Die Gefährtin des Medicus
- btb
- Erschienen: Januar 2009
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- btb, 2009, Titel: 'Die Gefährtin des Medicus', Originalausgabe
Was ist Freiheit?
Kurzgefasst:
Südfrankreich im 14. Jahrhundert: Getrieben von Abenteuerlust und einem unbändigen Freiheitsdrang beschließt die junge Alaïs, als Gehilfin des Wanderchirurgen Aurel Astard durch die Lande zu reisen. Aurel, berüchtigt für seine unkonventionellen Forschungsmethoden, hat es sich zum Ziel gesetzt, der bedeutendste Medicus Europas zu werden. Und sein Drang nach Ruhm ist ebenso bedingungslos wie die Liebe, die Alaïs für ihn empfindet...
Azalais "Alais" Montpoix, die Titelheldin des Romans Die Gefährtin des Medicus von Julia Kröhn, erwartet eine triste Zukunft. Aufgewachsen in einem kleinen Fischerdorf bleibt eigentlich nur Josse, den gedrungenen, glupschäugigen Nachbarsjungen zu heiraten, da er der einzige im gesamten Dorf ist, der das passende Alter für sie hätte. Ein Fischer mit Leib und Seele - und genauso übel riechend. Unvorstellbar für Alais, das unbändige und freiheitsliebende Mädchen.
Als Javier "Aurel" Autard, der der größte Cyrurgicus seiner Zeit werden will, in ihr Leben tritt, ändert sich für Sie alles. Verspricht nicht die Wanderschaft des Chirurgen größte Freiheit? Heute hier, morgen dort zu sein; niemandem Rechenschaft schuldig zu sein? Sie beschließt, mit ihm und seinem Bruder mitzugehen, wird durch widrige Umstände sogar dazu gezwungen. Sie ziehen durch die Lande und gelangen als Leibarzt des Papstes bis nach Avignon. Aber eines erreicht Alais nicht: Das Herz des Mannes zu erobern, der ihr gleich bei ihrer ersten Begegnung so imponiert und dessen braune Augen sie für immer gefangen genommen hatten. Aurel interessiert sich nicht für sie, denn er hat nur seine Medizin im Kopf.
Heißt Freiheit nicht nur zu wissen, was man nicht will und den Visionen eines Anderen hinterher zu jagen? Oder bekommt sie ihn nicht doch noch, nachdem 1348 die Pest über Europa hereingebrochen war und das von Aurel mühsam gesammelte Wissen über Krankheiten überhaupt nichts gegen diese neue Strafe Gottes auszurichten vermochte? Eine Tragödie, die im Übrigen die Medizin um Jahrhunderte zurückwarf. Zum einen weil die Kirche neue Restriktionen erließ (Papst Gregor IX. verbot die Ausübung der Medizin 1376), zum anderen weil der Mensch verzweifeln musste vor der Übermacht der Natur und das Interesse an der Ergründung des menschlichen Körpers erlosch.
Charakterstarke Figurenzeichnung
Dass die von Julia Kröhn skizzierten Figuren nicht immer Mainstream-tauglich sind, sollte Kröhn-Fans hinlänglich bekannt sein. Aurel beispielsweise ist dermaßen egoistisch und auf sein Ziel, der größte Chirurg seiner Zeit zu werden, fixiert, dass er nichts und niemand neben sich wahrnimmt. So ist er regelmäßig enttäuscht, wenn sich ein vermeintlich Kranker als gesund herausstellt oder der Patient als Mensch Bedürfnisse, Ängste hat, denen Aurel in seiner Begrenztheit nicht zu begegnen weiß. Auch bringt er keinerlei Verständnis für die wütenden und ängstlichen Proteste auf, wenn er Tote auf dem Friedhof ausgräbt, um diese zu sezieren. Für ihn sind das lediglich Gegenstände, die zum besseren Verstehen des menschlichen Körpers dienen. Und der Wissenschaft müsse ja wohl jegliches Mittel gerade eben recht sein. Nicht immer ganz ungefährlich für ihn und seine Gefährten - wobei, auch das bekommt er eigentlich gar nicht recht mit.
Auch Alais wirkt wenig sympathisch. Nicht minder egoistisch jagt sie ihren Idealen nach: Freiheit und die Erlangung der Liebe Aurels. Viel zu spät erkennt sie, was eigentlich wichtig wäre in ihrem Leben.
Emeric, Aurels Bruder hingegen entwickelt sich vom persönlichen Manager Aurels zu einer eigenständigen Person, ist aber am Ende auch kein weichgespülter Softie. Mehr zu Emeric soll aber an dieser Stelle nicht verraten werden. Nur so viel: Er durchläuft bestimmt die größte Wandlung dieser drei Hauptpersonen.
Gewohnt wortgewandter Schreibstil, lehrreich und eine Hommage an die Ärzteschaft des Abendlandes
Gewohnt wortgewandt ist "Die Gefährtin des Medicus" der Feder Julia Kröhns entsprungen:
Alais wusste nicht, ob der Mann eben erst zu ihnen getreten war oder die ganze Zeit die komplizierte Operation verfolgt hatte. In seinem Gesicht standen nicht der Ekel und das Unbehagen der anderen geschrieben, sondern ehrlicher Respekt. Ein anerkennendes Lächeln umspielte seine Lippen - doch es erreichte die Augen nicht. Jene wirkten wach, aber zugleich kalt. Die spitze Nase verstärkte den Eindruck einer gewissen Rohheit. Doch glichen die harten Züge auch denen eines einfachen Mannes, der täglich um sein Brot zu kämpfen hat, so kündete das Gewand des Fremden von ganz anderem - nämlich von Eleganz und Reichtum, wie ihn Alais niemals zuvor in ihrem Leben gesehen hatte.
Auch wenn sich der Roman zur Mitte hin ein bisschen in die Länge zieht, so ist dies notwendig um die Entwicklung der Protagonistin Alais nachvollziehen zu können.
Fazit
Die Leserschaft kann sich auf eine Hommage an die berühmtesten Ärzte des Mittelalters, aber auch der antiken Ärzte freuen. Verglichen mit dem Stand der heutigen Medizin sicherlich recht primitiv, jedoch Amputationen, Kaiserschnitt, Operationen am offenen Gehirn, Versuche der Intubation, die antiseptische Wundbehandlung, sowie komplexe Nähtechniken lassen wohl nicht den medizinischen Stand im 14. Jahrhundert vermuten. Dass die Medizin keinen Antwort auf den schwarzen Tod zu bieten hatte, ist nicht verwunderlich. Jahrhunderte später, etwa um 1740 wurde erkannt, dass eine verbesserte Hygiene und die Ausrottung der Ratten vor der Pest schützen konnte. Erst 1894 schließlich wurde der Pest-Erreger entdeckt. Noch heute ist Pest jedoch nicht ausgerottet, sondern erlebt dank der Globalisierung sogar eine kleine, wenn auch wenig rühmliche Renaissance.
Die Ausstattung des Romans mit Zeittafel, Personenverzeichnis, Verzeichnis der antiken oder mittelalterlichen und im Roman erwähnten Ärzte, sowie historische Anmerkungen der Autorin lädt zum Studium von Sekundärliteratur ein und komplettiert den vorliegenden Roman. Kompliment an die Autorin Julia Kröhn!
Julia Kröhn, btb
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