Die linke Hand

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  • Erschienen: Januar 2009
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  • , 2008, Titel: 'The Good Thief', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
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Histo-Couch Rezension vonApr 2009

Gauner, Waisen und ein düsteres Geheimnis - und dies alles an Charles Dickens angelehnt

Kurzgefasst:

New England im 19. Jahrhundert: Ren, ein zwölfjähriger Junge, ist in St. Anthony's aufgewachsen, einem kirchlichen Waisenhaus für Arme in New England, wo er als Säugling "abgegeben" wurde. Seit seiner Kindheit fehlt ihm die linke Hand. Er weiß nicht, was mit ihm passiert ist, auch nicht, woher er kommt oder wer seine Eltern sind. Als plötzlich Benjamin Nab auftaucht, ein junger Mann, der behauptet, sein Bruder zu sein, tut sich für Ren eine neue Welt auf. Benjamin führt Ren in seine Bande von Gaunern und Trickdieben ein, die auch als "Körperjäger" arbeiten: Sie stehlen nachts frisch beerdigte Leichen vom Friedhof und verkaufen sie zu medizinischen Forschungszwecken an Krankenhäuser.

Trotz seines schlechten Gewissens findet Ren Gefallen an diesem freien Vagabundenleben, er lernt neue Freunde kennen, darunter einen Mörder und einen Zwerg, zieht mit seinen Gefährten über Farmland, durch Küstenstädte und erste Fabriksiedlungen, stets auf der Flucht. Doch ist Benjamin wirklich der, als der er sich ausgibt? Oder ist er einfach nur ein begnadeter Schwindler? Allmählich ahnt Ren, dass sein neuer Freund mehr über seine eigene Vergangenheit weiß, als er zugibt...

 

Wer Charles Dickens mag, wird Die linke Hand mit Interesse lesen. Denn die Autorin hat sich bei ihrer Geschichte stark an den grossen Dickens und seinen Oliver Twist gelehnt. Auch in Die linke Hand spielt die unehrliche Fingerfertigkeit eines Waisenjungens eine Rolle. Ren, der eines Nachts durch die Babyklappe eines Klosters geschoben worden war, wird von einem Mann, der sich als dessen älterer Bruder ausgibt, aus der wohlmeinenden aber strengen Obhut der Klosterbrüder geholt. Ren soll für Benjamin stehlen, betrügen und betteln. Da Ren Benjamin dankbar ist, dass er ihn davor bewahrte, eines Tages an die Armee verkauft zu werden, bemüht er sich, seinem "Freund" zu gefallen. Dass ihm schon seit dem Babyalter die linke Hand fehlt, hindert ihn daran nicht. Auf dem Weg durch New England kommt Ren dem Geheimnis seiner Herkunft auf die Spur.

Viele Klischees bedient

Die linke Hand liest sich ganz nett und ist durchaus hin und wieder unterhaltsam. Aber der Roman vermag an sein grosses Vorbild, dem er in einigen Bereichen doch etwas gar nacheifert, nicht heran kommen. Die Autorin beschreibt die Gesellschaft, die im 19. Jahrhundert in New England lebte, sehr eindrücklich. Dennoch vermag sie den bizarren Zauber des alten Londons nicht herauf zu beschwören. So leidet der Roman an einem diffusen Mangel, der zwar spürbar ist, aber nicht richtig eingeordnet werden kann. Es ist wohl vor allem der Umstand, dass es sehr schwierig bis unmöglich ist, sich in die Handlungsweise der Protagonisten hinein zu versetzen, der Die linke Hand zu einer etwas unbefriedigenden Lektüre macht. Unbefriedigend deshalb, weil der "Held" des Romans, die Hauptfigur fehlt. Ren tut sein Bestes, als Sympathieträger ist er dennoch nicht überzeugend. Dazu kommt eine ganze Reihe von Klischees, die die Geschichte begleiten.

Makabere Sequenzen

Da sich das betrügerische Trio - neben Benjamin und Ren gehört noch der ausrangierte Lehrer und Säufer Tom dazu - nicht scheut, seinen Unterhalt mit Leichenfledderei zu verdienen, offenbart sich in diesem Roman eine morbide Ader der Autorin. Diese wäre an sich ganz stimmig, wenn sie denn nicht gar zu sehr ausgewalzt würde. So wie Hannah Tinti generell dazu neigt, einmal gezeichnete Bilder stark auszuwälzen. Die schwerhörige Pensionswirtin, das Mausefallenmädchen mit Hasenscharte oder der verkümmerte Zwerg auf dem Dach sind nur einige der Bilder, die gar in die Breite gezogen werden. Dies alles drückt auf die Spannung und verlangsamt das Tempo der Geschichte etwas zu sehr.

Interessanter Ansatz

Die Zusammenstellungen der Sequenzen mögen durchaus einen interessanten Ansatz haben. Der Roman selber wirkt aber nicht ganz fertig. Und die Auflösung am Schluss ist etwas zu banal, etwas zu sehr nach "Friede, Freude, Eierkuchen"-Manier gestaltet. Dass Ren seine Herkunft aufzudecken vermag, vermutet wohl jeder Leser schon in dem Augenblick, als ihn ein geheimnisvoller Fremder aus dem Waisenhaus holt. Doch könnte die Suche nach der Identität mit etwas mehr Pfiff versehen werden. So dümpelt die Geschichte etwas hin und her und das Gefühl, weder Fisch noch Vogel vor sich zu haben, wird an verschiedenen Stellen gar übermächtig.

Trotz allem kein Kinderbuch

Wer nun angesichts der weder sprachlich noch vom Plott her übermässig raffinierten Geschichte denkt, dass er ein Jugendbuch in Händen hält, dürfte sich irren. Es gibt einige Szenen, die klar an ein erwachsenes Publikum gerichtet sind. Ein Publikum allerdings, das wohl doch einige Vorbehalte beim Lesen anbringen dürfte.

Die linke Hand ist ein Roman, der seine Freunde finden wird. Er vermag aber höheren Ansprüchen an einen historischen Roman leider nicht zu genügen. Dafür weist er zu viele Schwächen auf. Dies sollte man sich vor Augen führen, bevor man zu diesem Buch greift. So lässt sich einer Enttäuschung vorbeugen.

 

Die linke Hand

Hannah Tinti, -

Die linke Hand

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