Das Erbe des Baumeisters

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2001
  • 1
  • Piper, 1962, Titel: 'The green branch', Originalausgabe
Das Erbe des Baumeisters
Das Erbe des Baumeisters
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Annette Gloser
861001

Histo-Couch Rezension vonAug 2009

Eine Frage der Ehre

Kurzgefasst:

Harry Talvace, der Sohn des legendären Baumeisters, gelobt, den Tod des Vaters zu rächen, doch ist der Jüngling dem unbarmherzigen Gegner weit unterlegen. Trotzdem spüren die beiden Widersacher eine unerklärliche Verbundenheit, die ihrem Schicksal die entscheidende Wendung gibt.

 

Im Jahr 1228 sind dreizehn Jahre vergangen, seit Ralf Isambard auf Parfois den Baumeister Harry Talvace töten ließ. Harrys Frau Gilleis und sein Sohn haben in Wales Zuflucht gefunden, am Hof des Fürsten Llewelyn. Auch Adam Boteler, der Jugendfreund des Baumeisters, lebt hier. Er hat Gilleis geheiratet und ist ihrem Sohn ein guter Stiefvater und Lehrmeister. Der Junge trägt den Namen seines Vaters - Harry Talvace. Er wächst am Hof des Fürsten auf, als Gefährte der Prinzen David und Owen. Und auch wenn der junge Harry einen normannischen Namen trägt, so fühlt er sich doch ganz und gar als Waliser. Und für ihn gibt es nur ein einziges Ziel im Leben: Seine Galanas, die Blutschuld, die er bei Ralf Isambard für seinen Vater eintreiben muß.

Schon früh zeichnet sich Harry im Krieg gegen die Engländer aus und es gelingt ihm sogar, einen hochrangigen Gefangen zu machen : William de Breos. Aber es dauert nicht lange, da erliegt Harry dem ritterlichen Charme "seines" Gefangenen und de Breos wird für den Jungen zum Idol ohne Fehl und Tadel. Und noch jemand kann de Breos nicht widerstehen. Fürstin Joan verliebt sich in ihn. Als Llewelyn seine Gemahlin mit de Breos im Bett ertappt, macht er kurzen Prozeß. De Breos wird hingerichtet und Joan lebt fortan als Gefangene. Der junge Harry jedoch, dem Llewelyn ebenfalls Vorwürfe macht, verlässt bei Nacht und Nebel Burg Aber und macht sich auf den Weg nach Parfois. Er glaubt, Schande über sich und seinen toten Vater gebracht zu haben und will Isambard töten um nun zumindest die Blutschuld einzufordern, die seit dem Tod des Baumeisters offen ist.

Der alte Ritter verhält sich jedoch zu Harrys Leidwesen überhaupt nicht so, wie der rachsüchtige Junge es von ihm erwartet. Er weicht dem Kampf nicht aus, aber er vermeidet es, Harry zu verletzen und nimmt ihn gefangen. Lange Wochen der Unsicherheit kommen auf Harry zu. Es gelingt ihm nicht, seinen Gegner zu durchschauen. Nach und nach entwickelt er sogar eine gewisse Achtung für den "alten Wolf". Und als Isambard ihm das Erbe seines Vaters aushändigt, Werkzeuge und Zeichnungen, spürt Harry, daß er auf Parfois niemals allein sein wird. Immer und überall wird sein Vater ihn begleiten. Aber wird das ausreichen, um gegen Isambard zu widerstehen?

Llewelyn der Große

Einer der wichtigen Protagonisten in Das Erbe des Baumeisters ist Fürst Llewelyn, der in die Geschichte seiner Heimat Wales als "der Große" eingegangen ist. Sein Bemühen um die Eigenständigkeit von Wales und seine Auseinandersetzungen mit dem englischen König Heinrich III. bilden den historischen Hintergrund für die Geschichte des jungen Baumeisters Harry Talvace. Im Gegensatz zu Llewelyn, der tatsächlich in Wales herrschte, ist Ralf Isambard auf Parfois eine fiktive Gestalt, die jedoch eine damals aufkommende neue Strömung in der englischen Politik verkörpert: orientiert auf ein einiges England- inklusive Wales und Schottland, weg von den französischen Besitzungen. Damit ist Isambard ein Realpolitiker der frühen Stunde und entsprechend unbeliebt.

Zwar ist der Kampf des Fürsten Llewelyn nicht das Hauptanliegen dieses Romans, jedoch bringt die Autorin ihren Lesern die historische Persönlichkeit des Fürsten näher und man spürt beim Lesen deutlich ihre Sympathien für dessen politische Ziele. Sie zeichnet auch ihn als Realisten, der versucht, gegen eine Übermacht zumindest die Würde seines Volkes zu bewahren:

 

Uns bleibt nur zu versuchen, die Form zu bestimmen, in der sie in unser Land kommen, und die Grundlage des zukünftigen Zusammenlebens von Walisern und Engländern zu schaffen, damit wir wenigstens unsere Ehre und Identität behalten können. So können wir freie Nachbarn und Verbündete werden statt Feinde. Und noch eines ist mir bewusst: Wenn wir zu einer solchen Übereinkunft mit ihnen gelangen wollen, müssen wir erst herausfinden, wer und was wir sind, und wir müssen unserem Blut und unserer Sprache den gebührenden Wert geben. Damit meine ich nicht nur Gwynedd oder Powis oder den traurigen Rest von Deheubarth, sondern ganz Wales und alle Waliser.

Isambard dagegen, als kongenialer Gegenspieler Llewelyns, wird als einsamer Machtmensch gezeichnet. Und doch spürt der Leser sehr schnell, daß hier tiefe Gefühle verborgen werden, daß die nach außen gezeigte Fassade des alternden Ritters nicht das ist, was seine Persönlichkeit ausmacht.

Der junge Harry mit seinen wild schäumenden Emotionen und Gedanken bekommt natürlich ebenfalls großen Raum. So nimmt es nicht Wunder, daß für die Nebenrollen nicht allzu viel Farbe auf der Palette blieb und diese eher blaß daher kommen. Allenfalls Harrys engste Bezugspersonen, wie Gilleis oder Fürstin Joan, sind ein wenig vielschichtiger gestaltet.

Ritter ohne Furcht und Tadel

Ellis Peters entführt ihre Leser in eine Welt voller Ehre und Ritterlichkeit. Gelegentlich meint man beim Lesen im Hintergrund die Kettenhemden rasseln zu hören. Vor den Augen des Lesers entsteht eine Szenerie, der man sich nicht so ohne Weiteres entziehen kann, fesselnd, spannend und gelegentlich mit dem, was im modernen Film "action" heißt. Der fast schon ein wenig altmodisch anmutende Sprachduktus passt wunderbar dazu, ohne aufgesetzt zu wirken und ohne den Leser zu linguistischen Verrenkungen zu zwingen. Die Autorin lässt Ritterburgen und Wälder, Schlachtszenen und zarte Berührungen an ihren Lesern vorbei ziehen, erzählt in flottem Tempo und erlaubt sich doch immer wieder mal Pausen, um die Gedanken eines ihrer Protagonisten genauer zu erforschen. Insbesondere Harry Talvace widmet sie dabei große Aufmerksamkeit, hat dieser doch die schwersten Konflikte zu bewältigen.

In diesem Roman agieren viele Ritter ohne Furcht und Tadel, fast schon ein wenig zu edel, um wahr zu sein. Nun, immerhin, Isambard ist ja auch nicht wahr sondern fiktiv und insofern sei es ihm vergönnt. Die fiesen Ehrgeizlinge bleiben der direkten Romanhandlung fern, beeinflussen sie nur von weitem durch politische Entscheidungen. In diesem Roman stehen sich Gegner gegenüber, die sich brav an die Ritterregeln halten. Langweilig wird es darum aber trotzdem nicht, schließlich hat jeder so seine ganz speziellen Probleme. Und sehr eindrucksvoll schildert Ellis Peters, daß auch vor fast tausend Jahren der Krieg eine schreckliche Last für die betroffenen Menschen war.

Angenehmer Lesespaß

Das Erbe des Baumeisters ist als Taschenbuch bei Piper erschienen. Eine schlichte Ausgabe ohne Vorworte, Nachworte, beigefügte Landkarten etc., also Lesestoff pur. Und das reicht auch völlig aus, denn Ellis Peters gibt ihren Lesern alle nötigen Informationen im Roman. Dieses Buch ist ein Highlight für alle Mittelalterfans. Es ist spannend und voller großer Emotionen, bevölkert von kampferfahrenen Rittern und edlen Damen, treuen Dienern und einem liebenswerten jungen Mann auf der Suche nach seiner Rolle im Leben. Ein Roman, in den man sich hineinfallen lassen kann um nach Stunden aus einer längst vergangenen Welt wieder aufzutauchen und mit einem bedauernden Seufzer in die heutige Zeit zurückzukehren.

Das Erbe des Baumeisters

Ellis Peters, Piper

Das Erbe des Baumeisters

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