Das Hamlet-Komplott
- Piper
- Erschienen: Januar 2010
- 3
- Piper, 2010, Titel: 'Das Hamlet-Komplott', Originalausgabe
Ein furioses Abenteuer um Geheimrat Goethe
Kurzgefasst:
1807: Während Napoleon Deutschland mit Krieg überzieht, gibt in der schwäbischen Provinz ein seltsames Wandertheater einen noch viel seltsameren Hamlet. Und verstünde die französische Geheimpolizei mehr von Shakespeare, sie hätte längst Lunte gerochen. So aber ahnt keiner, dass sich hinter dem fahrenden Schauspieltrupp Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich von Kleist, August Wilhelm Schlegel, Ludwig Tieck und Napoleons Erzfeindin Madame de Staël höchstpersönlich verbergen, die sich, als Schauspieltrupp getarnt, in höchst geheimer Mission befinden. In ihrem Gepäck: die tausendjährige Reichskrone, die Kleist auf einer Insel im Bodensee ausgegraben hat. Nun gilt es, die größte Krone der Christenheit nach Preußen zu schaffen, um sie vor Napoleon in Sicherheit zu bringen, der sich mit ihr zum Kaiser von Europa krönen will...
Im Jahr 1807 steht Goethe in Weimar auf der Bühne und versucht verzweifelt, als Regisseur seinen Schauspielern den letzten Schliff für die abendliche Premiere seiner "Iphigenie auf Tauris" zu verleihen. Die Rettung naht in Person von Ludwig Tieck, der Goethe überredet, den gemeinsamen Freund und Dichter Heinrich von Kleist aus einem französischen Gefängnis zu befreien, und unverzüglich brechen die beiden auf. Auf ihrer Reise machen sie in Coppet halt, wo sie ein langjährige Freundin Goethes, Madame de Staël, besuchen. Diese ist die größte Feindin des gerade um sich wütenden Kaisers Napoleon und in Coppet im Exil, sodass sie sich für ihre Familie in Gestalt des Dichters August Wilhelm Schlegel einen Hauslehrer gesucht hat.
Da das Haus von Napoleons Truppen bewacht wird, verkleiden sich Goethe und Tieck als fahrende Schauspieler, indem sie den Wagen einer gerade vor Ort residierenden Gruppe übernehmen. Madame de Staël und Schlegel gesellen sich dazu, auf ein schönes Abenteuer hoffend, und in Begleitung des Wagentreuen Pudels und der jungen Schauspielerin und Frauchen des Pudels Leonore begibt sich die illustre Schar zum Gefängnis, wo man Kleist wähnt, der jedoch bereits die Lokalität verlassen hat.
Sie erwischen ihn auf der Bodenseeinsel Reichenau, und im Gepäck hat er - die Reichskrone, die er von Napoleon weg zu den Preussen schaffen will. Und damit fängt das Abenteuer erst an, denn auf dem gemeinsamen weg Richtung Osten wird die vermeintliche Schauspieltruppe immer wieder zu einer Theatervorstellung genötigt, und das einzige Stück, das alle mehr oder weniger beherrschen, ist Shakespeares Hamlet. Eine Tour de Force beginnt, und Napoleons Schergen sind ihnen dabei immer im Nacken.
Atemberaubendes Tempo bis zum Schluss
Von der ersten Seite an schlägt Robert Löhr in seinem Hamlet-Komplott ein nahezu atemberaubendes Tempo an und folgt damit seinem vorigen Roman Das Erlkönig-Manöver, in dem der geneigte Leser bereits ein Abenteuer mit den Herren Goethe und Kleist verbringen durfte. Zwangsläufig bietet sich eigentlich ein Vergleich der beiden Romane an, allerdings lässt sich bereits an dieser Stelle sagen: Das Hamlet-Komplott beginnt furios, und im Gegensatz zum Vorgänger bleibt es das auch bis zum Ende.
Goethe, durch den Tod Schillers noch etwas wehleidig und auch nicht mehr der jüngste, ist und bleibt die Hauptperson, an der der Auto die Geschichte aufhängt. Nachdem die muntere Schar um ihn versammelt ist, beginnt eine Reise im Theaterwagen mit diversen Hamlet-Vorstellungen, die man nicht nur zu gegenseitigen und auch zur fremden Erbauung spielt, sondern auch zur Aufbesserung der Reisekasse nutzt. So findet Löhr einen roten faden durch seinen Roman, der zwar eine gerade Linie bildet, aber auch genügend Raum für Zwischenfälle, Tempowechsel, Gespräche der Protagonisten untereinander und natürlich Verfolgungsjagden und Theatervorstellungen.
Mit Witz und Charme
Noch mehr als im Erlkönig-Manöver fliegen hier die Pointen, Witze und Bonmots, die Streitgespräche und Unterhaltungen der sechs Personen bieten köstlichsten Kurzweil, und auch wenn man die eine oder andere Szene heute als Altherrenwitz abtun würde, kann man dem Autor nicht böse sein, denn stets hat man das Gefühl, die Anekdoten würden gerade in diesem Moment erfunden. Dabei werden natürlich auch keine Peinlichkeiten ausgespart:
Madame de Staël zu Tieck: "Sie wissen, Monsieur Tieck, Schlegel kann niemanden loben, der nicht mindestens zweihundert Jahre tot ist, aber würde er es tun, Sie wären zweifellos der Erste auf seiner Liste. Sie riechen nach Fichte, Monsieur! Wie außerordentlich deutsch!"
"Zuviel der Ehre, Madame. Ich fürchte, das ist Schweiß."
"Allerliebst! Wer bräuchte da noch Cologne! Ich wünschte, ich könnte so schwitzen. Sie haben übrigens Ähnlichkeit mit Napoleon, wussten Sie das?"
Vor allem die Sprache ist es, die Robert Löhrs Roman zu einem ausserordentlichen Lesevergnügen macht, aber auch der Blick in das Theaterleben der Zeit und in das Denken und Leben des gemeinen Volks sind hervorragend gelungen. Immer wieder schafft Löhr Räume für kleinere Situationen am Rande, die das Tempo für einen Moment herausnehmen, um kurz darauf wieder ordentlich weiter zu romantisieren und das nächste Gefecht verbal auszutragen. Durch die Verfolgung mehrerer Parteien ist auch eine gehörige Portion Spannung dabei, denn man kann nicht ahnen, was am Ende mit der Reichskrone wird. Spione lauern, Napoleons Truppen sind Goethes Schar auf den Fersen, und auch die Österreicher haben Wind von der Sache bekommen.
Spannend und lehrreich
Bis zum spannenden Finale und bis in Goethes höchsteigenen Garten lebt, lernt und leidet man mit der bunt gewürfelten Truppe, für Dramatik ist auch gesorgt, es fliegen die Kugeln, es stürzen Brücken ein, und es sind Verluste zu beklagen. Löhr lässt nichts aus, zu viel soll hier aber nicht verraten werden. Wer sich bei dieser Lektüre langweilt, dem ist nicht zu helfen. Goethe auf den Vorspuren von Indiana Jones, wer hätte das gedacht?
Bleibt zu hoffen, dass Löhr noch Pulver für weitere Geschichten um den Weimarer Geheimrat hat. Dichter und Denker gäbe es in dieser Zeit noch genügend, und wenn diese ausgehen, bleiben immer noch andere Künstler, Musiker, Maler, die auch ihre Zeit prägten. Man hätte zu besseren Übersichtlichkeit noch eine tatsächliche Zeitleiste und ein Personenverzeichnis hinzufügen können, aber so wesentlich ist das nicht.
Der Roman basiert auf einer fantastischen Idee, zudem gestützt auf tatsächlichen Vorkommnissen. Diese stimmen zwar nicht bis ins letzte Detail, aber hier biegt der Autor sich die Wahrheit so zurecht, das es mit ein wenig Wohlwollen und einer gehörigen Portion Fantasie eventuell vielleicht so hätte sein mögen können, wenn man beide Augen zudrückt. Historisch bisweilen herrlich inkorrekt, aber amüsant und immer mit einem gewissen Charme. Mehr davon!
Robert Löhr, Piper
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