Die Tochter des Salzhändlers
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2007
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- Gmeiner, 2007, Titel: 'Die Tochter des Salzhändlers', Originalausgabe
Am Ende zu dick aufgetragen
Kurzgefasst:
Lübeck, Silvester 1599. Die Frau des angesehenen Salzkaufmanns Heinrich Schelling bringt mit Unterstützung der Hebamme Trine Deichmann ein Kind zur Welt. Das Neugeborene weist eine seltsame Missbildung auf: Seine zusammengewachsenen Beine sehen aus wie der Schwanz einer Nixe. Bei der schweren Geburt stirbt die Mutter; ihre Leiche verschwindet spurlos. Kurz darauf ist auch ihr Mann unauffindbar. In der Stadt entbrennen heftige Diskussionen über die Hebammen, deren teils magisch wirkende Praktiken sie zum neuen alten Feindbild werden lassen. Besorgt um den Ruf ihres Standes, macht sich Trine Deichmann zusammen mit Lili, der ältesten Tochter des Salzhändlers, auf die Suche nach den Verschwundenen und macht dabei eine unglaubliche Entdeckung.
Lübeck - eine der fünf Herrlichkeiten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und Hauptort der Hanse. Norbert Klugmann beschreibt mit seinem historischen Erstlingswerk das kaufmännische Leben in Lübeck. Er schildert die Macht des Handels, das Wesen der Hanse und den langsamen Niedergang derselben. Gründe dafür waren die Konkurrenz des transatlantischen Handels nach 1492, die jeweiligen Fürstenhäuser, die sich vermehrt gegen die Eigenständigkeit der Hansestädte stellten, sowie „Konstruktionsfehler innerhalb der Hanse", wonach auf den Städtetagen vollständige Einigkeit der anwesenden Hansemitglieder erzielt werden musste, was natürlich sehr oft nicht zu erreichen war, waren doch die Interessen der Teilnehmer allzu verschieden. Ab dem Dreißigjährigen Krieg kamen dann auch noch Glaubensdifferenzen hinzu.
Auch das neue aufklärerische Denken der Bevölkerung, angeregt durch Luther, sowie die Kräfte der Rückbesinnung auf konservative Denkweisen, gestärkt durch die alten Rituale der Kirchenstände, in allem Mysteriösen und Unheilvollen gleichfalls sofort den Fortschritt als Schuldigen zu brandmarken oder auch ungeliebte Personen (wie beispielsweise die Hebammen) zu Hexen zu erklären, sorgten für Aberglaube und Angst vor dem Fortschritt und zu einem gegenseitigen tiefen Misstrauen innerhalb der Bevölkerung.
Es ist eine Zeit des Aufbruchs: Der technische Fortschritt, die Wissenschaft, eine neue Glaubensausprägung und die neue Macht der Kaufleute gegenüber dem Establishment. Die Hanse hat an Einfluss verloren und viele Städter fühlen sich alleingelassen mit der neuen Lebenssituation. Die Verlierer dieses Umbruchs sowieso; sie werden zu Neidern von all denen, die offensichtlich unbeschadet oder mit Gewinn aus den Veränderungen hervorgegangen sind. Das alles spiegelt der Roman sehr schön wider.
Detaillierte Beschreibung der Lebenssituation
der Menschen
Obwohl Norbert Klugmann in einem Roman sicherlich Geschichte nur oberflächlich ankratzen kann, gelingt es ihm doch sehr gut, der Erzählung Leben einzuhauchen. Seine Hauptfiguren sind allesamt detailliert gezeichnet. So wachsen einem schnell die schlagfertige Lili, die sich erfolgreich gegen die allzu böse Apollonia wehrt, der kleine Paul, der teils doch recht verschrobene Buchhalter Jütte und die ermittelnde Hebamme Trine sehr ans Herz und man ist schnell mittendrin, wenn die Protagonisten versuchen, das Rätsel um die verschwundene Leiche der Mutter Martha Schelling oder auch das Verschwinden des Kaufmanns Schelling zu lösen.
Kritik, dass für manchen Leser einige Handlungsstränge zu viel einfließen, ist einerseits sicherlich berechtigt, aber andererseits für einen historischen Krimi auch notwendig, um nicht zu durchsichtig zu werden. Auch dient das komplexe Handlungsgeflecht dazu, das Gedankengut der damaligen Zeit darzustellen. Dank der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit des Autors besteht der Roman diese Gratwanderung allemal. Der Spannungsbogen bleibt äußerst lang erhalten und die Leserschaft fragt sich bis kurz vor Schluss, wie es ausgehen könnte und ob der Salzkaufmann Schelling wohl wieder zurückkommt.
Die Auflösung ist zu dick aufgetragen
Mit etwas über 300 Seiten ist das vorliegende Werk für einen historischen Roman eher kurz geraten. Streng genommen verdient er auch die Bezeichnung „historisch" nur bedingt, weil gerade einmal das Sittengemälde über die Zeit und das Leben in Lübeck um 1600 realistisch dargestellt ist, nicht jedoch die Vorkommnisse des erzählten Kriminalfalles. Das aber kann man leider vielen sogenannten historischen Werken vorwerfen.
Leider macht aber auch die Auflösung des Falls nun wirklich keine Freude, da alles zu plötzlich geschieht und vor allem auch völlig übertrieben ist. Auch wie die Leserschaft zurückgelassen wird, ist irgendwie merkwürdig und lässt nur allzu gerne Fragenzeichen offen: Hat ein Mensch in der angehenden Neuzeit wirklich so gedacht? Wohl eher nicht.
Hoffentlich ist der zwischenzeitlich veröffentlichte zweite Fall der Hebamme Trine Deichmann „Die Nacht des Narren" mit einem logischeren und glaubwürdigeren Ende versehen. Der kriminalistische Spannungsbogen, das tolle Sittengemälde und der sprachliche Ausdruck, mit denen der Autor punkten kann, retten den Roman vor dem Totalabsturz.
Norbert Klugmann, Gmeiner
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