Pforte der Verdammnis
- Scherz
- Erschienen: Januar 2004
- 10
- Scherz, 2003, Titel: 'Dissolution', Originalausgabe
Ein spannender, fesselnder Krimi in düsterer, klösterlicher Atmosphäre
Kurzgefasst:
England, im Jahre 1537: Die Reformation ist in vollem Gange, Heinrich VIII. hat sich selbst zum "Oberhaupt der Kirche" ernannt und unter Thomas Cromwells Befehl reisen Kommissare durchs Land, die die Klöster inspizieren sollen. Im Kloster von Scarnsea an der Südküste Englands sind derweil die Dinge gänzlich außer Kontrolle geraten. Einem von Cromwells Kommissaren ist dort mit einem einzigen Säbelhieb der Kopf vom Rumpf abgetrennt worden. In der folgenden Nacht wird ein schwarzer Hahn auf dem Altar geopfert. Wer steckt dahinter? Und warum? Matthew Shardlake, Rechtsanwalt und lange Zeit ein Befürworter der großen Reformation, wird von Cromwell nach Scarnsea beordert, um die Sachlage zu klären.
Es ist das Jahr 1537 in England. Heinrich VIII. hat sich selbst zum Oberhaupt der Kirche ernannt und sich vom Papst losgesagt. Thomas Cromwell, Lordsiegelbewahrer und Generalvikar, ist eifrig damit beschäftigt, die Klöster aufzulösen und deren Ländereien und Reichtum der Krone zuzuführen. Nach dem gewalttätigen Aufstand im Norden des Landes versucht er allerdings mit allen Mitteln eine friedliche Auflösung zu erreichen, in dem die Äbte "freiwillig" die entsprechenden Papiere unterzeichnen und der Auflösung zustimmen. Mitten in diesen Ereignissen geschieht in einem Kloster nahe dem Ort Scarnsea an der Südküste Englands ein brutaler Mord. Der von Lord Cromwell entsandte Kommissar Singelton, der einige Unregelmäßigkeiten in den Büchern des Klosters aufdecken und die Auflösung des Klosters herbeiführen soll, wird enthauptet in der Küche des Klosters aufgefunden. Daraufhin wird der Rechtsanwalt Matthew Shardlake, der ebenfalls in den Diensten Cromwells steht, nach Scarnsea entsandt um den Mord aufzuklären und die Arbeit seines Vorgängers weiterzuführen. Diese Aufgabe erweist sich allerdings als nicht ganz leicht, da die Mönche einige Sachen vor ihm zu verbergen scheinen und er es bald nicht mehr nur mit einem Mord zu tun hat.
Kirchliche Strukturen in Auflösung begriffen
C.J. Sansom ist mit seinem ersten Band um den Rechtsanwalt Matthew Shardlake ein spannender und überzeugender historischer Kriminalroman gelungen. Bereits von der ersten Seite an versetzt er seine Leser in das England der damaligen Zeit und schafft eine düstere, faszinierende Atmosphäre, die einen unweigerlich immer tiefer in die Geschichte zieht. Dazu dient ihm einerseits die Umgebung, die er für die Geschichte gewählt hat: Ein verschneites Kloster, umgeben von Sumpfland, die Mönche, die das eine oder andere vor dem Kommissar zu verbergen haben, die klirrende Kälte... Allein damit erschafft Sansom eine düstere und gruselige Stimmung. Doch ebenso geschickt webt er die damaligen politischen Ereignisse mit hinein, um diesen Eindruck noch zu verstärken. Die Klöster leben in der ständigen Angst vor ihrer Auflösung und bemühen sich, sich so unauffällig und gefällig wie möglich zu zeigen. Viele der Abteien verfügen über großen Reichtum, das Leben ist angenehm und sorgenfrei, wenn auch weit entfernt von den Regeln des Heiligen Benedikts, und viele Äbte herrschen fast wie weltliche Grundherren über beträchtlichen Besitz. Verständlich, dass keiner allzu erpicht darauf ist, dieses Leben aufzugeben. Zumal auch viele Mönche gar nicht wüssten, was sie in der weltlichen Welt anfangen sollten. Mühelos wird diese Situation dem Leser näher gebracht. Man kann die Sorge und Hilflosigkeit der Mönche nachvollziehen, die sie angesichts der sich schnell wandelnden Zustände empfinden. Ebenso wird einem das unbarmherzige Vorgehen Cromwells näher gebracht, der die Auflösung der Klöster vorantreibt, heilige Reliquien verbrennen und deren Behältnisse zu Geld machen lässt. Die kirchliche Welt, wie sie bis dahin bestand, befindet sich in Auflösung und daher ist der englische Originaltitel "Dissolution" (dt. Auflösung) treffender gewählt als die deutsche Übersetzung.
Keine strahlende Helden und keine abgrundtiefen Bösewichte
Doch nicht nur in der Erschaffung der Rahmenbedingungen erweist sich Sansom als wahrer Meister, auch in der Figurenerschaffung sticht er viele seiner Kollegen aus. Matthew Shardlake ist alles andere als ein gutaussehender, überaus cleverer und schnell kombinierender Detektiv. Von Kindheit an mit einem Buckel geschlagen, leidet er sehr unter seiner Behinderung und ergeht sich auch durchaus in Selbstmitleid darüber. Zudem zieht er des Öfteren die falschen Schlüsse, folgt falschen Fährten und dreht sich hin und wieder im Kreis. Allerdings ist er auch sehr ausdauernd und folgt hartnäckig allen Hinweisen, die ihn zur Wahrheit führen könnten. Außerdem ist er ein fast schon fanatischer Reformer, der mit einer geradezu überraschenden Naivität daran glaubt, dass Cromwell die Besitztümer der aufgelösten Klöster dafür verwenden wird, eine bessere Welt für alle zu erschaffen und in einer erschreckenden Blindheit vor der Realität versucht, sich diesen Glauben auch zu bewahren, was allerdings immer aussichtsloser wird. Doch nicht nur der Rechtsanwalt kann als Figur überzeugen, auch alle weiteren Haupt- bzw. Nebenfiguren, die eine wichtige Rolle spielen, sind sehr gut gelungen. Da ist Mark Poer, der in Shardlakes Haushalt lebt und ihn auf seiner Mission begleitet. Durch ein Techtelmechtel mit einer Kammerzofe am Hof ist er in Ungnade gefallen und von seinem Amt verbannt. Er hat eine sehr viel realistischere Sicht auf die Geschehnisse dieser Zeit und leidet aufgrund seiner ausgeprägten Moral und inneren Stärke sehr darunter. Etwas, das Shardlake zunächst weder verstehen noch wahrhaben will.
Auch die Mönche, vom Abt über den Prior und den Schatzmeister bis hin zum Sakristan und dem Siechenmeister haben ihre Stärken und Schwächen sowie ihre Geheimnisse, die sie nicht ans Licht kommen lassen wollen. Sie alle bereichern das Buch ungemein und geben der Geschichte Würze und Tiefgang.
Nur der Hauch eines Wermutstropfens gegen Ende
Der Kriminalfall an sich wird auch nicht vernachlässigt. Nach einem ruhigen, fast schon zu gemächlichen Anfang wird die Spannung dann bis zum Schluss aufrechterhalten, es sind einige überraschende Wendungen eingebaut und es dauert seine Zeit, bis der Leser schließlich, ebenso wie Shardlake, ahnt, wer der Mörder war. Nur im letzten Teil der Erzählung kann man bemängeln, dass Sansom etwas über das Ziel hinaus schießt und ein paar unglaubwürdig erscheinende Szenen einbaut. In der Gesamtschau fallen diese aber nicht sonderlich ins Gewicht.
Insgesamt gesehen ist C.J. Sansom ein spannender und fesselnder Krimi gelungen, der einige überraschende Wendungen aufweisen kann und es versteht, ein Stück des damaligen Zeitgeistes zu transportieren. Wer sich an einer düsteren, manchmal bedrückenden Atmosphäre nicht stört und wer zudem noch Protagonisten mag, die weder schwarz noch weiß sind, sondern viele verschiedene Eigenschaften in sich vereinen, der kann hier bedenkenlos zugreifen.
C. J. Sansom, Scherz
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