Die Puppennäherin
- Weltbild
- Erschienen: Januar 2009
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- Weltbild, 2009, Titel: 'Niemandstochter', Originalausgabe
Durch den Titel zum Mauerblümchen verdammt
Kurzgefasst:
Glatt am Neckar, um 1530. Die unehelich geborene Barbara ist erleichtert, als sie an den wohlhabenden Hoferben Andres Breitwieser verheiratet wird. Doch Andres ist jähzornig und begehrt gegen die Herrschaft des Grundherren auf. Barbara lässt sich in die Wirren der Bauernkriege hineinziehen. Auf der Flucht wird Barbara von marodierenden Landsknechten vergewaltigt, in letzter Minute rettet der junge Ritter Johannes ihr Leben. Barbara findet Zuflucht in einem Hurenhaus, wo sie ihr Kind gebären soll. Um dort nicht bleiben zu müssen, beginnt sie Puppen zu nähen und sie zu verkaufen. Tatsächlich kann sie sich so eine bescheidene Existenz aufbauen. Da führt das Schicksal Ritter Johannes und Barbara wieder zusammen. Kann ihre Liebe den gewaltigen Standesunterschied überwinden?
Das Schicksal scheint es gut mit Barbara zu meinen. Das unehelich geborene Mädchen soll den wohlhabenden Andres Breitwieser heiraten. So haben es ihre Mutter und Andres´ Vater ausgemacht. Dann aber stirbt Barbaras künftiger Schwiegervater und Andres begeht auf ihren Rat hin den folgenschweren Fehler, seinem Grundherrn eine Abgabe vorzuenthalten. Durch eine ungeschickte Handlung von Simon, dem jüngeren Bruder von Andres, fliegt die Sache auf und Ritter Heinrich bestraft den jungen Bauern hart. Für Andres gibt es nur noch den Weg, sich den aufständischen Bauern anzuschließen, die durch das Land ziehen und die Burgen der Adligen stürmen. Doch der Aufstand wird niedergeschlagen und Ritter Heinrich von Renschach straft die Beteiligten, unter denen er auch Barbara ausmacht. Sie muss ihre Heimat verlassen. Dass sie ein Kind unter dem Herzen trägt, ist für Heinrich von Renschach kein Grund, Milde walten zu lassen.
Gekonnt aufgebaut
Isabell Pfeiffer legt in ihrem Debüt-Roman ein forsches Tempo vor. Sie versteht es ausgezeichnet, verschiedene Schicksale und Handlungsstränge ineinander zu verweben und ein komplexes, aber verständliches Bild der Bauernaufstände zu zeichnen. Dabei verzichtet sie auf eine Stellungnahme: Es gibt in ihrer Darstellung weder nur "Gut" noch nur "Böse". Vielmehr legt die Autorin geschickt dar, weshalb die Bauern gegen ihre Grundherren aufstanden, aber auch, wie die Grundherren dachten und handelten. Diese schlüssige Darstellung der Ereignisse macht den Boden des gekonnt aufgebauten Romans aus.
Überzeugende Charaktere
Mit Barbara präsentiert Isabell Pfeiffer eine Protagonistin, die tatsächlich gelebt haben könnte. Wohl ist die junge Frau von einem immensen Überlebenswillen geprägt, der es ihr auch möglich macht, mit belastenden Situationen umzugehen, doch ist sie nicht die strahlende Überheldin, die jedes Mal im letzten Moment von einem starken Ritter gerettet wird. Dies verleiht dem Roman eine schlichte Tiefe, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht und keine Einbrüche zulässt.
Stoff zum Nachdenken
Die Puppennäherin liest sich nicht einfach mal zwischendurch weg. Sie verlangt, dass man sich mit ihr auseinander setzt und liefert viel Stoff zum Nachdenken. Also ein überaus ausgewogener und stimmiger historischer Roman, der alle notwendigen Komponenten aufweist, um eine breite Leserschaft zu überzeugen. Oder wenigstens fast alle Komponenten. Denn durch die unglückliche Titelwahl hat der Verlag das Buch zu einem Mauerblümchendasein verknurrt. Die Puppennäherin ist weder ein typischer "Die ...in"-Roman, der ausschließlich an der Oberfläche schwimmt, noch wird die Geschichte durch das Puppennähen irgendwie getragen. Die entsprechenden Sequenzen kommen so spät vor im Roman, dass sich mancher über mehr als 300 Seiten fragt, wie denn um alles in der Welt dieser Titel zustande gekommen ist. Und noch ein Punkt ist störend und lässt wohl manchen zögern, der den Roman in Händen hält: Auf der Buchrückseite wie im Klappentext ist - prominent gesetzt - von Vergewaltigung und Hurenhaus die Rede. Dies ist sehr bedauerlich, sind das doch lediglich Eckpunkte, nicht aber die eigentlichen Elemente des Romans. So hat der Verlag hier einen Trumpf verschenkt. Denn gerade der Umstand, dass es sich bei Die Puppennäherin um einen solch tiefgründigen und auch sprachlich sehr ansprechenden Roman handelt, hätte dem Buch Türen öffnen sollen. Wirklich schade, dass der Verlag nicht wenigstens beim zunächst angekündigten Titel Niemandstochter geblieben ist. Dies wäre dem Inhalt um ein großes Stück gerechter geworden.
Bauernaufstände, Leibeigenschaft und Menschen, die versuchen, aus dem vorgegebenen Schema auszubrechen sind Gegenstand dieses Romans. Wer immer verstehen möchte, welche Mechanismen in diesen frühen Jahren des 16. Jahrhunderts gespielt haben, wird darauf in Die Puppennäherin eine Antwort finden. Wohl keine abschließende, aber zumindest eine Antwort. Wirklich lesenswert!
Isabell Pfeiffer, Weltbild
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