Leichentuch und Lumpengeld
- Grafit
- Erschienen: Januar 2008
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- Grafit, 2008, Titel: 'Leichentuch und Lumpengeld', Originalausgabe
Eine Spur zuviel der Augenzwinkerei
Kurzgefasst:
1845, die Zeit vor der deutschen Revolution. In der preußischen Stadt Morgenthal findet der kleine Max die Leiche des Fabrikanten Emil Hartenau - ermordet. Merkwürdigerweise steckt in der Tasche des Toten ein demagogisches Gedicht. Ist der Mord politisch motiviert?
Ein Sonderermittler aus Berlin, Justus von Kleist, wird in die Kleinstadt geschickt. Die Morgenthaler machen es ihm nicht leicht, Licht in die Angelegenheit zu bringen. Den Sohn und Erben des Toten, Moritz Hartenau, interessiert nur der Profit und sogar Gendarm Kürten sagt nicht alles, was er weiß.
Fast gleichzeitig taucht der Franzose Elias Leclerc in der Stadt auf und erzählt von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Bei seiner Cousine Rachel Grünblatt rennt er offene Türen ein. Die junge Frau langweilt sich und engagiert sich mehr und mehr für die ausgebeuteten Weber und ihre Familien.
Niemand ahnt, welches Unheil durch das Tun eines jeden Einzelnen heraufbeschworen wird...
Für ihren ersten historischen Krimi hat sich die Autorin Gabriella Wollenhaupt an das Erfolgsrezept der Maria-Grappa-Krimis gehalten. Ironie und Verzerrung sind wesentliche Bestandteile des im fiktiven preußischen Morgenthal spielenden Krimis. Hier wird der knallharte Patron einer Weberei, Emil Hartenau, ermordet. Weil der Fall einen politischen Hintergrund haben könnte, wird Sonderermittler Justus von Kleist aus Berlin hinzugezogen. Er trifft im gerade nicht mehr ganz beschaulichen Morgenthal - die schlecht bezahlten Webereiarbeiter machen an einem Aufstand herum - auf eine ganz spezielle Gesellschaft. Als ein zweiter Mord geschieht, kommt Bewegung in die bis dahin eher unfruchtbaren Ermittlungen.
Ins Lächerliche gezogen
Wie nahe die Grenze von Ironie und Lächerlichkeit sein kann, wird bei Gabriella Wollenhaupts Leichentuch und Lumpengeld deutlich. Graf Überall und Redaktor Immermann sind nur zwei der teilweise stark ins Lächerliche gezogenen Figuren. Die naive Rachel Grünblatt, Tochter aus wohlhabendem Hause, macht sich auf, um mit spitzer Feder gegen die Ungerechtigkeit des Patrons gegenüber den Arbeitern zu berichten. Dabei vermag es die Protagonistin aber nicht, sich in die Herzen der Leserinnen und Leser zu stehlen. Sie bleibt farblos und unbeholfen und manches Mal ist man versucht, ihr einen Schubs zu geben und sie damit aus ihrer heilen Welt heraus zu holen. Wohl kokettiert sie mit den revolutionären Gedanken ihres aus dem Nichts aufgetauchten Cousins, doch verharrt sie im Kokon des behütenden Elternhauses.
Es dauert eine ganze Weile...
Bis der Krimi sich von der vor sich hin dümpelnden Ereignislosigkeit löst und Fahrt aufnimmt, dauert es eine ganze Weile. Wer bis dahin durchhalten mag, wird wenigstens im letzten Drittel des Buches belohnt: hier entfaltet sich eine durchaus passable Spannung und drängt die übers Ziel hinaus schießende Ironie in den Hintergrund. Dadurch wird auch deutlich, dass die Autorin tatsächlich Potential und einiges zu erzählen hat. Der aufflammende Neid auf die wohlhabenden jüdischen Familien, die Unruhen unter den Arbeitern und ihr langsam aufkommender Kampf um bessere Arbeitsbedingungen, die sich abzeichnende technische Entwicklung: All dies sind Themen, die in den Krimi verpackt sind und für sich ein ernsthaftes und ernstzunehmendes Bild der Entwicklung Mitte des 19. Jahrhunderts darstellen. Dass diese Themen zunächst von den ironischen Zerrbildern verdeckt sind, ist sehr schade.
Keine sprachliche Höchstleistung
Alles in allem stellt Leichentuch und Lumpengeld auch sprachlich eine Geduldsprobe dar. Die abgehackte Sprache lässt kaum Lesefluss aufkommen und die jeweiligen Kapitelzusammenfassungen zur Einleitung erinnern an die Werke von Autorinnen und Autoren der 50er und 60er Jahre. Sie sind aber weder hilfreich noch stellen sie einen Appetithappen dar, der leichter in den Text einsteigen lässt. Ein Rätsel bleibt über das Ende hinaus der Buchtitel...
Grundsätzlich hat Gabriella Wollenhaupt hier sowohl stilistisch als auch sprachlich eine falsche Ebene gewählt, um die durchaus fundierte und gehaltvolle Geschichte der beginnenden Arbeiterunruhen aufzugreifen. So ist dieser Krimi einerseits nur den eingefleischten Wollenhaupt-Fans und andererseits jenen zu empfehlen, die auf sprachliche Finesse und Glaubwürdigkeit der Figuren nicht allzu viel Gewicht legen. Eigentlich schade.
Gabriella Wollenhaupt, Grafit
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