Der Kopf des Löwen
- Heyne
- Erschienen: Januar 2007
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- Heyne, 2006, Titel: 'Qoëlet', Originalausgabe
Ein ungewöhnliches und faszinierendes Werk
Kurzgefasst:
Frankreich zu Beginn des 18. Jahrhunderts: In der Bretagne wüten die Pocken und hinterlassen eine Spur des Todes. Der junge Qoëlet, der die Schrecken der Krankheit von klein auf hautnah erlebt hat, verschreibt sein Leben der Aufgabe, ein Heilmittel zu finden. Die Suche danach führt ihn um die halbe Welt. Am Ende wird er nicht nur einen Impfstoff entdecken, sondern auch das Rätsel seiner Herkunft lösen...
Bretagne, Anfang des 18. Jahrhunderts: Qoëlet wächst auf einem abgelegenen Gut in der Bretagne auf. Kurz nach seiner Geburt erkrankte er an den Pocken und überlebte diese wie durch ein Wunder. Doch unter den abergläubischen Bewohnern des Landstrichs wird schon immer gemunkelt, dass das nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Qoëlet selbst erfährt davon nichts. Seine Kindheit ist geprägt von dem Kampf seiner Eltern um ihn. Sein Vater möchte ihn zu einem Soldaten drillen, so wie alle seine Vorfahren es waren. Seine Mutter möchte ihn Gott weihen und zum Priester ausbilden lassen. Schließlich bricht Qoëlet aus dieser Welt aus und macht sich auf die Suche nach seinem persönlichen Glück. Diese Suche führt ihn in fremde Länder, bisher schließlich die Frau seines Lebens in Paris trifft. Doch die Pocken bedrohen in jenen Zeit jedermanns Leben und Glück und so nimmt Qoëlet nach weiteren Reisen schließlich in Paris den Kampf gegen diese Krankheit auf...
Ein ungewöhnliches Leben in einer ungewöhnlichen Sprache erzählt
François de Gourcez hat mit seinem Debüt einen farbenprächtigen und interessanten Roman geliefert. Seine Sprache ist sehr phantasievoll, gespickt mit vielen, zum Teil ungewöhnlichen Metaphern und einer manchmal blumigen Ausdrucksweise, die das Lesen zum größten Teil zum Genuss macht. Lediglich in der Liebesgeschichte zwischen Qoëlet und seiner Geliebten gleitet er teilweise ins Schwülstige ab. Ansonsten gelingt es ihm mühelos, die diversen Orte der Handlung (u.a die Bretagne, Konstantinopel, Indien und Paris) vor das Auge des Lesers treten zu lassen und ihm eine Fülle von Eindrücken zu vermitteln. Dazu wählt der Autor eine ungewöhnliche Erzählperspektive: Er hat kein Buch aus Sicht Qoëlets geschrieben, sondern einen Roman über ihn, sozusagen aus der Sicht eines heutigen Erzählers, der in die Vergangenheit blickt. Daraus ergibt sich zum einen, dass er ungestraft Anachronismen verwenden darf (z.B. "krasse Ungewissheit") und der Leser auch Dinge erfährt, die Qoëlet und seine Freunde nicht wissen bzw. wissen können. Zum anderen birgt diese Art der Erzählung leider den Nachteil, dass man wenig über die Gefühle und Gedanken Qoëlets und anderer Personen erfährt, so dass es oft schwer ist, Nähe zu den Figuren aufzubauen und mit ihnen zu fühlen. Natürlich ist man betroffen über die Schicksalsschläge, die Qoëlet erfährt, aber es bleibt immer eine gewisse Distanz zu den Figuren und Ereignissen.
Durch die recht knappe Erzählweise kommen kaum Längen auf, man hat als Leser das Gefühl, durch eine farbenprächtige, spannende Zeit zu faszinierenden und fremden Orten zu reisen. Andererseits bleiben manche Ereignisse und Wendungen immer wieder etwas im Dunkeln. So ist beispielsweise das Zerbrechen diverser Freundschaften Qoëlets nicht sofort nachvollziehbar, weil sein Wandel bzw. die Auslöser dafür, nicht genauer erläutert werden.
Das Leiden durch die Pocken
Das zentrale Thema, neben der Suche nach dem Glück, ist die Pockenepidemie und ihre Bekämpfung. Sowohl in Serbien als auch in Konstantinopel und Indien trifft Qoëlet auf Leute, die auf ihre Art eine Immunisierung gegen diese Geißel der Menschheit gefunden haben. Da auch er selber jemanden durch diese Krankheit verloren hat, bemüht er sich schließlich, die Inokulation, wie das Verfahren genannt wurde, in Frankreich, speziell in Paris, durchzusetzen. Doch so mondän und weltgewandt sich die Franzosen auch geben, diesem (und nicht nur diesem) Fortschritt stehen sie heftig im Weg. Anschaulich wird geschildert, wie die meisten der angesehen, "gelehrten" Ärzte dieses Verfahren ablehnen und verunglimpfen. Man erlebt als Leser fassungslos, wie Aberglaube und verletzte Eitelkeiten verhindern, dass die lebensrettende Impfung an der breiten Masse angewandt wird. Für uns heute ist das unvorstellbar und man kann die damalige Haltung kaum nachvollziehen. Diese Auseinandersetzungen sind wunderbar geschildert und hier kann man wirklich mitfiebern und mit hoffen.
Auch die politischen Begebenheiten dieser Zeit schildert de Gourcez anschaulich und verständlich. Von den Ausdehnungsbestrebungen des osmanischen Bereichs über die Kolonialzeit der Franzosen in Indien und ihren dortigen Niedergang bis zum Beginn des Opiumhandels entsteht ein buntes Panorama der damaligen Zeit. Die Vielzahl von historischen Persönlichkeiten, die den Roman bevölkern, gibt ihm darüber hinaus noch eine besondere Note.
Trotz einiger kleiner Nachteile ist dieses Buch empfehlenswert. Besonders diejenigen Leser historischer Romane, die abseits von Mainstream nach Büchern suchen und die sich auf neue Erzählweisen und Sprachstile einlassen wollen, werden mit diesem Werk viel Freude haben.
François de Gourcez, Heyne
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