Tintorettos Engel
- Knaus
- Erschienen: Januar 2010
- 2
- Knaus, 2008, Titel: 'La lunga attesa dell\'angelo', Originalausgabe
Bildgewaltiges Renaissancegemälde
Kurzgefasst:
Tintoretto, der geniale venezianische Maler der Renaissance, legt auf dem Sterbebett Gott Rechenschaft ab über sein Leben - als Mensch, als Sünder, als Künstler, der alles und jeden herausfordert, als Vater mit besonderer Nähe zur Tochter.
"Von Michelangelo die Zeichnung, von Tizian die Farbe", so lautete das Credo des Färbersohns Jacopo Robusti, genannt Tintoretto, der sich in seinem Leben alles erkämpfen musste, weil er - anders als sein Rivale Tizian - niemals ein Liebling der Venezianer war. Und trotzdem hat er seine Heimatstadt künstlerisch geprägt wie kaum ein anderer. Ungestüm und voll überbordender Schaffenskraft berauscht er sich daran, mit den Traditionen zu brechen und sich selbst immer neu zu erschaffen, für ihn ist Malen wie Träumen. Sein unbändiges Streben nach Freiheit in der Kunst teilt er mit seiner Tochter Marietta, der ersten Künstlerin der Renaissance. Sie war das uneheliche Kind mit seiner großen Liebe Cornelia, einer deutschen Hure.
Eine Künstlerbiographie, so opulent und bildgewaltig wie ein Renaissancegemälde. Der Roman beginnt, als Tintoretto auf dem Sterbebett liegend seines ereignisreichen Lebens gedenkt und bedeutende Stationen an ihm vorbei ziehen. Als Jacopo Robusti wird er 1518 in Venedig als Sohn eines armen, unbedeutenden Färbers geboren. Zeit seines Lebens leidet er unter seinem kleinen Wuchs, und den davon abgeleiteten Namen Tintoretto, zu deutsch Färberlein, empfand er lange Zeit als Herabsetzung. Die Arbeit in der Werkstatt des Vaters füllte ihn schon bald nicht mehr aus und er versuchte in der Werkstatt des von ihm hochverehrten Tizian angenommen zu werden, um dort zu lernen und zu arbeiten.
Von Tizian verschmäht und von Venedig geliebt
Dieser verwies ihn jedoch bald der Werkstatt, da er wohl das Talent des jungen Mannes erkannte und er um die Konkurrenz fürchtete. Tintoretto wurde zum Autodidakt und entwickelte seinen ganz eigenen, heute hochgeschätzten Stil. Erst im Laufe der Zeit fand dieser auch in Venedig seine Anerkennung und Tintoretto wurde zu einem geachteten und vielbeschäftigten Künstler. Die Unabhängigkeit und Freiheit der frühen Jahre hatte jedoch seinen Preis, Tintoretto war lange nicht in der Lage, von seiner Kunst zu leben. Erst mit vierzig Jahren konnte er die sehr viel jüngere Tochter eines Gönners heiraten und eine Familie gründen. In diese Ehe bringt Tintoretto seine Tochter aus einer früheren Beziehung zu seiner großen Liebe, einer venezianischen Hure aus Deutschland, mit ein. Aus der Ehe gehen acht Kinder hervor, aber keines kann die Bedeutung der Ältesten für den Vater erreichen. Marietta ist seine Lieblingstochter und er führt sie in seiner Werkstatt als Junge gekleidet in die Malerei ein, ein Skandal im Venedig des 16. Jahrhunderts. Marietta wächst heran und es zeigt sich, dass sie sowohl Talent als auch ihren eigenen Kopf hat. Als sie sich zu einer eigenständigen Künstlerin und selbständigen Frau entwickelt, kommt es zum Eklat mit dem sehr besitzergreifenden Vater.
Fieberschübe prägen die Erinnerungen
In fünfzehn Fiebernächten erinnert sich Tintoretto an sein Leben, die Höhen und Tiefen ziehen an ihm vorbei und die Krankheit ergreift immer mehr Besitz von ihm. Der gesamte Roman wird aus seiner Sicht in der Ich-Perspektive erzählt, so dass er zu einer sehr vertrauten Person wird. Durch das steigende Fieber werden zunehmend die Grenzen der Erinnerung fließend und Realität und Phantasie verschwimmen. Die Erinnerung an Marietta ist sehr lebendig und plastisch, die anderen Personen bleiben hingegen etwas blass. Allerdings scheint genau dies auch ihre Stellung im Leben Tintorettos gewesen zu sein. Am Rand oder im Hintergrund, aber dominiert von der Persönlichkeit des Vaters und Ehemannes und geprägt durch seine Liebe zur ältesten Tochter.
Assoziative Erzählweise fordert den Leser
Das Geschehen des Romans wird nicht linear erzählt, sondern ist geprägt durch die Fieberschübe sprunghaft und ausschweifend. Die Handlung springt hierhin und dorthin, eine Erzählweise die den Leser fordert, aber mit einem besonderen Miterleben belohnt. Der Roman lebt von einer farbgewaltigen Erzählkunst, wenn die Bilder und die Malweise des Künstlers beschrieben werden, und seinem Detailreichtum, wenn wir Tintoretto und Marietta auf ihren Wegen durch Venedig begleiten. Es werden viele Nebengeschichten erzählt, dabei einige Handlungsstränge begonnen, die ohne roten Faden ins Leere laufen. Aber alle erzählen von einer Fabulierkunst der Autorin und dem Genie des Künstlers.
Der Roman wird in weiten Teilen beschreibend erzählt und lebt von den Gedankenwelten der Hauptperson. Der Lesefluss ist daher eher langsam und hält sich an Details fest. Insgesamt lebt diese Erzählweise von den inneren Vorgängen des Künstlers und bringt ihn dem Leser dadurch besonders nahe und bleibt nachhaltig in Erinnerung. Der Leser wird belohnt mit einem besonderen Leseerlebnis und einem sich von der Masse abhebenden historischen Roman.
Melania G. Mazzucco, Knaus
Deine Meinung zu »Tintorettos Engel«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!