Wo die Helden schlafen

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2009
  • 2
  • Fischer, 2007, Titel: 'Redemption Falls', Originalausgabe
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Almut Oetjen
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Histo-Couch Rezension vonJul 2009

Nachtstücke

Kurzgefasst:

Den Kartographen Alan verschlägt es in die raue Goldgräberstadt Edwardstown. Dort lernt er Lucia, die Frau des mysteriösen und launischen Gouverneurs O'Keefe kennen. Lucia ist hin- und hergerissen zwischen der Loyalität zu ihrem Mann und der rasenden Liebe zu Alan. Während die Männer auf den Schlachtfeldern nur eine Freiheit kennen - die aus der Gewehrmündung - , erkämpft sich Lucia die Freiheit der wahren Liebe. Sie fällt eine bahnbrechende Entscheidung...

 

Der amerikanische Bürgerkrieg ist gerade beendet, Menschen versuchen sich wieder im Leben einzurichten. General James Con O'Keeffe, genannt "Das Messer", ein irischer Immigrant und Veteran der Unionsarmee, wird kommissarischer Gouverneur im "Territorium" mit Redemption Falls als Hauptstadt. Eliza Mooney sucht ihren Bruder Jeddo, der als Trommler am Krieg teilgenommen hat. Sie schlägt sich als Prostituierte durch, trifft auf den ehemaligen Konföderierten McLaurenson und dessen Leute, die sie als Gefangene halten, misshandeln und für sich arbeiten lassen. Cole John McLaurenson stößt irgendwann zu ihnen, ist entsetzt ob der Behandlung Elizas und tötet die Männer bis auf seinen Bruder, den Eliza erschießt. Cole und Eliza heiraten, Eliza bekommt ein Kind aus den Vergewaltigungen.

Diese beiden Geschichten berühren einander und sind verbunden mit weiteren, so der des Kartographen Captain Winterton, den eine tiefe Liebe mit O'Keeffes Ehefrau Lucia verbindet, und der Geschichte der ehemaligen Sklavin Elizabeth Longstreet, deren materielle Lage sich nach der Freilassung verschlechtert und die Opfer von Rassismus, Demütigungen und sozialer Ausgrenzung bleibt.

Romane über irische Migranten

Der irische Schriftsteller Joseph O'Connor wurde hierzulande einer breiteren Leserschaft bekannt mit seinem Roman Die Überfahrt. Darin folgt er irischen Migranten im Winter 1847, dem Höhepunkt der großen Hungersnot in Irland, auf ihrem Weg nach Amerika. In Wo die Helden schlafen, der bald zwanzig Jahre später spielt, arbeitet er auf die gleiche formale Weise, mit wechselnden Perspektiven und einer Vielzahl von Stimmen. Aber wo der erste Roman durch die Überfahrt noch eine klare zeitliche und räumliche Struktur hat, ersetzt O'Connor diese in seinem nachfolgenden Buch durch Raum-Zeit-Sprünge.

Rund eine viertel Million Iren kämpften im Bürgerkrieg für die beiden Parteien, für den Norden ungefähr doppelt so viele wie für den Süden. Gemessen an der Zahl der Einwanderer, war die Anzahl der Kriegsfreiwilligen unter den Iren überproportional groß. Für die Iren war es normal, in Amerika ausgenutzt und diskriminiert zu werden. Viele dachten, ihre Situation würde sich durch das entschiedene Eintreten für ihr neues Heimatland, durch die demonstrative Zurschaustellung von Loyalität, verbessern.

Panoramisches Lesen

In diesem Buch bewegt man sich wie in einem Panorama, den Blick ständig auf einen anderen Ausschnitt gerichtet. Es verbindet verschiedene Geschichten, vorgetragen von Ich-Erzählern, Tagebucheinträge, Briefe, Zeitungsartikel, Balladen und Gedichte, Anzeigen, Hinrichtungs- und Gerichtsprotokolle, Berichte des Geheimdienstes und eines Untersuchungsausschusses, einen Nachruf, eine Bildbeschreibung, Steckbriefe und Überblicke des Verfassers. O'Connor lässt seine Figuren unterschiedlich sprechen, so im Englisch befreiter Sklaven, irischer Immigranten und der Oberschicht Bostons. Die Vielstimmigkeit der Erzählung findet ihren Widerhall in der Sprache der Menschen. Verschiedene Sprachen und die Variabilität in den Ausdrucksformen einer Sprache geben einen reizvollen Einblick, wie sich Mitte des neunzehnten Jahrhunderts kommunikative Annäherungen und Differenzen entwickelt haben könnten.

Der Genuss des Inhalts

O'Connor liefert uns eine Rohfassung, sortiert das Material, gibt unmittelbar im Text fiktionale Quellen an, liefert Transkriptionen schwer lesbarer Handschriften, die Ansprüche an textkritische Editionen erfüllen. Er simuliert einen Historiker, der sein Material sichtet, philologisch genau behandelt, aber am Ende nicht zu einem geschlossenen Text fügt. Dies überlässt er uns Lesern, die beim Lesevorgang wiederum eine spannende, teils emotional ergreifende, teils sachlich trockene Materialsichtung simulieren.

Der Roman ist zwar auch traditionell lesbar. Aber den wirklichen Genuss bietet er über seine Struktur, die Organisation des Materials, die es erlaubt, sich aktiv in die Lektüre zu versenken. Es gibt kein direktes Zusteuern auf Wendungen oder Endpunkte. Wir können den Text-Mischwald durchforsten, in seinem Blattwerk spielerisch Verbindungen herstellen und Sinn erschließen. Leser, die einmal ein Buch lesen wollen, dessen Geschichte sie aus Collagematerial selbst zusammensetzen müssen, lassen sich auf ein reizvolles Experiment ein.
Ob ein solches Buch in Deutschland einen Verlag gefunden hätte, wenn es nicht bereits im englischsprachigen Raum erfolgreich gewesen, sondern von einem deutschen Autor vorgelegt worden wäre?

Aus der Welt des Bösen

Eliza Mooney sagt einmal: "Es scheint, dass die ganze Welt böse ist." O'Connor inszeniert die Welt als einen Ort, in dem es keine Erlösung gibt. Programmatisch ist der Name der Stadt Redemption Falls - der auch der Originaltitel des Romans ist. Jeder Sünder sei das Kind einer Mutter, schreibt Joseph O'Connor, und bezieht sich an anderer Stelle explizit auf Dantes Inferno. Wo die Helden schlafen zeigt, was geschieht, wenn die Realität vor unseren Augen zerfällt und wir nicht einmal mehr in der Lage sind, eine Alternative zu denken.

Der Epilog ist datiert auf 1937 und führt systematisch Erzählstränge zu Ende. Er trägt den Titel "La Fanciulla del West", nach der gleichnamigen Oper von Giacomo Puccini (dt. Das Mädchen aus dem goldenen Westen), in deren drittem Akt der Hauptfigur Gnade zuteil wird. Aber diese Gnade ist nur der Möglichkeit nach vorhanden. Zur Zeit des Epilogs wird an der Fortsetzung schon unter Hochdruck gearbeitet. Kurz auf 1937 folgt dann 1939...

 

Wo die Helden schlafen

Joseph O'Connor, Fischer

Wo die Helden schlafen

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