Johann Jährig
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- Erschienen: Januar 2008
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- , 2008, Titel: 'Johann Jährig', Originalausgabe
Interessantes Thema ziemlich komplex umgesetzt
Kurzgefasst:
Auf einem Basar in der chinesischen Provinz Sinkiang lässt Zoltán Kmetty sich ein Buch aufdrängen. Es enthält die Aufzeichnungen von Johannes Jährig, eines verkannten deutschen Mongolenforschers des 18. Jahrhunderts. Jährig erzählt seine Wanderschaft von Büdingen an die Wolga, wo die buddhistischen Kalmücken missioniert werden sollen. Wegen einer Liebesaffäre mit einer Heidin wird er von den Mährischen Brüdern ausgeschlossen und tritt in die Dienste der zaristischen Akademie der Wissenschaft in Sankt Petersburg. Neben wissenschaftlichen Berichten schreibt er sein Tagebuch, was Kmetty über ein Jahrhundert später in den Händen hält. Kmetty ist mit dem Geheimpolizisten Radnaa unterwegs, der ihn eigentlich nach Peking bringen sollte, aber überraschend den Weg nach Westen einschlug. Der Gefangene und der Polizist werden langsam Freunde und entziffern unterwegs Schritt für Schritt Jährigs geheimnisvolles Tagebuch.
Johann Jährig, ein deutscher Mongolenforscher zur Zeit des Spätbarocks, war der tibetischen Sprache mächtig und schickte sogar an den Dalai Lama Übersetzungen. Karlheinz Schweitzer hat sich dieser außergewöhnlichen Figur angenommen und einen ereignisreichen und dichten Roman um sein Leben gewoben.
Neben Jährig ist da noch Zoltán Kmetty, die zweite Hauptfigur dieses Romans. Schweitzer lässt Kmetty im Jahr 1979 durch Zufall auf ein Buch stoßen, das nichts Geringeres als Jährigs Tagebuch ist. So begibt Kmetty sich auf Spurensuche und der Leser sich mit ihm.
Eine zweifelsfrei sehr interessante Figur hat sich Karlheinz Schweitzer für seinen Roman auserkoren. In zwei Erzählsträngen, einer spielt zu Jährigs Lebezeiten, der zweite 1979, führt der Autor den Leser durch das Geschehen. Aber was in der Regel für Spannung und Abwechslung sorgt, wird hier ziemlich anstrengend.
Zu viel Information
Schweitzer hat unbestritten ein immenses Wissen, studierte er doch u.a. Völkerkunde, osteuropäische Geschichte und Kulturanthropologie. Dieses geballte Hintergrundwissen ist es aber auch, was einer flüssigen Erzählweise in diesem Fall im Wege steht. Der Leser bekommt schnell das Gefühl des "Überfordertseins", der Überfrachtung an Ereignissen und ob der Fülle an Informationen, die auf ihn hereinstürzen.
Der intellektuelle und geschichtlich äußerst interessante Hintergrund ist fraglos gegeben und man möchte auch mehr erfahren über den ungewöhnlichen Menschen Jährig, aber ein entspanntes und angenehmes Lesen ist nicht möglich, da man einerseits stets immens aufpassen muss, um der Geschichte folgen zu können und anderseits ziemlich beschäftigt ist, all die fremden Namen und Bezeichnungen, und vor allem die komplexen politischen Hintergründe, zu erfassen - und sich auch zu merken.
Schwierige und unfertig wirkende Sätze
Fordert die Geschichte selbst schon die ganze Aufmerksamkeit, macht die oftmals wie abgehackt und etwas gestelzt wirkende Sprache, die auch noch voller oft seltsam anmutenden Metaphern sind, noch ihr übriges.
Vom Skythischen Vorgebirge an ist die erste Gegend wegen Schnee unbewohnbar, die nächste unangebaut wegen der Wildheit der Bewohner. Dort hausen menschenfressende Skythen mit ihren kallipygischen Kebsweibern, einbeinige Windgötter, blasse Lotusluder, Anabaptisten und das ewig berauschte hochheilige Volk der Hyperboreer.
Von allem etwas zu viel des Guten
Schweitzer liebt es bildlich zu schreiben, findet aber auch hier schwer das richtige Maß. Die Erzählung ist voller Metaphern und man liest von Frauen, die mit ihrem Fohlengesicht durch die Nüstern blasen, Zungen die kreiselten wie Planeten in einem Narrenorbit und einer feisten Silberkette die funkelte wie ein liegender Halbmond über ihren Puddingtitten, die sanft zitterten, wenn sie die Seiten umblätterte...
Diese Art von Veranschaulichung trägt dazu bei, dass im Kopf des Lesers nicht einfach Bilder der interessanten Länder, deren Kultur und die Mentalität der Bewohner darstellen, sondern sich alles in einem etwas wirren Chaos darstellt. Die ebenso überfüllte Sprache wirkt auch oft etwas angestaubt und nicht, wie vom Autor wahrscheinlich gewünscht, authentisch.
So hat man einen Roman mit einem wirklich interessantem Thema und zwei ebensolchen Protagonisten und findet doch schwer in die Geschichte. Man braucht schon ein ziemliches Durchhaltevermögen und vor allem auch eine große Portion Wissbegier, um sich durch dieses Buch zu kämpfen. Hätte Schweitzer anstatt eines Romans ein Sachbuch über Johann Jährig geschrieben, sähe das Ergebnis bestimmt anders aus. So jedoch wurde ein an und für sich wirklich innovativer Stoff zu "lehrbuchmäßig" und auch zu gezwungen bildhaft dargestellt, was den Leser so extrem fordert, dass das Lesevergnügen auf der Strecke bleibt.
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