Hiobs Brüder
- Lübbe
- Erschienen: Januar 2009
- 24
- Lübbe, 2009, Titel: 'Hiobs Brüder', Originalausgabe
Ein typischer und doch untypischer Gablé-Roman
Kurzgefasst:
England 1147: Eingesperrt in einer verfallenen Inselfestung, fristen sie ein menschenunwürdiges Dasein, weil sie nicht zu den Kindern Gottes zählen: Simon hat die Fallsucht. Edmund hält sich für einen toten Märtyrerkönig. Regy ist ein Mörder und so gefährlich, dass er an einer Kette gehalten werden muss. Losian hat sein Gedächtnis und seine Vergangenheit verloren. Ausgerechnet Letzterem fällt die Führung dieser sonderbaren Gemeinschaft zu, als eine Laune der Natur ihnen den Weg in die Freiheit öffnet. Er bringt die kleine Schar zurück in die "wirkliche" Welt, wo Hunger, Not und Rechtlosigkeit herrschen. Auf ihrer Reise gelangt er zu erschreckenden Erkenntnissen über den Mann, der er einmal war. Und gerade als er einer Frau begegnet, mit der ein Neuanfang möglich scheint, beginnt Losian zu ahnen, dass er die Schuld an dem furchtbaren Krieg trägt, der England zugrunde zu richten droht...
Spinalonga - eine Insel für Leprakranke
Angeregt durch die Strand-Aussicht eines Kretaurlaubs auf die kleine vorgelagerte Insel Spinalonga, die früher das Ghetto für die Leprakranken Griechenlands war, begründet sich die Idee für den Plot des von den Fans lange Zeit erwarteten und nun erschienen neuen Romans von Rebecca Gablé: Hiobs Brüder.
Man muss sich einmal vor Augen führen, wie beklemmend das Gefühl der Kranken gewesen sein muss, wenn sie durch das Tor der Festungsanlage geführt wurden, wohlwissend, dass sie diese Insel lebend nie wieder verlassen würden.
Genauso ergeht es Simon de Clare, der aufgrund seiner Fallsucht von der eigenen Familie verstoßen wurde und von einigen Mönchen auf solch eine Insel verbracht wird. Dort trifft er auf "Menschen ohne Seele" und Menschen, die laut der Lehrmeinung der Kirche im Mittelalter nicht nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurden. Beide sind somit von den anderen Menschen fernzuhalten, um diese nicht auch noch zu verderben: Losian, der sein Gedächtnis verloren hat, King Edmund, der sich für den englischen Märtyrerkönig hält, die siamesischen Zwillinge Godric und Wulfric, Oswald mit Downsyndrom, Regy der Serienmörder und der verrückte Luke, der glaubt, eine Schlange lebe in seinem Bauch und noch viele andere - mehr oder weniger - Verrückte und körperlich Missgestaltete, definitiv aber arme Teufel, die ihr Leben gefangen auf dieser Insel verbringen müssen.
Ein Unglück als Glücksfall für die ungewöhnliche Gemeinschaft
Glücklicherweise können einige Überlebende schon bald nach Simons Ankunft auf der Insel flüchten. Manch einer der Protagonisten ist aber schon so lange dort gewesen, dass die plötzlich gewonnene Freiheit gar nicht mehr so erstrebenswert ist. Schließlich muss die Gemeinschaft ab jetzt ihr Leben selbst in die Hand nehmen und fürs Überleben kämpfen, und das ist natürlich schwierig genug, zumal sie auch immer wieder auf Ablehnung durch die Bevölkerung stoßen.
Das ist der ungewöhnliche Teil an dem neuen Gablé-Roman, der erfrischend neue Ideen und für Menschen unseres Zeitalters manch nachdenkenswerte Begebenheit zu erzählen weiß. Nachdenkenswert deshalb, weil viele grotesk anmutende Verhaltensmuster der Menschen im Mittelalter gerade eben auch noch in unserer Gesellschaft Gültigkeit haben bzw. erschreckenderweise bis heute wahrnehmbar sind (Behandlung Behinderter im 3. Reich, Stigmatisierung Behinderter bis zum heutigen Zeitpunkt).
Auch die Behandlung der englischen Unterschicht durch die Autorin ist so noch nicht da gewesen, da ihre Bücher üblicherweise von Königen oder Adeligen handeln.
Auch Gablé-Fans werden ihre Story im Roman wiederfinden
Trotzdem ist Hiobs Brüder auch wieder ein unverkennbarer Roman von Rebecca Gablé. Spätestens ab Mitte des Buches schildert die Autorin wieder ein spannendes Erzählepos, bei dem die Leserschaft jederzeit mit den Protagonisten mitfiebert. Ein ständiges Auf und Ab der Gefühle, wenn Losian wieder ein Stück seines Lebenspuzzles zusammensetzen kann oder wenn Rebecca Gablé scheinbar eine Weiche stellt, nur um die Handlung wenige Kapitel danach wieder in völlig andere Bahnen zu lenken.
Auf alle Fälle ist der zweite Part wieder politischer und geschichtsträchtiger und handelt einmal mehr von den Adeligen und Herrschern, so wie man es bei den bisherigen Romanen der Autorin ja immer gewohnt war.
Verbindendes Element beider Teile ist die durchgängige Glaubwürdigkeit der Geschichte, bei der es wieder schwer fällt, zielsicher zu erraten, was Fiktion und was Wirklichkeit ist. So ist auch Hiobs Brüder ein toller Roman, bei dem das Kopfkino von Anfang bis zum Schluss zum Einsatz kommen kann, der die englische Geschichte farbenfroh und spannend zu vermitteln weiß und bei dem viele Leserinnen und Leser wieder ein ganzes Wochenende am Stück auf dem Sofa verbringen werden. Gut 900 Seiten dürften in den meisten Fällen dafür ausreichend sein.
Es ist eines der Markenzeichen von Rebecca Gablé: Eintauchen in die Welt des englischen Mittelalters, mitfiebern mit den Protagonisten und freuen, wenn es doch wieder irgendwie versöhnlich ausgeht. Das hat sie bei Hiobs Brüder erneut eingehalten. Und das ist gut so.
Rebecca Gablé, Lübbe
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