Die Entdeckung des Salai
- Kindler
- Erschienen: Januar 2009
- 1
- Kindler, 2009, Titel: 'L'uovo di Salaì', Originalausgabe
Bettgeschichten in Rom und die Entdeckungen Amerikas
Kurzgefasst:
Florenz 1508. Salaì, Schürzenjäger und Gehilfe von Leonardo da Vinci, wird in Florenz festgenommen. Der Vorwurf: Hochstapelei, Diebstahl und Verschwörung. Kurz zuvor ist Salaì im Auftrag Leonardos nach Rom gereist: Er soll einen sonderbaren Atlas finden, in dem zum ersten Mal von Amerika die Rede ist. Während seiner Suche kommt er einem Komplott auf die Spur, das die Wahrheit über die Entdeckung der Neuen Welt verschleiert. Zurück in Florenz, hat Salaì jedoch ein Problem: Er weiß so viel über die Verschwörung, dass er selbst zum Verdächtigen wird...
Mit Die Zweifel des Salaì begann der abenteuerliche Ritt Salaìs durch die Historie und die Betten des frühen sechzehnten Jahrhunderts. In der Fortsetzung Die Entdeckung des Salaì muss der Ziehsohn Leonardo da Vincis sieben Jahre nach der Handlung des Vorgängers allein nach Rom reisen und einen Auftrag Leonardos erledigen. Auf der Suche nach einem Buch über Kosmographie, in dem Amerika erstmals erwähnt wird, kommt Salaì einmal mehr einer Verschwörung auf die Spur. Die Wahrheit über die Entdeckung der Neuen Welt durch Columbus oder Vespucci soll aus politischen Motiven vernebelt werden. Aus diesem Nebel tritt Salaì um einige Kenntnisse reicher hervor und wird, zurück in Florenz, verhaftet, nicht zuletzt wegen seiner Verstrickung in einen Mord. In einer Abfolge von Verhören, Folterungen und Geständnissen gibt Salaì Aufschluss über seinen Auftrag und sein neu erlangtes Wissen.
Etwas vom Gleichen und etwas vom Anderen
Die überwiegend komischen Ereignisse werden in Gang gesetzt durch den Wunsch Leonardos, ein weitgehend unbekanntes Buch - "Cosmographiae introductio" von Martin Waldseemüller und Matthias Ringmann - zu plündern und die Beute als Eigenleistung auszuweisen. Wie im Vorgänger setzen Monaldi & Sorti der Handlung ein Vorwort voran, das vom Auffinden des Manuskripts und der Bedeutung für die heutige Zeit handelt. In den Text haben sie Kommentare eingestreut, wenngleich nicht so abwechslungsreich und einfallsreich wie im ersten Buch. Die (fiktiven) Dokumente selbst werden mit Salaìs Durchstreichungen und Änderungen wiedergegeben. Wenn bei Salaì eine Person ruft, lesen wir dies gelegentlich in einer lautmalerischen Sprache. Mitunter kommt es - wie in Sprechblasen von Comics - zur Häufung gleicher Vokale in einem Wort, oder Salaì klingt ein "Donnnng" im Kopf, stotternd gesprochene Worte werden ausgeschrieben.
Sprachlich und in der Behandlung von sexuellen Themen geht es deftiger zu als im Vorgänger. Salaì schläft wie immer mit allen Frauen, denen die Flucht nicht gelingt. Aber welche will schon ernsthaft vor ihm fliehen? Jedenfalls nicht die Frau seines Freundes Del Carretto, der sich dafür in der Verhandlung rächt. Salaì hält eine Prostituierte für eine Jungfer und bekommt Ärger mit ihrem Zuhälter, als er nicht bezahlen will. Für den Geschlechtsakt werden Bilder verwendet wie: sich eine Frau auf den Spieß stecken. Salaì stellt eine Vielzahl vergleichbarer Metaphern für die Brüste einer Frau bereit.
Aber die Autoren setzen nicht nur einfach den ersten Band in bewährter Manier fort. Schon die Struktur ist eine andere. Dem Vorwort folgen im Wechsel mehrere Verhöre und Memoranden, der Gerichtsentscheid und ein Anhang. Es gibt ein Geständnis Salaìs nebst einigen Korrekturen und Erweiterungen, Informationen über die Entdeckung Amerikas, Berichte über die Folter und wie man ihr widerstehen kann, eine Auskunft, wie man verlorene Eier wieder findet. Peitschenhiebe führen jeweils dazu, dass Salaì sachdienliche Erinnerungen aktivieren kann.
Salaì schwadroniert in der von ihm bekannten Weise. So stellt er in seinen "tiefenphilosophischen" Gedanken über die Frau an sich fest, Frauen ließen sich scheinbar von Männern überreden, stünden so als arme Opfer da und könnten erst dann den Sex richtig genießen.
Wir erfahren von Salaì, dass bereits vor Columbus die Schotten und die Wikinger in Amerika Kolonien gegründet haben, weil sie dem Papst "mit seinen ewigen Nörgeleien" entkommen wollten. In der Auseinandersetzung um den Entdecker Amerikas geht es auch und vor allem darum, in welcher Qualität Portugal und Spanien Besitzansprüche geltend machen können, um die Kolonien ausbeuten zu können.
Ein Memorandum, ein Genaueres Memorandum, ein Zusatz zum Genaueren Memorandum...
Der verschwörungstheoretische Nebel wird immer dichter: Columbus war ein Templer; Columbus war ein Jude auf der Suche nach einem neuen Gelobten Land; Columbus hat Amerika für seinen heimlichen Vater, Papst Innozenz VIII., entdeckt. Auch in Die Entdeckung des Salaì spielt der Straßburger Kreis wieder eine undurchsichtige Rolle. Schlussendlich wird der dichte Nebel aber doch überwiegend gelüftet und wir erfahren, wie es um den Zusammenhang von Columbus, Vespucci, Amerika, Waldseemüller und Ringmann sowie die "Kosmographie" bestellt ist.
Salaì ist zwar ein Schelm, dem eine gewisse Cleverness nicht abzusprechen ist. Aber wer ihn beim Lesen des ersten Buchs für einen überlegenen und intelligenten Zeitgenossen gehalten hat, wird hier teils eines Besseren belehrt. Monaldi & Sorti gelingt dies über die Struktur des Romans, die wechselnden Abschnitte mit Memoranden und Verhandlungsstunden. Das Gericht weist Salaì jeweils die leicht feststellbaren Widersprüche in seinen Aussagen nach, die einer motivierenden Auspeitschung des Angeklagten und der anschließenden Neufassung der Aussage bedürfen. Salaì lügt, gibt der bekannten Salamitaktik folgend nur zu, was ihm nachweisbar ist, leidet zwar unter der Folter Qualen und gibt schnell auf, beschreibt die Misshandlungen aber in seinen Memoranden als halb so schlimme Akte, die ihm im Zweifelsfall hilfreich sind, die Nacht mit Schmerzen wach zu bleiben und an seiner Aussage zu arbeiten. Er wirkt nicht mehr so überlegen wie im ersten Buch, was vermutlich daran liegt, dass er dort keine Reaktionen auf seine Briefe erhielt und ohne Beeinträchtigung durch andere Sichten an seinem Selbstbild arbeiten konnte. Um den Kriminalnotar milde zu stimmen, benutzt Salaì die Ausführungen über seine erotischen Abenteuer und die nutzbaren Vorzüge von Frauen, um eine männliche Kumpanei zu erzeugen, was ihm offensichtlich misslingt.
Die Entdeckung des Salaì ist nicht so vielschichtig wie Die Zweifel des Salaì, wird aber durch seine Form interessanter. Während die Zweifel in Momenten Gefahr laufen, in eine Abhandlung abzudriften, halten sich die Autoren mit Kommentaren und Beiträgen zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung in der Entdeckung zurück, wodurch das Buch unterhaltsamer ist.
Monaldi Francesco, Kindler
Deine Meinung zu »Die Entdeckung des Salai«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!