Der Bastard von Tolosa
- Droemer-Knaur
- Erschienen: Januar 2009
- 15
- Droemer-Knaur, 2009, Titel: 'Der Bastard von Tolosa', Originalausgabe
Ausdrucksstarker Debüt-Roman mit viel Gefühl!
Kurzgefasst:
Wie Tausende "Soldaten Christi" folgt der junge Edelmann Jaufré Montalban 1096 dem Aufruf des Papstes, Jerusalem von den Ungläubigen zu befreien. Viele grausame Schlachten später beginnt er am Sinn des Krieges zu zweifeln. Als seine Geliebte brutal niedergemetzelt wird, will er sich auf seine Burg nahe dem heutigen Toulouse zurückziehen. Doch dort erwartet ihn eine Gattin, die er nur unter Zwang geheiratet hatte - und eine tödliche Intrige um das Rätsel seiner Herkunft.
Der Bastard von Tolosa ist der Debüt-Roman von Ulf Schiewe. Ein mutiges Werk. Nicht jeder Debütant würde die Kreuzzüge, die Ich-Erzählform und die Retrospektive als Korsettstangen für ein Erstlingswerk wählen, zumal auch der beträchtliche Umfang des Romans mit über 900 Seiten leicht dazu hätte führen können, dass der Autor an seinem eigenen Vorhaben scheitert.
Eine rauhe und brutale Männergesellschaft
Wer lange Räuber war, soll nun Ritter werden. Wer gegen Brüder und Verwandte kämpfte, soll fortan auf gerechte Weise gegen die Barbaren kämpfen. Wer bisher für wenig Lohn als Söldner diente, soll seinen Lohn in der Ewigkeit finden.
(Papst Urban II., Aufruf zum Kreuzzug auf dem Konzil von Clermont, 1095)
Jaufré Montalban ist ein junger Adeliger, der von zu Hause ausreißt, um dem Ruf des Papstes zu folgen. Viel mehr aber noch, aus Trotz wider seiner - zwar standesgemäßen - Heirat, die jedoch gegen seinen Willen stattgefunden hat.
14 Jahre danach ist nicht mehr viel geblieben. "Die Zeit heilt alle Wunden" sagt man, Groll gegenüber der Familie weicht dem Heimweh und die sinnentleerte Brutalität der Kämpfe im Heiligen Land, wo sich mehr und mehr die Frage stellt, wer die Guten und wer die Bösen sind. Der überflüssige Tod von Freunden und Weggefährten tun ihr Übriges, dass Jaufré Montalban erkennt, dass dies ein Krieg ist, der ihn nichts mehr angeht.
Aufgrund eines geheimnisvollen Schreibens seines Onkels Odo kehrt Jaufré schließlich zurück und muss erfahren, wie es ist, wenn man einfach abhaut und 14 Jahre nichts von sich hat hören lassen. Er rennt wahrlich keine offenen Türen ein, weder bei seiner Frau, noch bei den Anwohnern seines Dorfes und schon gar nicht bei seinem älteren Sohn. Und trotzdem ist er gerade noch rechtzeitig heimgekehrt: Ein fremder Ritter versucht, das Land, den Titel und die Frau für sich zu gewinnen, die er, Jaufré, bis dahin niemals lieben gelernt hatte. Die Zeit der wahren Kämpfe hat somit gerade erst begonnen...
Der Autor reift mit seiner Geschichte - ebenso wie der Protagonist Jaufré Montalban
Wer hofft, mit Der Bastard von Tolosa einen einfach zu lesenden Roman erwerben zu können, sollte diesen getrost im Regal des Buchhändlers stehen lassen, zu viele Namen, unbekannte Ereignisse, politische und geografische Gegebenheiten prasseln zu Beginn des Buches auf die Leserschaft ein. Das recht unbekannte Terrain der Kreuzzüge muss von Ulf Schiewe erst einmal beschreiben werden und dafür braucht es viel Platz. Den ersten Teil des Buches deshalb als langatmig zu bezeichnen, trifft die Sache jedoch nicht richtig. Auch die Gedankenwelt des alternden Protagonisten, ob dieser dem jungen Mönch seine Lebensgeschichte anvertrauen kann, obwohl er ihn ja selbst einbestellt hatte, mag zu Anfang etwas wirr erscheinen (noch kennt ja der geneigte Leser nicht die ganze Geschichte). Das erklärt sich alles viel später und ist im Nachhinein betrachtet dermaßen brillant aufgebaut, dass man die durchaus skeptisch zu sehende Retrospektive zusammen mit der Ich-Erzählweise für dieses Werk als einzig logisches Stilmittel anerkennen muss.
Interessant ist auch der Wandel des Kreuzritters Jaufré Montalban, der zunächst als tumb-naiver und kriegswütiger Draufgänger beschrieben wird. Ein streitsüchtiger Raufbold, der sich nach mehreren Schlüsselerlebnissen langsam zu einem ausgebrannten und desillusionierten, gebrochenen Menschen entwickelt, bevor er, beseelt durch eine neue und große Verantwortung, endlich zeigen kann, was für ein Mensch er eigentlich tatsächlich ist.
Die von vielen Lesern kritisch gesehene Perspektive des von sich selbst erzählenden Hauptdarstellers erzeugt eine fesselnde Nähe zu diesem Menschen. Man selbst schlüpft in diese Rolle und erlebt die seelischen Höhen und Tiefen, als wären es die Eigenen. Dazu kommen immer wieder die gefühlten Sprünge in der Erzählform, wenn Jaufré die Rolle des um sein Leben kämpfenden Kreuzritters verlässt und überwechselt in sein Dasein als Memoiren-erzählenden Greis.
Eine fiktive Geschichte, die glaubhaft erzählt wird
Ein weiterer Pluspunkt des vorliegenden Romans ist die Plausibilität der Geschichte. Seine schnöde von ihm verlassene und nie geliebte Ehefrau wartet nicht sehnsüchtig auf ihn, zumal er noch eine Bastardtochter mitbringt. Seine Söhne erkennen und akzeptieren ihn nicht. Ein benachbarter Burgherr greift bereits nach seinen Besitztümern, und die Dorfbewohner lassen ihn spüren, dass er sie damals einfach im Stich gelassen hat. Und doch klappt die Annäherung - nicht schnell, aber stetig. Unter den geschilderten Umständen ist das glaubhaft.
Ulf Schiewe knüpft ein dichtes Netz von Intrigen. Der Roman lebt aber nicht von historischen überlieferten Begebenheiten, sondern von dem inneren Kampf eines Menschen, der erkennen muss, dass nicht immer alles so ist, wie es zu sein scheint und was man aus dieser Erkenntnis machen kann. Was wäre aber, wenn es diese Figur tatsächlich gegeben hätte und er sich anders entschieden hätte?
Der Bastard von Tolosa ist ein ganz erstaunliches Debüt-Buch: Ein Hardcover mit einem auch für historische Romane ungewöhnlich großen Umfang, einem Personenregister, historische Landkarten vom Heiligen Land bzw. den Corbieras, einem Inhaltsverzeichnis und der Danksagung des Autors. Nicht vergessen werden sollte die ungewöhnliche Covergestaltung, die wohltuend aus der Masse des Angebots am Markt heraus sticht.
Ein Roman, bei dem die Beteiligten alles richtig gemacht haben, wie ja auch schon die Leserwahl 2009 hier auf der Histo-Couch gezeigt hat. Erst im November 2009 in den Buchläden erschienen, hat es am Ende sogar noch in die Top10 gereicht. Einzig der Umstand, dass es manchmal recht brutal zugeht, bringt ein paar Punkte Abzug.
Ulf Schiewe, Droemer-Knaur
Deine Meinung zu »Der Bastard von Tolosa«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!