution steht vor der Tür
Goethe hingegen wurde vom Herzog nach Weimar gelockt, das eigentlich für einen Kleinstaat nicht viel zu bieten hat. Mit Goethe gewinnt der Ort an Bedeutung, und in seinem Amt versucht er, die Finanzen des Herzogs zu ordnen, der viele Schulden hat, es aber nicht schafft, derer Herr zu werden. Zu stark steht das Bedürfnis, seinen Stand zu repräsentieren, im Mittelpunkt, wenngleich das Volk sich das bestimmt nicht mehr lange gefallen lassen wird. Dazu zählt auch die Rechtslage gegenüber Leibeigenen, die Kinder getötet haben. Immerhin sind es nur noch sechs Jahre, bis in Frankreich die Revolution ausbrechen wird...
Zwar ist der Herzog gewillt, gegen den Rat seiner Minister und gegen den Willen des Volkes Gnade walten zu lassen und die Gesetzeslage zu entschärfen. Die mehr als windige Beweislage jedoch lässt ihn ein anderes Urteil fällen und ein Exempel statuieren, anhand dessen es leichter sein wird, ein neues, milderes Gesetz auf den Weg zu bringen.
Der Erzähler ist jederzeit Herr der (Rechts-)Lage
Viktor Glass malt ein überzeugendes Bild der Zeit und zeigt sich auch in den juristischen Aspekten jederzeit als Herr der Lage. Er kennt sich aus in den Förmlichkeiten und Standesunterschieden und weiß genau über die Rechtslage nicht nur in Weimar, sondern auch anderswo bescheid.
Sprachlich sehr ausgefeilt und überzeugend beschreibt der Autor die beiden Hauptcharaktere des Buches. Johanna weiß nicht, was sie tut und wie ihr geschieht, im Gegensatz zu Goethe, der weit über allen Dingen steht und so einen Gegenpol zu Johanna bildet. Recht eigenbrötlerisch versucht er, sich um sein Urteil über Johanna zu drücken, indem er seine Entscheidung in die Länge zieht. Im Wege steht ihm vor allem auch seine unerfüllte Liebe zu Charlotte von Stein, die ihn mehr interessiert als der unglückliche Fall. So meint er leider das eine und schreibt das andere, und Johannas Schicksal ist besiegelt.
Dem Höhepunkt fehlt der Höhepunkt
Zwar wird der Werdegang im Fall Johanna hier bis ins kleinste verständlich aufgeschlüsselt, letztlich wird aber nicht ganz klar, was Goethe zu seiner Entscheidung führt. Ist es ein Versehen oder ein Missverständnis? Hier hätte der Autor deutlicher werden können. So verpufft die Intensität der Erzählung leider im Finale, da der Impuls für die letztliche Urteilsbestätigung nicht überzeugt. Das ist schade, denn so fehlt dem Buch die verdiente Abrundung zu einem sehr guten Roman.
Viktor Glass, Rotbuch
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